Profitabilität muss die Basis von ESG sein - sonst höre ich nachhaltig zu existieren auf

Klaus Mühleder leitet seit knapp einem Jahr das Group Sustainability Office der Vienna Insurance Group. Innerhalb des Bereichs Opportunity Management, den er ebenfalls leitet. Wir besuchten Mühleder und fragten u.a, ob da nicht manchmal zwei Herzen in seiner Brust schlagen ...
Zu Besuch im Ringturm, bei der Vienna Insurance Group. Dort treffen wir Klaus Mühleder - ehemaliger McKinsey-Mann, der seit mehr als zehn Jahren bei Österreichs größter Versicherung arbeitet und dort den Bereich Opportunity Management leitet. Gleichzeitig ist Mühleder seit knapp einem Jahr zusätzlich Group Sustainability Officer. Zugegeben, das Strategie-Management ist das typischere Thema für den Börse Express. Gleichzeitig weist die VIG aber knapp zwei Millionen Tonnen an adressierbaren CO2-Emissionen aus, die zum aktuellen EU-Emissionshandelspreis 140 Millionen Euro entsprechen - Tendenz steigend. Zwei Millionen Tonnen, die laut Plan bis 2030 - Basis ist das Jahr 2023 - um 30 Prozent reduziert werden sollen, um 2050 die Netto-Null zu erreichen. Das verstand der Besucher, sprich Autor beim Studium des aktuellen Nachhaltigkeitsberichts des Versicherers noch. Die mehr als 100 Seiten wurden aber nicht geschafft. Was Mühleder sogar ein wenig verstehen kann, gibt aber zu bedenken, „dass auch die Anhänge im Finanzbericht spaßbefreit sind”, das Dargestellte einfach ein regulatorisches Muss ist, das eine gewisse Transparenz schaffen soll.
Das regulatorische Muss erklärt ein wenig den Umfang und die Darstellung des Nachhaltigkeitsberichts. Für Mühleder viel wichtiger ist aber, was vorher war, ist der Bericht doch ‘nur’ das Resultat des zuvor Gemachten. Mühleders Rolle dabei: „Das Thema Nachhaltigkeit zusammenfassend zu steuern und zu orchestrieren - im täglichen Geschäftsbetrieb zu verankern”.
Ein Teil dieser Nachhaltigkeitsrichtlinien richtet sich an Co2-Zielen aus. Sechs Wirkungsfelder gibt es insgesamt (dabei weisen „Veranlagung“, „Underwriting“ und „Bürobetrieb“ eine vorrangig ökologische Stoßrichtung auf, während die Wirkungsfelder „Mitarbeitende“, „Kunden“ und „Gesellschaft“ vorwiegend soziale Aspekte ansprechen (siehe Seite 17 im Geschäftsbericht 2024 hier). Diese wurden von der VIG ausgewählt, da sie sich auf Bereiche konzentrieren möchte, die sie selbst beeinflussen kann: „Wenn wir in der Nachhaltigkeit etwas erreichen möchten, müssen wir uns fokussieren”, sagt Mühleder. Hier ein kurzes Zwischenfazit des Besuchs (und ein subjektives Empfinden): zielorientierter Pragmatismus nicht Dogmatismus prägen die Anstrengungen - was das Börse Express-Herz durchaus erfreute...
Dazu gehört auch, dass die VIG den bekannten drei Buchstaben ESG noch ein P zufügt - P wie Profitabilität: „Das muss die Basis sein. Wenn ich nicht positiv bin, höre ich langfristig zu existieren auf. Ich muss durch Profit ein Perpetuum mobile schaffen”
Konkret heißt das z.B. in Sachen S (aus ESG), dass sich die VIG (auf lange Sicht auch monetäre) Vorteile darin verspricht, ein für unterschiedlichste Menschen attraktiver Arbeitgeber zu sein. Dies um möglichst divers sein zu können (auch abseits von Geschlechtszuordnungen). Denn wer garantiert, dass ein jüngerer Arbeitnehmer das Unternehmen nicht früher verlässt als ein Älterer? Akademische Titelanforderungen gibt es in Stellenausschreibungen auch nicht mehr - das Individuum soll im Vordergrund stehen und nicht der Doktor „von dem wir wissen, dass es auch Dumme gibt” kommt vom ehemaligen McKinsey-Mann, der dies nur mit einem Notenschnitt von unter 1,5 werden konnte. Vielleicht bezeichnend für das Haus eine Anekdote von Mühleder aus seinen VIG-Anfängen: Gemeinsamer Kundenbesuch mit einem Vorstand. Treffpunkt zuvor beim Ringturm-Ausgang. Die Frage „hast einen Fahrschein” verdutzte den ehemaligen McKinseyaner - er hatte natürlich keinen ...
Was, wenn die Regulatorik plötzlich zu Grabe getragen wird? Würde die VIG ihre Ambitionen in Sachen ESG auch zurückschrauben? Mühleder glaubt das nicht und verweist auf die 200jährige Geschichte des Unternehmens und dem Ziel, dieses die nächsten 200 Jahre fit zu halten. Dazu gehört „dass wir uns den Kunden gegenüber immer anständig benehmen und nicht in unseren Vorgarten ....” Und bezeichnet die VIG als langfristig denkenden, ordentlichen Geschäftsmann - nachhaltig in ihrer Geschäftsgebahrung war die VIG somit schon immer - die Definition von Nachhaltigkeit habe sich nur sehr konkretisiert.
Konkret - und verbindlich - sind jedenfalls die CO2-Reduzierungsziele der VIG (während das restliche ESG-Programm, das weniger gut in wissenschaftlich fundierte Datensätze gepresst werden kann, mehr ein „schau ma mal was geht - das aber mit Ambition” ist.)
Was ist für Mühleder dabei die größte Herausforderung in Sachen CO2-Reduzierungsplänen? „Gleichzeitig Wachstum des Geschäftsvolumens unterzubringen”.
Das führt gleich zur nächsten Herausforderung für den Konzern: „Wir sind in einer eigentlich scheußlichen Lage: wir sollen dem Kunden sagen, dass er etwas beim CO2 machen muss - sollen die sein, die mit dem Finger zeigen” - unausgesprochener Nebensatz: „sonst können wir Dich nicht länger versichern” - finanzierende Banken haben es bei solchen Gesprächen wahrscheinlich leichter ...
Ähnlich dürfte es aber ablaufen - oder wie steht Mühleder zur Möglichkeit, sich z.B. mittels Baumpflanzungen Co2-frei zu kaufen? „Alles was passiert wirkt positiv. Aber so ganz passt es nicht, wenn ich weiter mein 20-Liter-Auto fahre und dafür 5 Bäume pflanze.” Heißt: „Wir fangen bei uns an”.
Heißt dann wiederum, dass um die eigenen Ziele zu erreichen - die zu weniger als fünf Prozent direkt eigenverursacht sind (Scope 1) - die Kunden gleiche Ziele aufweisen, oder neue gesucht werden müssen, die im Vergleich eine bessere CO2-Bilanz aufweisen: „Wir werden den einen oder anderen Kunden verlieren, nicht alle bis zum Ende des Wegen begleiten können”, erwartet Mühleder, der aber auch zu bedenken gibt: „In Wahrheit sind wir erst die zweite Verteidigungslinie. Denn schultern muss all das vor allem die Realwirtschaft.”
Schneller ginge die eigene Dekarbonisierung, wenn man „böse Kunden” aus der Bilanz auslagert, ähnlich den früheren Immobilienproblemkrediten in ABS oder anderer Form? „Nur schnell die Bilanz auszuputzen wäre ein zu billiger Weg. Wenn ich die Titel verkaufe, verschwindet das CO2 ja nicht. Dann bin ich zwar ein 1er-Schüler, das ist aber nicht der Weg, den wir gehen möchten”.
Somit fällt als Möglichkeit auch weg, dass für die zwei Millionen Tonnen CO2 einfach entsprechende Zertifikate gekauft werden ... für Mühleder ein wenig mit dem mittelalterlichen Ablasshandel der katholischen Kirche vergleichbar: „Wir tun das ja nicht weil es lustig ist, oder ich einen neuen Job dazu bekommen habe. Wir machen es, weil es eine Notwendigkeit ist.” Daher kam er auch noch nie in Versuchung, in seiner Funktion als Leiter der Strategie-Abteilung einen Contrarian-Ansatz zu fahren: Konzentration auf jene Unternehmen, die andere Versicherer aus ESG-Gründen nicht mehr wollen - mit der Erwartung höherer Margen: „Das Haus sucht nicht den schnellen Erfolg - unser Wesen ist nicht Geschäft um jeden Preis”, holt Mühleder wieder den langfristig denkenden, ordentlichen Geschäftsmann hervor. Konklusio: „Ich glaube, ESG-Ambitionen zu haben, wird á la longue kein Wettbewerbsvorteil sein. Es nicht zu machen aber ein Nachteil.”
2030 steht das 1. Zwischenziel an. Wann wäre Mühleder zufrieden? „Wir sollten uns umdrehen und sagen können, unser Möglichstes getan zu haben um dorthin zu kommen wo wir stehen. Wenn das so ist, war es gut.”
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