
Infrastrukturpaket Deutschland – der deutsche Sonderweg eröffnet neue Anlagechancen
20.03.2025 | 17:01
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Das Thema Schulden entwickelt sich im noch jungen Börsenjahr 2025 zum Dauerbrenner. Während in den USA Demokraten und Republikaner fast schon routinemäßig um einen Übergangshaushalt ringen, der einen Regierungs-Shutdown sowie den damit verbundenen Auszahlungsstop in der US-Verwaltung vermeiden soll und der am Ende doch stets durchgewunken wird,1 finden parallel in Deutschland politische Bemühungen statt, die Schuldenbremse via Grundgesetzänderung „zu reformieren“ – Kritiker sprechen banal von „außer Kraft setzen“. In beiden Fällen dreht es sich im Kern um Fragen der Finanzierbarkeit der Staatsschulden, des Spielraums für fiskalpolitische Maßnahmen und der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf Generationengerechtigkeit. Dabei ist in Deutschland das Umgehen der Schuldenbremse, nur Mittel zum Zweck, um ein „Sondervermögen“ auf den Weg zu bringen, das neben Ausgaben für Verteidigung auch 500 Milliarden Euro für Infrastrukturprojekte vorsieht.2 Obwohl das Gesamtvorhaben zum damaligen Zeitpunkt noch längst nicht in trockenen Tüchern war und sowohl die Hürden im Bundestag – die am 18. März genommen wurden – als auch im Bundesrat – finale Entscheidung am 21. März – noch anstanden, wurde ein Teil des imaginären Zusatzbudgets bereits großzügig an der Börse „verteilt“ und eingepreist. Damit finden sich Zykliker wie die Bau- oder Energiebranche mit einem Schlag im Rampenlicht wieder und buhlen neben Sektoren und Trends wie High-Tech und KI sowie Rüstungsaktien um die aktuelle Gunst der Investor:innen.

Konjunkturpaket sorgt für gute Stimmung
Als erstmalig Pläne für die Milliardenkredite von den Parteien CDU/CSU und SPD Anfang März publik gemacht wurden, reagierte der DAX mit einem Kursfeuerwerk. Am 5. März führte der Baustoffkonzern Heidelberg Materials mit einem Tagesplus von knapp 14 Prozent den DAX an und auch im M-DAX preschten mit den beiden Unternehmen Hochtief und Bilfinger zwei mutmaßliche Profiteure für zukünftige Infrastrukturprojekte zweistellig voran.3 Dass Infrastruktur durchaus weiter gefasst werden muss als nur Straßen, Brücken, Eisenbahnen und Flughäfen, verdeutlicht der Blick auf Siemens Energy die als Elektro- und Energietechnikhersteller von einer dringend notwendigen Modernisierung der Stromnetze profitieren dürfte und ebenfalls mit einem Kursplus von annähernd 9 Prozent aus dem Handel ging.4 Schulen, Krankenhäuser, Wasserversorgung und Kanalisation sowie Telekommunikation – einschließlich Internet und Breitbandzugang – sind ebenfalls Aspekte, die im Kontext von wirtschaftsnaher Infrastruktur Berücksichtigung finden.
Dementsprechend umfangreich ist die Liste möglicher Profiteure aber auch Forderungssteller. Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub möchte bessere Fahrradwege, der bisherige Infrastrukturminister Volker Wissing mahnt die dringende Sanierung von knapp 5.000 Brücken an, die Deutsche Bahn kalkuliert in den kommenden Jahren mit Sanierungskosten von 150 Milliarden Euro für das Schienennetz und dann wären da noch Städte und Gemeinden, denen rund 55 Milliarden Euro fehlen, um allein Schulgebäude zu sanieren.5 Wird nach dem Gießkannenprinzip verteilt, werden selbst 500 Milliarden Euro schnell budgetiert und zugeteilt sein – ein konjunkturbelebender Effekt sollte sich gleichwohl einstellen. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) erhöht für den Fall der erfolgreichen Implementierung des Sondervermögens seine Prognose für das deutsche Wachstum des Bruttoinlandsproduktes 2026 postwendend von 0,9 auf 1,5 Prozent6 und auch der ZEW-Index der Konjunkturerwartungen erhöhte sich auf 51,6 Punkte von 26,0 Punkten im Vormonat. Es werden aber auch mahnende Stimmen laut. Auf das schuldenfinanzierte Konjunkturpaket angesprochen, erklärte Alexander Krüger, Chefvolkswirt von Hauck Aufhäuser Lampe im Gespräch mit ntv.de nüchtern: "Das ist viel Fantasie, die sich erst noch bewahrheiten muss. Derzeit wird die Zukunft in Rosa getaucht, die Gegenwart sieht dagegen weiter trüber aus. Die Lagebeurteilung zeigt, dass wachstumsseitig vorerst weiter Magerkost angesagt ist. Der Erwartungsanstieg hat das Siegel zweiter Klasse, da er nicht auf Strukturreformen beruht."7 Die Diskussion um gute und schlechte Schulden ist zumindest bereits im vollen Gange.

Hinweis: Die Entwicklungen in der Vergangenheit sind kein zuverlässiger Indikator für zukünftige Entwicklungen.
Abstrahlungseffekte in den Euroraum
Auch in Österreich beflügelte der deutsche Sonderweg die Baubranche wie sich beispielsweise an den Notierungen des größten österreichischen Bauunternehmens Porr oder der Strabag ablesen lässt. „Österreich wird da mitgezogen“, konstatiert Wifo-Chef Gabriel Felbermayr und verweist auf die große Bedeutung Deutschlands als wichtigster Exportmarkt Österreichs.8 So legte Porr allein im Monat März um knapp 20 Prozent zu, auf Jahressicht summiert sich das Plus mit Stand vom 14. März 2025 sogar auf annähernd 50 Prozent – gleichzeitig ein Indiz, dass die Baubranche aus vielfältigeren Gründen wieder Rückenwind erhält. So sollten trotz medialem Fokus auf Deutschland auch die Friedensbemühungen im Ukraine-Krieg und der danach anstehende Wiederaufbau im Hinterkopf behalten werden. Gleichwohl ist die Wirkung des deutschen Investitionspakets augenscheinlich und auch in benachbarten Euroländern zu beobachten. Die auf Schienenverkehrstechnik spezialisierte französische Alstom und der französische Bauriese Vinci standen ebenso wie der schwedische Architektur- und Ingenieurdienstleister Sweco, das niederländische Installationstechnologie Unternehmen Aalberts oder der italienische Energiekonzern Enel – um nur stichprobenhaft einige wenige zu nennen – im Fokus der Fantasie rund um die zukünftigen Milliardenkredite.

Hinweis: Die Entwicklungen in der Vergangenheit sind kein zuverlässiger Indikator für zukünftige Entwicklungen.
Das Haar in der Suppe
Neben Bauwirtschaft, Anlagen- und Maschinenbau sowie Energieversorgern dürften in einer nachgelagerten Runde auch die Chemiebranche und andere energieintensive Sektoren zu den Nutznießern des Sondervermögens zählen. Die Karte, die hier gespielt wird, ist die Ertüchtigung des Stromnetzes, welche zu rückläufigen Strompreisen und damit mehr Wettbewerbsfähigkeit für Unternehmen mit energieintensiven Produktionslinien sorgen könnte. Damit erweitert sich das Feld unter anderem um Namen wie Siemens, BASF, Lanxess, ThyssenKrupp, Voestalpine oder Wacker Chemie.9 Vossloh, deutscher Anbieter im Bereich Bahntechnik, wäre unter diesen Gesichtspunkten sowohl direkt als auch indirekt vom Infrastrukturpaket begünstigt – vorausgesetzt, es wird tatsächlich realisiert. Ansonsten ist angesichts der Vorschusslorbeeren die Fallhöhe nicht zu unterschätzen. Dies gilt nicht nur für den Aktienmarkt, sondern auch für die deutsche Regierung, die bereits vor ihrem Amtsantritt gehörig in der Kritik steht. So warnt der Bundesrechnungshof (BRH) in seinem Bericht an den Haushaltsausschuss vor einer „unkontrollierten Verschuldungsdynamik“. Dies sei zwar ein kurzfristiger Ausweg, um drängende Zukunftsfragen anzugehen, der eigentlichen Herausforderung werde damit aber nicht begegnet.10 Was einen wieder zum eigentlichen Elefanten bringt, der im Raum steht: hohe Schulden und damit langfristig steigende Zinsausgaben. So würden sich die Zinskosten des Bundes innerhalb der nächsten 10 Jahre auf 200 Milliarden Euro summieren, ohne dass strukturelle Probleme angegangen worden wären, resümiert der BRH weiter.
Immobilienmarkt sendet Warnsignal
Bei aller Euphorie, welche die Kurse von großen, börsennotierten Unternehmen der Baubranche zuletzt getrieben hat, sollte der Blick auf die Gesamtsituation nicht unterbleiben. So sei die Stimmung im deutschen Handwerk so schlecht wie seit 15 Jahren nicht mehr, wie sich aus dem Geschäftslagenindex ergibt, den die Auskunftei Creditreform jährlich erhebt. „Vielen Handwerksbetrieben, vor allem im Baubereich, brechen die Aufträge weg", so Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung. „Gleichzeitig sind die Kosten für Kredite und Personal gestiegen. Unter dieser Doppelbelastung brechen viele zusammen. Daher rechnen wir in den kommenden Monaten mit steigenden Insolvenzzahlen."11 Wer nun staatliche Bauvorhaben im Schlepptau des Infrastruktursondervermögens als Heilsbringer anführt, sollte auch seine Nebenwirkungen nicht verschweigen. So sorgte allein die Ankündigung des Sondervermögens bereits für Turbulenzen am Anleihemarkt und trieb die Anleihenrenditen 10-jähriger deutscher Bundesanleihen so stark in die Höhe wie seit der Wiedervereinigung 1990 nicht mehr. Dies wiederum sorgte für Bewegung bei den Zinsen für Baufinanzierung – sie vollführten einen „historischen Zinssprung“ und stiegen um 33 Basispunkte auf 3,69 Prozent. Dies sei, so die Unternehmensberatung Barkow Consulting, der höchste Stand der Zinsen seit sieben Monaten und der stärkste Wochenanstieg seit 2007.12 Keine guten Nachrichten für den ohnehin schwächelnden Immobilienmarkt. Potentielle Erstkäufer, die auf bezahlbare Finanzierung angewiesen sind, werden abgeschreckt und Bestandskunden mit auslaufender Zinsbindung treffen auf Probleme bei der Anschlussfinanzierung.13 Dass steigende Staatsverschuldung auch die Inflation befeuert, deren Bekämpfung wiederum für (zusätzlich) höhere Marktzinsen sorgen wird, ist dabei noch gar nicht eingerechnet.

Hinweis: Die Entwicklungen in der Vergangenheit sind kein zuverlässiger Indikator für zukünftige Entwicklungen.
Fazit
Die erste Hürde für die Milliardenkredite konnte der alte Bundestag mit den Stimmen der CDU/CSU, SPD und am Ende auch der Grünen am 18. März 2025 bereits nehmen. Insgesamt stimmten 512 Abgeordnete der Grundgesetzänderung sowie dem Finanzpaket zu – bei insgesamt 206 Gegenstimmen.14 Um die Grünen für die notwendige Zweidrittelmehrheit ins Boot zu bekommen, wurde von der Union der „Kompromiss“ in Kauf genommen, 100 Milliarden Euro des Sondervermögens in den sogenannten Klima- und Transformationfonds umzulenken. Zudem haben die Grünen einen Passus verhandelt, der die Klimaneutralität bis 2045 im Grundgesetz verankern soll – mit noch nicht überschaubaren Konsequenzen für die Wirtschaft.15 Die Zustimmung des Bundesrats am 21. März ist zwar noch offen dürfte jedoch wohl nur mehr eine Formsache sein. Es bleibt festzuhalten, dass mit harten Bandagen gestritten wird und dabei weniger der Ausgang als vielmehr die veritable Höhe der einzelnen Posten offen bleibt – das sieht man auch daran, dass der 500 Milliarden Euro schwere Infrastruktur-Etat innerhalb eines Tages um die oben genannten 100 Milliarden Euro Klimazuwendung beschnitten wurde. Insofern bleibt abzuwarten, welche Unternehmen und Akteure am Ende die Dusche unter der Staatsgießkanne tatsächlich genießen dürfen und vor allem – wie lange?