Liebe Leserinnen und Leser,

es gibt Tage an der Börse, an denen die Realität die Prognosen nicht nur überholt, sondern sie genüsslich widerlegt. Der heutige Montag ist ein solcher Tag. Während wir uns hierzulande fast schon behaglich in der „German Angst“ eingerichtet haben, lieferte das Statistische Bundesamt am Morgen Zahlen, die manch einen Analysten dazu brachten, seinen Kaffee zu verschlucken.

Doch Vorsicht: Wenn die statistischen Schlagzeilen jubeln, lohnt sich der Blick in den Maschinenraum. Denn während die Industrie ein unerwartetes Lebenszeichen sendet, rollt an der Insolvenzfront eine Welle auf uns zu, die wir seit über einem Jahrzehnt nicht mehr gesehen haben. Und mitten in diesem makroökonomischen Vexierspiel explodiert der Kurs eines Duisburger Stahlhändlers, weil das Kapital aus den USA ruft.

Willkommen in einer Woche, die mit einem Paukenschlag beginnt und am Mittwoch bei der US-Notenbank ihr großes Finale sucht.

Das statistische Aufbäumen

Beginnen wir mit der Überraschung des Morgens. Die Erwartungshaltung der Ökonomen für die deutsche Industrieproduktion im Oktober war mit einem prognostizierten Plus von 0,4 Prozent bescheiden. Die Realität strafte den Pessimismus Lügen: Ein Anstieg von satten 1,8 Prozent im produzierenden Gewerbe steht zu Buche. Das ist der stärkste Zuwachs seit März.

Bevor wir jedoch in Euphorie verfallen, müssen wir die Lupe ansetzen. Wer treibt diesen Aufschwung? Es sind der Bau (+3,3 %) und der Maschinenbau (+2,8 %). Das Sorgenkind bleibt – wenig überraschend – die Automobilindustrie, deren Output um 1,3 Prozent schrumpfte.

Hier zeigt sich das Paradoxon unserer aktuellen Lage: Während die Fließbänder im Oktober schneller liefen, meldet die Creditreform heute alarmierende Zahlen zur Unternehmensgesundheit. Die Auskunftei beziffert die Zahl der Firmenpleiten für das Gesamtjahr 2025 auf 23.900 Fälle – ein Anstieg von über 8 Prozent gegenüber dem Vorjahr und der höchste Stand seit mehr als zehn Jahren. Die Diagnose ist bitter: Viele Betriebe sind hoch verschuldet, und die strukturellen Belastungen durch Energiepreise und Regulierung fordern ihren Tribut.

Das Fazit zum Wochenstart: Die deutsche Wirtschaft ist nicht tot, sie zuckt sogar kräftig. Aber wie auch der BDI mit seiner Prognose eines weiteren Produktionsrückgangs für 2025 (-2 %) mahnt, ist es ein Aufbäumen auf niedrigem Niveau.

Wenn der „Rust Belt“ ruft: Klöckner im Fokus

Während der Gesamtmarkt (DAX +0,2 % auf ca. 24.070 Punkte) heute Mittag in Lauerstellung verharrt, spielen sich bei einem alten Bekannten aus dem Ruhrgebiet dramatische Szenen ab. Die Aktie von Klöckner & Co schoss heute Vormittag zeitweise um über 20 Prozent in die Höhe.

Der Grund ist klassische Übernahmefantasie mit einem konkreten Kern: Der Duisburger Stahlhändler bestätigte Verhandlungen mit dem US-Konkurrenten Worthington Steel. Die Amerikaner prüfen bereits die Bücher.

Das Narrativ hier ist spannend und lehrreich zugleich: Deutsche Industrie-Assets sind – gemessen an ihrer Substanz und im internationalen Vergleich – günstig. Dass nun ein US-Player nach einem deutschen Traditionsnamen greift, passt ins Bild einer globalen Konsolidierung. Für Aktionäre ist es ein warmer Geldregen in kalten Zeiten; für den Standort Deutschland eine weitere Erinnerung daran, dass wir Gefahr laufen, zur Schnäppchen-Theke für ausländisches Kapital zu werden.

Apropos M&A: Auch in den USA brodelt es. Der gigantische Deal zwischen Netflix und Warner Bros. Discovery stößt auf politischen Widerstand – Donald Trump warnte gestern vor der Marktmacht des Streaming-Riesen.

Krypto-Winter im Dezember?

Ein Blick auf die digitalen Assets, die heute Morgen viele Nerven strapazieren: Bitcoin hat eine brutale Korrektur hinter sich. Vom Allzeithoch bei rund 126.000 US-Dollar ging es in den letzten Tagen steil bergab – heute notieren wir im Bereich von 91.000 bis 92.000 US-Dollar. Das entspricht einem Minus von fast 30 Prozent seit dem Rekord.

Was steckt dahinter? Analysten verweisen auf einen „Yen-Schock“ und die Angst vor einer Zinserhöhung der Bank of Japan – ein Risiko, das wir bereits am Freitag thematisiert hatten. Wenn der Yen teurer wird, geraten die beliebten Carry-Trades unter Druck, was Liquidität aus Risiko-Assets wie Krypto saugt. Der „Fear & Greed Index“ für den Sektor ist auf „Extreme Fear“ gefallen.

Doch antizyklische Investoren horchen auf: On-Chain-Daten deuten darauf hin, dass sogenannte „Whales“ (Großinvestoren) die Panik nutzen, um massiv Bitcoin aufzukaufen. Die Hoffnung ruht nun auf dem Mittwoch: Die Märkte preisen eine Wahrscheinlichkeit von fast 90 Prozent ein, dass die US-Notenbank Fed die Zinsen senkt. Sollte Jerome Powell liefern, könnte das der Startschuss für die viel beschworene „Santa-Rallye“ sein.

Gewinner und Verlierer des Tages

Abseits der großen Makro-Themen bewegen Einzelwerte das Parkett:

  • Bayer (+): Totgesagte leben länger? JPMorgan hat das Kursziel für die Leverkusener auf 50 Euro verdoppelt und sieht die Verbesserungen im Pharma- und Agrargeschäft im aktuellen Kurs nicht abgebildet. Die Aktie reagiert heute mit Kursgewinnen und setzt ihre jüngste Erholung fort.
  • Schott Pharma (-): Ganz anders die Stimmung beim Mainzer Spezialglashersteller. Nach einer Gewinnwarnung am Donnerstag und frischen Analysten-Abstufungen (Deutsche Bank, Barclays) fällt die Aktie heute auf neue Rekordtiefs. Ein klassisches „Falling Knife“, in das man besser nicht hineingreift.
  • ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS): Während die Mutter ThyssenKrupp oft schwächelt, brummt das Marinegeschäft. Der Auftragsbestand liegt bei stolzen 18,2 Milliarden Euro. Rüstung und Sicherheit bleiben verlässliche Konjunkturtreiber.

Was diese Woche noch wichtig wird

Der heutige Montag war nur das Vorgeplänkel. Alle Augen richten sich auf den Mittwochabend. Die Zinsentscheidung der Fed (20:00 Uhr MEZ) samt anschließender Pressekonferenz (20:30 Uhr MEZ) ist das letzte große geldpolitische Event des Jahres 2025.

Die Märkte erwarten eine Senkung um 25 Basispunkte. Doch viel wichtiger wird der Tonfall von Jerome Powell sein. Wird er die Zinswende für 2026 bestätigen oder angesichts der hartnäckigen Inflation (PCE-Daten) auf die Bremse treten?

Bis dahin gilt: Lassen Sie sich von der Volatilität bei Bitcoin oder den Kurssprüngen bei Klöckner nicht nervös machen. Es ist eine Woche der Entscheidungen.

Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Start in diese spannende Börsenwoche.

Herzlichst,

Ihr
Eduard Altmann