Liebe Leserinnen und Leser,

es gibt Tage, an denen die Börse nicht der Spiegel der Wirtschaft ist, sondern ihr Zerrbild. Wenn Sie heute Morgen auf die Kurstafeln schauen, blicken Sie in eine scheinbar heile Welt: Der DAX notiert bei über 24.150 Punkten, ein Plus von 0,4 Prozent zum Handelsstart. Die Rekordjagd scheint ungebrochen.

Doch wer den Vorhang beiseite zieht und in den Maschinenraum der Deutschland AG blickt, sieht keinen Glanz, sondern Rauch aufsteigen. Während die Finanzmärkte von der Hoffnung auf billiges Geld aus Washington getragen werden, liefert die Realwirtschaft in Essen und bei den Exportdaten ein düsteres Kontrastprogramm. Wir erleben einen Dienstag, der fast schon schizophren anmutet – ein gefährlicher Spagat zwischen monetärer Hoffnung und industrieller Realität.

Hier ist, was Sie heute wissen müssen.

Die Ruhe vor dem Zins-Sturm

Die Stille an den Märkten ist trügerisch. Heute beginnt in Washington das zweitägige Treffen der US-Notenbank Federal Reserve, und selten war die Diskrepanz zwischen kurzfristiger Gewissheit und langfristiger Sorge so greifbar.

Für den morgigen Mittwoch scheint das Drehbuch geschrieben: Die Märkte haben eine Zinssenkung um 25 Basispunkte mit einer Wahrscheinlichkeit von fast 90 Prozent eingepreist. Das ist der einfache Teil. Das eigentliche Drama spielt sich auf der Zeitachse dahinter ab. Investoren blicken zunehmend nervös auf das Jahr 2026. Mit dem nahenden Ende der Amtszeit von Jerome Powell und dem Druck der neuen Trump-Administration, die offen für „deutlich niedrigere Zinsen" kampagnisiert, steht nichts Geringeres als die Unabhängigkeit der mächtigsten Notenbank der Welt auf dem Prüfstand.

Die Wall Street übt sich daher in einer Disziplin, die Beobachter als „Wassertreten" bezeichnen. Auch der DAX vollzieht eine Rallye mit angezogener Handbremse. Die Sorge im Parkettgeflüster: Eine „falkenhafte Zinssenkung" könnte signalisieren, dass nach dem morgigen Schritt erst einmal Pause ist. Ein Szenario, das die aktuelle Hochstimmung schneller abwürgen könnte, als es den Bullen lieb ist.

Thyssenkrupp: Ein Gigant wankt

Der härteste Realitätscheck kommt heute aus Essen. Die Aktien von Thyssenkrupp gerieten massiv unter Druck, stürzten zeitweise um bis zu 10 Prozent ab und rissen wichtige technische Marken. Der Auslöser ist eine Prognose, die man kaum anders als desaströs bezeichnen kann.

Für das Geschäftsjahr 2025/26 erwartet der Konzern einen Nettoverlust von 400 bis 800 Millionen Euro. Die Sanierung der Stahlsparte – einst der Stolz der deutschen Industrie – verschlingt mittlerweile Unsummen für Rückstellungen. Zwar konnte im abgelaufenen Jahr noch ein Gewinn verbucht werden, doch der Ausblick offenbart die ganze Brutalität der notwendigen Transformation.

Diese Hiobsbotschaft steht nicht isoliert. Sie korrespondiert erschreckend präzise mit den neuesten Exportdaten: Die deutschen Ausfuhren in die USA sind im Oktober um fast 8 Prozent eingebrochen, das Geschäft mit China schrumpfte um knapp 6 Prozent. Wenn Thyssenkrupp hustet und der Export schwächelt, hat die „Old Economy" mehr als nur einen Schnupfen – selbst wenn der DAX, getrieben von Dienstleistern und Tech-Hoffnung, eine andere Geschichte erzählt.

Geopolitik als Geschäftsmodell

Während die deutsche Industrie mit sich selbst ringt, definiert US-Präsident Donald Trump die Regeln des globalen Tech-Handels neu. Was wir derzeit bei Nvidia beobachten, lässt sich je nach Lesart als genialer Schachzug oder geopolitische Schutzgelderpressung interpretieren.

Das dominierende Thema im Tech-Sektor: Nvidia darf seine hochleistungsfähigen H200-KI-Chips nun doch nach China verkaufen. Die Blockaden der Biden-Ära werden gelockert, aber zu einem Preis. Die US-Regierung verlangt eine 25-prozentige Abgabe auf die Erlöse dieser Verkäufe.

Das Kalkül dahinter ist faszinierend: Washington lässt US-Technologie zum globalen Standard werden (und verhindert so, dass China zu schnell eigene Alternativen hochzieht), schöpft aber gleichzeitig Kapital ab. Doch ob Peking dieses Spiel mitspielt, ist fraglich. Erste Berichte deuten darauf hin, dass China den Zugang zu den Chips trotz der US-Erlaubnis beschränken könnte, um die eigene technologische Unabhängigkeit nicht zu gefährden. Für Nvidia ist es ein Ritt auf der Rasierklinge: Der riesige chinesische Markt öffnet sich einen Spalt breit, doch die politische Unsicherheit bleibt maximal.

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Genau zu diesem Thema hat Börsenexperte Bernd Wünsche eine tiefgehende Analyse durchgeführt. In seinem kostenlosen Webinar zeigt er, welche 4 Chip-Aktien vom KI-Boom profitieren könnten – und warum Nvidia nur der Anfang ist. Sie erfahren, wie Sie als Anleger von der Halbleiter-Revolution positioniert sein sollten, während Regierungen hunderte Milliarden in diese Schlüsseltechnologie investieren. Webinar: Die 4 Chip-Aktien für die KI-Revolution

Münchener Kontinuität & Stuttgarter Wüsten-Wette

Auch in der deutschen Autoindustrie werden heute Weichen gestellt, die weit über den Tag hinausreichen.

Bei BMW herrscht nun Klarheit in der K-Frage: Milan Nedeljkovic, bisher Produktionsvorstand, wird am 14. Mai 2026 das Steuer von Oliver Zipse übernehmen. Es ist eine Entscheidung für Kontinuität, aber auch ein klares Bekenntnis zum Ingenieurs-Fokus in Zeiten, in denen Software oft als der einzige Heilsbringer gilt.

Konkurrent Mercedes-Benz sucht sein Heil derweil in der Flucht nach vorn – und in die Ferne. In einer heute bekanntgegebenen Kooperation mit dem chinesischen Anbieter Momenta wird Mercedes eine Robotaxi-Flotte in Abu Dhabi auf die Straße bringen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Während in Europa über Regulierung und Lieferkettengesetze gestritten wird (die in Brüssel gerade für kleinere Firmen abgeschwächt wurden), findet die technologische Umsetzung der Zukunft im Nahen Osten statt – mit deutscher Hardware und chinesischer Software.

Krypto: Warten auf Godot (oder Powell)

Auch das „digitale Gold" wartet auf die Fed. Bitcoin verharrt in einer engen Handelsspanne um die 90.000 US-Dollar. Die Luft scheint nach der jüngsten Rallye etwas dünn geworden zu sein, das Open Interest stagniert. Krypto-Investoren wissen genau: Die Liquidität, die den Bitcoin-Kurs treibt, wird morgen Abend in Washington dosiert.

Fazit

Der heutige Tag führt uns eindrücklich vor Augen, dass Börse und Wirtschaft oft zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Wir haben einen DAX, der von der Hoffnung auf Zinssenkungen lebt, und eine Industrie (siehe Thyssenkrupp), die unter den Strukturproblemen und der geopolitischen Fragmentierung ächzt.

Für Sie als Anleger bedeutet das: Vorsicht vor der Index-Illusion. Schauen Sie genau hin, wer steigt und wer fällt. Die Schere zwischen den Gewinnern der neuen Ära (KI, Tech, Rüstung) und den Verlierern der Transformation (Stahl, klassischer Export) geht heute wieder ein Stück weiter auf.

Ich wünsche Ihnen einen erkenntnisreichen Dienstag.

Herzlichst,

Ihr Andreas Sommer