BÖRSE EXPRESS: Sie sind Österreichs Spezialist für Nachhaltiges Investment und unterstützen Kunden bei der Entwicklung und Umsetzung von Anlagestrategien, beispielsweise durch Nachhaltigkeits-Research. „Technologisches Herz“ ist das rfu Nachhaltigkeitsmodell für Unternehmen und Staaten und seit 2019 auch für Rohstoffe. Sie wenden also dasselbe Modell sowohl für Unternehmen als auch für Rohstoffe, also für Industrie- und Edelmetalle, fossile Energieträger und Agrarrohstoffe, an. Ich stelle mir das schwierig vor, gibt es da nicht große Unterschiede, z.B. bezüglich Quantifizierbarkeit und Gewichtung?

REINHARD FRIESENBICHLER: Es ist anders als bei den Unternehmen, aber es ist die gleiche Ratingskala, sodass man vergleichen kann. Wir konstruieren beispielsweise eine hypothetische Welt-Kupfer-AG. Insofern ist es essentiell, dass wir ein Unternehmensmodell haben, das schon etabliert ist und sich bewährt hat. Wir nehmen ein Gutteil der Kriterien, die für ein Unternehmen aus der Metallindustrie, aus der Food & Beverage-Branche und aus der Energiebranche bereits vorhanden sind. Dieses Raster legen wir darüber und daraus ergeben sich zum Großteil die Gewichtungen.

Die Arbeit gegenüber der Unternehmensanalyse unterscheidet sich vor allem dadurch, dass man viele gute globale wissenschaftlich aufbereitete Daten hat. Man weiß ziemlich genau, wie viel Prozent des Kupfers wird in welchem Land gefördert, wird mit welcher Technologie abgebaut und verhüttet, wird dann wohin transportiert zur Weiterverarbeitung. Das nennt sich Materialflussanalyse und ist eine eigene Disziplin der modernen Umweltwissenschaft.

 

Diese Daten gibt es auch für Agrarrohstoffe?

Ja. Hier ist man nur manchmal überrascht, wie wenig Agrarrohstoffe als Nahrungsmittel Verwendung finden. Viele dieser Rohstoffe gehen ja mehrheitlich ins Tierfutter ein oder dienen zu einem guten Teil als Basis für Treib- oder Kunststoffe.

 

Wo liegen nun die größten Herausforderungen des Nachhaltigkeitsratings für Rohstoffe im Vergleich zu jenem für Unternehmen?

Das ist zum Teil die Unterschiedlichkeit der Rohstoffe. Da sind wir drauf gestoßen, weil wir seit kurzem auch die CO² Emission Allowances – also die CO²-Emissionszertifikate – analysieren, bei denen wir uns schwer getan haben, sie ins Schema der anderen Rohstoffe zu integrieren. Zum Teil ist es auch eine Herausforderung, die Mikro-Makro-Daten-Verbindung zu bekommen. Im Klartext: Bei Unternehmen recherchierte man nach Kontroversen, z.B. gab es in der Fabrik einen Streik. Das machte man auch bei Rohstoffen, nur geht es hier um ein Weltmarktniveau. Das heißt, es ist schwieriger, diese einzelnen Kontroversen zu aggregieren und in Relation zu bringen. Sprich, ein Streik bei einem Unternehmen ist vielleicht ein großer Impact und führt zu einem Minus, aber umfasst bei weitem nicht die gesamte Kupferindustrie. Aber man kann trotzdem bei manchen Aspekten nicht auf die Mikrodaten verzichten.

 

Sie arbeiten mit demselben Team, das auch das Nachhaltigkeitsrating macht?

Ja, aber es gibt zwei Mitarbeiter, die das Rohstoffrating schwerpunktmäßig machen. Und unser Länderteam arbeitet zu. Die Bewertung des globalen Produktionsmix, also wie viel Metall kommt aus welchem Land, ist überhaupt nur möglich, weil wir die Staaten voll abdecken. Wir nehmen uns die Länderanalysen her, ziehen die jeweils relevanten Kriterien heraus, in dem Fall um den Impact auf Mitarbeiterbeziehungen zu messen und generieren damit einen Ausgangspunkt auf der Ratingskala von minus zehn bis plus zehn. Beispielsweise bei Nickel werden 25 Prozent in Indonesien, 14 Prozent in den Philippinen, elf Prozent in Russland, neun Prozent in Neukaledonien und sieben Prozent in Kanada produziert. Dann generieren wir aus 25 Prozent mal Arbeitsrechte in Indonesien, plus 14 Prozent mal Arbeitsrechte auf den Philippinen usw. den sogenannten Basis Impact, der in diesem Fall negativ ist, wie meist bei den Rohstoffen aufgrund der geografischen Exposition. Das war die soziale Komponente des Ratings, das gibt es für alle anderen ESG-Aspekte auch.

 

Beim Umweltaspekt wiegt die geografische Exposition wahrscheinlich ebenso schwer, oder?

Ja, da gibt es unterschiedliche umweltrechtliche Rahmenbedingungen. Ich kann davon ausgehen, eine Mine in Schweden unterliegt anderen, nämlich besseren, umweltrechtlichen Rahmenbedingungen als eine in Indonesien.

 

Kann man das so pauschal sagen, die Produktion von Rohstoffen im Osten und Süden des Globus ist hinsichtlich des sozialen und umwelttechnischen Aspekts schlechter gestellt als im Westen und Norden?

Ja, tendenziell schon. Aber man darf hier eines nicht vergessen: dies ist nur der Startwert. Sehr wohl hat dann ein Rohstoff, der tendenziell „schlechter“ abgebaut wird, die Möglichkeit, sich zu verbessern. Nämlich dann, wenn wir die Top-Ten-Produzenten analysieren, mit denen man bei manchen Rohstoffen einen wesentlichen Teil abdecken kann. Da kann man sich anschauen, haben diese vielleicht, abweichend vom Durchschnitt, tendenziell bessere Arbeitsrechtsstandards, obwohl sie in Indonesien sitzen usw. Trotzdem, die Produktionsdimension der Rohstoffe ist fast immer negativ. Etwas invasiv aus dem Boden zu holen geht einfach nicht nachhaltig.

 

Käme ein Rohstoff in der Produktionsdimension dann überhaupt ins Plus der Ratingskala?

Ja, bei einer hohen Recyclingquote. Insofern ist ein hohes Preisniveau bei den Rohstoffen gar nicht schlecht, denn das motiviert dazu, mehr und effizientere Recyclingtechnologien anzuwenden. Das passiert übrigens im Regelfall in Ländern, wo die Arbeitsstandards besser sind.

 

Wie schnell verändern sich die Ratings der Rohstoffe im Zeitablauf?

Natürlich sind Rohstoffratings wesentlich statischer als Unternehmensratings. Aber wir sehen in den letzten zweieinhalb Jahren, seit wir das Rohstoffrating machen, gewisse Dynamiken auch in dieser kurzen Zeit. Insbesondere bei den Industriemetallen, Stichwort Energiewende. Zum Beispiel Nickel und Kupfer werden in einer Welt der Erneuerbaren Energien, der Elektromobilität, der Stromspeicherung völlig neue Bedeutung bekommen.

 

Jetzt sprechen wir nicht mehr von der Dimension Produktion bzw. vom Produktionsmix, sondern vom Nutzungsmix?

Genau. Wieder zum letzten Beispiel Nickel. Hier werden derzeit elf Prozent im Bereich Elektrotechnik und Elektronik genutzt. Dieser Nutzungsbereich wird in den nächsten zwei bis drei Jahren deutlich an Bedeutung gewinnen, z.B. wegen der Verwendung von Nickel in Batterien. Aber das Delta im Gesamtrating wirkt sich erst an der zweiten Kommastelle aus.

 

Was sind denn nun die dynamischsten Faktoren?

Die beiden dynamischsten Faktoren sind der Nutzungsmix und die Recyclingquoten. Bergbautechnologien sind dagegen seit Jahrzehnten dieselben und die Lagerstätten bleiben, wo sie sind. Da gibt es in der Regel auch keine großen Überraschungen mehr.

 

Was ist das Ziel und wer ist die Zielgruppe dieses Nachhaltigkeitsratings für Rohstoffe? Impact kann ja ein Investor damit nicht erzielen, im Gegensatz zum Anleger in nachhaltige Aktien- oder Anleihefonds, oder?

Nein, Impact in diesem Sinn gibt es keinen. Aber was wir in der kurzen Zeit sehen, sind einzelne Börsen, die sich Gedanken machen, ob sie nachhaltig orientierte Kontrakte entwickeln sollen. Beispiel: Bei der LBMA (London Bullion Market Association) sind Goldbarren von LBMA-zertifizierten Herstellern zum Handel zugelassen. Als Teil dieser Zertifizierung gilt die Einhaltung der Standards des LBMA Responsible Sourcing Program. Ziel sollte sein, dass es in zehn Jahren nachhaltige Kontrakte auf jeden wichtigen Rohstoff gibt, sprich neben z.B. dem Aluminiumkontrakt möge es dann einen ESG-orientierten Aluminiumkontrakt geben, mit hoher Recyclingquote und sowohl ökologischen als auch arbeitsrechtlichen Mindeststandards. Unsere Zielgruppe ist überschaubar und besteht vor allem aus Rohstofffondsgesellschaften und Index-Providern.

 

Welcher Rohstoff hat denn das schlechteste Rating?

Das Weltmarktrind, das auf einer Weide in Brasilien lebt, die entstanden ist, weil man Regenwald abgeholzt hat, das mit gentechnisch verändertem Soja gefüttert und unter miesen Arbeitsbedingungen gehalten, geschlachtet und mit Flieger oder gar Schiff nach Europa verfrachtet wird. So unnachhaltig muss Rind aber nicht grundsätzlich sein. Ein Gutteil des schlechten Rufes, den Rohstoffe oft zurecht haben, kommt nämlich daher, dass dem das undifferenzierte Weltmarktprodukt zugrunde liegt und nicht irgendeine Spezifikation, auf die es noch keinen Kontrakt gibt. Denn wir müssen uns an die Kontrakte halten, die es an den Börsen gibt.

Um Ihnen das z.B. beim Gold vor Augen zu führen: Mittlerweile zählen wir auch Produktanbieter zu unseren Kunden, z.B. jemand, der zertifiziertes bzw. nachhaltiges Gold in Form von Barren verkauft. Während Weltmarktgold ein Rating von -4,4 hat – das schlechteste unter den Metallen –, kommen wir beim LBMA-zertifizierten Gold auf -2 und z.B. Gold eines unserer Schweizer Kunden, das er in der Schweiz aus Elektronikschrott herstellt, kommt schon in den positiven Bereich. Allerdings bleibt das Nutzungsrating auch für Recycling-Gold gleich schlecht, weil ein Großteil davon in die Schmuckerzeugung geht.

 

Wie stehen Sie dazu, dass Agrarrohstoffe von Investments aus Nachhaltigkeitsgründen pauschal ausgeschlossen werden?

„Ex Agriculture“ ist ein ziemlich weit verbreiteter Ansatz bei nachhaltigen Rohstoffinvestments. Jedoch kann man auch innerhalb der Agrarrohstoffe eine ähnliche Differenzierung beobachten, wie bei den Metallen.

 

Wie oft wird das Rating aktualisiert und gibt es neue Entwicklungen?

Wir aktualisieren alle zwei Jahre und dazwischen erweitern wir die Coverage. Zu unseren neuesten ungefähr ein Dutzend Rohstoffen gehören Pulp (Zellstoff), Ethanol, Lumber (Holz) und die schon erwähnten CO²-Emissionszertifikate.

 

Letzte Frage: Ist es mit dem derzeitigen Rohstoff-Kontrakt-Universum möglich, ein sehr anspruchsvoll nachhaltiges Investment zu tätigen?

Nein, das muss uns klar sein. Dunkelgrün wird das nicht. Auf der Rating-Skala zwischen minus zehn und plus zehn bewegen wir uns beim Gros der Rohstoffe von Null abwärts. Das ändert sich aber zunehmend mit neuen Kontrakten und der erweiterten Coverage, wo z.B. die CO²-Emissionszertifikate sehr wohl im positiven Bereich geratet werden. 

 

 

 

Aus dem Börse Express PDF von 28. Jänner hier zum Download

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