Zwischen Zollkrieg und Zinshoffnung: Wenn Handelskonflikte die Märkte neu ordnen

Guten Tag,

während in Washington die längste Haushaltssperre der US-Geschichte die Wirtschaft lähmt, zeichnet sich an den Finanzmärkten eine paradoxe Entwicklung ab: Gold klettert auf Rekordkurs Richtung 4.000 Dollar, der Dollar schwächelt – und Europas Exporteure rechnen nervös nach, wie teuer der neue Protektionismus wird. Was nach chaotischer Gemengelage klingt, offenbart bei genauerem Hinsehen eine tektonische Verschiebung im Welthandel. Eine Verschiebung, die deutsche Unternehmen besonders hart trifft.

Zollschock trifft deutsche Exporteure mit voller Wucht

Die Zahlen sind ernüchternd: Ein Viertel der deutschen Exporte ist mittlerweile von Zöllen betroffen – 2023 waren es gerade einmal 2 Prozent. Diese dramatische Entwicklung, die Allianz Trade in seiner aktuellen Welthandelsstudie dokumentiert, markiert einen Wendepunkt für Deutschlands Geschäftsmodell. Seit Jahresbeginn wurden weltweit 309 neue Zölle eingeführt, fast doppelt so viele wie im gesamten Vorjahr. Das betroffene Handelsvolumen hat sich nahezu verdreifacht und umfasst nun Waren im Wert von 2,7 Billionen Dollar – knapp ein Fünftel der weltweiten Importe.

Für Unternehmen wie Krones, den Abfüllanlagenhersteller aus der Oberpfalz, bedeutet das konkret: Die Produktionskapazitäten sind bis Mitte 2026 ausgelastet, doch die Margen geraten unter Druck. Trotz leichtem Umsatzplus im dritten Quartal musste das Unternehmen mit Restrukturierungskosten und einem schwierigen Marktumfeld kämpfen. Der Automobilsektor, traditionell Deutschlands Exportlokomotive, leidet besonders: Schwache Zahlen aus China, wo die Importe zwar um 8,2 Prozent stiegen, aber vor allem wegen hoher Raffinerieauslastung beim Öl – nicht wegen deutscher Premiumfahrzeuge.

Friendshoring: Wenn Politik Handelsrouten neu zeichnet

Was Ökonomen nüchtern "geopolitische Fragmentierung" nennen, verändert ganz konkret die Weltkarte des Handels. Allianz Trade hat errechnet: Steigt die geopolitische Distanz zwischen zwei Ländern um 10 Prozent, schrumpft ihr bilateraler Handel um etwa 2 Prozent. Das klingt abstrakt, manifestiert sich aber in handfesten Verschiebungen: Der Handel innerhalb Asiens ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten um 337 Prozent gewachsen, Chinas Exporte nach Lateinamerika um 412 Prozent, nach Subsahara-Afrika um 161 Prozent.

Europa reagiert mit eigenen Anpassungen. Die EU-Binnenhandelsströme legten um 38 Prozent zu – Unternehmen suchen Sicherheit in der Nähe. Gleichzeitig entstehen neue Handelsdrehkreuze: Die Vereinigten Arabischen Emirate führen das Allianz-Trade-Ranking der "Next Generation Hubs" an, gefolgt von Vietnam, das von seiner Nähe zu China und einem neuen Zollabkommen mit den USA profitiert. Saudi-Arabien springt um elf Plätze nach vorne, Kasachstan etabliert sich als eurasische Logistikbrücke.

Für europäische Häfen bedeutet das zweierlei: Einerseits profitieren sie von starker Infrastruktur und politischer Stabilität. Andererseits drohen vor allem im Süden zunehmende Klimarisiken – Dürren, die Wasserstände senken, Stürme, die Terminals beschädigen. Der Hamburger Hafen, als Tidehafen besonders von Wasserständen abhängig, steht exemplarisch für diese Herausforderung.

Goldpreis und Dollar: Wenn Unsicherheit zu Kapital wird

An den Finanzmärkten schlägt sich die Verunsicherung in einer bemerkenswerten Flucht in sichere Häfen nieder. Gold notiert bei über 4.000 Dollar pro Unze, der Dollarindex rutschte unter die 100-Punkte-Marke – ein seltenes Zusammentreffen. Auslöser waren schwache US-Arbeitsmarktdaten: Im Oktober verlor die amerikanische Wirtschaft erstmals seit langem Stellen, vor allem im Regierungs- und Einzelhandelssektor. Künstliche Intelligenz und Kostensenkungen führen zu Entlassungswellen, der Regierungsstillstand verschärft die Lage.

Die Märkte preisen nun eine Zinssenkung der Federal Reserve am 10. Dezember mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit ein. Das schwächt den Dollar, macht Gold attraktiver – und stellt die Europäische Zentralbank vor ein Dilemma. Während die Fed möglicherweise den Fuß vom Bremspedal nimmt, kämpft die EZB weiter gegen eine Inflation, die zwar gesunken ist, aber hartnäckig über dem Zwei-Prozent-Ziel verharrt.

Anzeige
Apropos Kapitalverlagerung: Während klassische Anlageklassen wie Währungen und Rohstoffe an Stabilität verlieren, erleben Zukunftstechnologien ihren eigenen Aufschwung. Vor allem im Halbleitersektor entstehen neue strukturelle Gewinner, die von geopolitischen Verschiebungen und Milliarden-Investitionen in den USA und Europa profitieren. Wer verstehen will, welche Unternehmen jetzt zum „Rückgrat“ der neuen Weltordnung werden, findet hier eine fundierte Analyse zu den aktuellen Chancen im Chip-Sektor: Die neue Nvidia – Report zu Europas Technologierevolution

Wenn Klimawandel Lieferketten kappt

Neben Geopolitik und Protektionismus etabliert sich ein dritter Unsicherheitsfaktor: der Klimawandel. Allianz Trade identifiziert den Suez- und den Panamakanal als Hochrisiko-Engpässe – nicht nur wegen politischer Spannungen, sondern auch wegen sinkender Wasserstände. Der Jangtse in China, Europas Donau und Rhein: Überall behindern Dürren den Gütertransport.

Für Unternehmen bedeutet das: Resilienz kommt vor Effizienz. "Waren besser später als gar nicht" ist die neue Maxime, wie Jasmin Gröschl von Allianz Trade formuliert. Längere Transportwege sind das kleinere Übel im Vergleich zu komplett unterbrochenen Lieferketten. Dieser Paradigmenwechsel treibt Investitionen in alternative Routen und redundante Strukturen – was kurzfristig Kosten erhöht, langfristig aber Überlebensfähigkeit sichert.

Ausblick: Navigation im Nebel

Die kommenden Wochen werden zeigen, ob die Fed tatsächlich die Zinswende einleitet und wie Europa darauf reagiert. Nächste Woche trifft sich die EZB zu ihrer Ratssitzung – die Märkte erwarten Signale, wie die Notenbank die Balance zwischen Inflationsbekämpfung und Wachstumsunterstützung justiert. Gleichzeitig läuft die Berichtssaison für das dritte Quartal aus: Die Zahlen von Krones, Cenit und anderen Mittelständlern zeigen, dass deutsche Unternehmen zwar operativ stark sind, aber unter dem Druck steigender Kosten und schrumpfender Margen leiden.

Der Welthandel wächst 2025 laut Allianz Trade nur um magere 2 Prozent – und mehr als die Hälfte davon ist kein echtes Wachstum, sondern Umleitung, Vorzieheffekte und Diversifizierung. Für 2026 und 2027 wird es noch schwächer: 0,6 und 1,8 Prozent. Das ist keine Rezession, aber es ist das Ende der Globalisierungseuphorie.

Eine Frage bleibt: Wird Europas Wirtschaft lernen, in dieser fragmentierten Welt nicht nur zu überleben, sondern zu prosperieren? Die Antwort liegt weniger in Brüsseler Verordnungen als in der Anpassungsfähigkeit von Unternehmen, die verstehen, dass die Zukunft des Handels regional, resilient und klimabewusst sein muss.

Einen aufmerksamen Wochenausklang wünscht

Eduard Altmann
Freitagnachmittag, 7. November 2025