Zwischen Trump-Zöllen und Powell-Poker: Deutschlands Wirtschaft sucht den Ausweg

Liebe Leserinnen und Leser,
während sich heute Nachmittag alle Augen auf Jackson Hole richten, wo Fed-Chef Jerome Powell gleich seine mit Spannung erwartete Rede hält, offenbart sich in deutschen Amtsstuben eine bittere Wahrheit: Die Rezession ist tiefer als gedacht, und der Weg hinaus wird steiniger als erhofft.
Das deutsche Dilemma: Wenn Vorzieheffekte verpuffen
Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes lesen sich wie eine Chronik angekündigter Enttäuschungen. Minus 0,3 Prozent im zweiten Quartal – statt der zunächst gemeldeten 0,1 Prozent. Was nach statistischer Petitesse klingt, offenbart bei genauerer Betrachtung ein strukturelles Problem: Die deutsche Exportwirtschaft tanzt nach der Pfeife amerikanischer Zollpolitik.
Der Mechanismus ist so simpel wie fatal: Im ersten Quartal orderten US-Unternehmen auf Teufel komm raus deutsche Waren, um Trumps damals noch drohenden Zöllen zuvorzukommen. Das bescherte uns ein Mini-Wachstum von 0,3 Prozent. Doch als die Zölle dann tatsächlich kamen – seit dem 7. August schlagen 15 Prozent auf die meisten EU-Importe zu Buche – brach die Nachfrage ein.
ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski bringt es auf den Punkt: Die "Bremsspuren des Handelskriegs" sind bei der Exportnation Deutschland tiefer als vermutet. Und das Schlimmste: Eine substanzielle Erholung vor 2026 wird "immer unwahrscheinlicher".
Die Generationenfrage: Wenn Ökonomen radikal werden
Während sich die Politik in "Wachstumsbooster" und "Bauturbo" flüchtet – schöne Wortschöpfungen für wenig konkrete Maßnahmen –, werden Deutschlands Ökonomen ungewöhnlich radikal. Marcel Fratzscher, DIW-Chef und nicht gerade als Provokateur bekannt, fordert ein verpflichtendes soziales Jahr für Rentner.
Seine Argumentation: Die Babyboomer hätten die Friedensdividende "verfrühstückt", zu wenige Kinder bekommen und würden sich nun ihrer Verantwortung verziehen. "Wieso sollten ausschließlich die Jungen für diese Lebensentscheidungen der Babyboomer geradestehen?", fragt er und trifft damit einen Nerv.
Die Reaktionen dürften nicht lange auf sich warten lassen. Schon der "Boomer-Soli" vom Juli – eine Sonderabgabe auf Alterseinkünfte – hatte für Empörung gesorgt. Doch die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Während in den 1960ern noch sechs Beitragszahler einen Rentner versorgten, werden es bald nur noch zwei sein.
Die Kassenkrise: Doppelte Zuzahlung als Rettungsanker?
Apropos Finanzierungsprobleme: Die Krankenkassen steuern auf eine Katastrophe zu. Der Bundesrechnungshof warnt vor einem Anstieg der Zusatzbeiträge von derzeit 2,9 auf über 4 Prozent bis 2029. Die Arbeitgeber fordern bereits eine Praxisgebühr, um das "Ärzte-Hopping" einzudämmen.
Jetzt kommt der nächste Vorschlag: Gesundheitsökonom Wolfgang Greiner will die Arzneimittel-Zuzahlungen verdoppeln – von maximal 10 auf 20 Euro pro Medikament. Das würde dem System 2,5 Milliarden Euro zusätzlich einbringen, aber auch dazu führen, dass viele günstige Medikamente komplett aus der Erstattung fallen.
"Besonders unsolidarisch wäre eine Verdopplung der Zuzahlung für chronisch Kranke", warnt der Sozialverband SoVD. In Zeiten, in denen die Inflation bereits am Portemonnaie nagt, könnten solche Maßnahmen zum sozialen Sprengstoff werden.
Die Machtprobe: Jackson Hole und die Märkte
Zurück zu Powell und Jackson Hole. Die Märkte befinden sich in einer merkwürdigen Schwebephase. Noch vor einer Woche lag die Wahrscheinlichkeit für eine September-Zinssenkung bei über 90 Prozent. Jetzt sind es nur noch 70 Prozent.
Der DAX dümpelt knapp unter der 24.300er-Marke, während Analysten rätseln, was Powell sagen wird. "Das Enttäuschungspotenzial ist inzwischen geringer", meint Index Radar trocken. Will heißen: Die Euphorie ist bereits verflogen.
Besonders pikant: Berichte über mögliche Ermittlungen des US-Justizministeriums gegen Fed-Gouverneurin Lisa Cook lassen den Dollar steigen. Die Unabhängigkeit der Notenbank – ein weiteres Opfer der polarisierten US-Politik?
Lichtblicke im Rüstungssektor
Während die Wirtschaft schwächelt, boomt wenigstens eine Branche: Rüstung. Hensoldt und Renk legten gestern kräftig zu, nachdem die Citigroup ihre Verkaufsempfehlungen kassierte. Rheinmetall marschiert weiter Richtung Norden.
Die bittere Ironie: Was Fratzscher als Versäumnis der Vergangenheit anprangert – die vernachlässigte Verteidigung –, wird nun zum Wachstumstreiber. Mit mehr als 100 Milliarden Euro Sondervermögen und der Diskussion über 5 Prozent Verteidigungsausgaben entsteht hier ein neuer Wirtschaftszweig. Ob das die Lösung unserer Probleme ist?
Was bleibt
Die deutsche Wirtschaft steckt in einer Zwickmühle: abhängig von amerikanischen Launen, belastet durch demografischen Wandel, gefangen zwischen Reformstau und Finanzierungskrise. Die radikalen Vorschläge von Fratzscher und anderen zeigen, wie verzweifelt die Suche nach Lösungen ist.
In wenigen Stunden wird Powell sprechen. Vielleicht gibt er den Märkten, was sie hören wollen. Doch die strukturellen Probleme Deutschlands wird auch eine Fed-Zinssenkung nicht lösen. Die brauchen mutigere Antworten als "Wachstumsbooster" und "Bauturbo".
Kommende Woche blicken wir gespannt auf die deutschen Einzelhandelsumsätze (Mittwoch) und die vorläufigen Inflationsdaten für August (Donnerstag). Beides dürfte zeigen, ob wenigstens der Konsum die Wirtschaft noch stützt – oder ob auch diese letzte Säule bröckelt.
Ein Wochenende zum Nachdenken wünscht Ihnen
Ihr Eduard Altmann
PS: Während wir über Rentnerpflichtdienste diskutieren, macht ein anderes Thema leise Fortschritte: Das BSI launcht einen E-Mail-Sicherheits-Check. In Zeiten, in denen 90 Prozent aller Cyberangriffe über E-Mails kommen, vielleicht wichtiger als manche Strukturreform.
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