Rund 2000 Seiten stark ist das Freihandelsabkommen zwischen den Briten und der EU geworden. Es werden also keine Zölle erhoben, aber EU-Standards berücksichtigt werden. Dafür erschweren künftig andere Hindernisse den Handel. Im alltäglichen Warenaustausch muss eine Unmenge an Dokumenten erledigt werden. Ersten Schätzungen zufolge benötigt England dafür 50.000 Zollbeamte - die natürlich derzeit gar nicht vorhanden sind. Die Kosten für den zusätzlichen Bürokratieaufwand werden mit 13 Mrd. Pfund beziffert. Das alles kommt zur Unzeit: Großbritannien steckt in einer der schwersten Wirtschaftskrisen seit dem 2. ­Weltkrieg. Das Bruttosozialprodukt fiel im vergangenen Jahr um fast zehn Prozent, wohl auch mit bedingt durch das anfangs miserable Management der Corona Krise. Das Vereinigte Königreich ist seit dem Brexit-Referendum 2016 von Platz fünf auf Platz sieben der wichtigsten Handelspartner Deutschlands gerutscht und wurde sogar von Polen überholt.

Johnson lässt sich feiern.

Dennoch feiert sich der populistische Premier Boris Johnson und preist das Abkommen als einen Meilenstein an. Doch es ist und bleibt ein harter Brexit. England wird jetzt nicht mehr am Binnenmarkt und in der Zollunion sein. Das besonders Schmerzhafte wird allerdings erst langsam den Menschen auf der Insel klar: Es endet die Freizügigkeit der EU-Bürger. Sogar der Starmusiker Elton John hat mittlerweile auf die Situation in der Musikbranche hingewiesen, die durch den Brexit und die kommende Visumspflicht eine Hürde für internationale Konzerttourneen darstellt.

Die kritischen Nachverhandlungen folgen noch.

Das größte monetäre Problem dieses Abkommens, das so viele Jahre verhandelt wurde und doch überstürzt wirkt, wird sich in der britischen Wirtschaft bald bemerkbar machen. Die traditionell starke Dienstleistungswirtschaft macht rund 80 Prozent des britischen Bruttosozialprodukts aus - und kommt dennoch in diesem Deal kaum vor. So verlieren beispielsweise britische Finanzunternehmen den automatischen Zugang zum EU-Markt. Hier will man bis Ende März noch nachverhandeln, und darin steckt neuer Sprengstoff.

Im Warenaustausch zwischen den Ländern werden der Wegfall der europäischen CE-Kennzeichnungspflicht auf britischen Produkten und die Berücksichtigung der neuen UKCA-Kennzeichnungspflicht zu Schwierigkeiten führen. Das wird bei den Lieferketten quer durch Europa zu Verwirrung und Hindernissen führen. Die Produktionsstätten in England brauchen Zulieferteile vom europäischen Festland.

Das nächste Problem wartet mit Schottland.

Die größten Gegner des Brexits waren bekanntermaßen die Schotten. Deren Referendum zum Austritt aus dem Königreich entschieden 2014 die Befürworter des Verbleibs knapp für sich. Die berechtigte Kritik der Schotten wird sich vorerst darauf konzentrieren, dass Nordirland weiter im Binnenmarkt verbleiben wird, Schottland diese Möglichkeit aber genommen wurde. Die schottische Nationalpartei strebt bereits ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum an. Premier Johnson wird dem niemals seine Zustimmung erteilen - und daher wohl andere Zugeständnisse leisten müssen.

Die Kapitalmärkte bleiben in einer Wartestellung und konzentrieren sich derzeit eher auf die Beherrschung der Corona-Pandemie – das wird sich aber ändern, sobald die Krise abflaut. Es bleibt abzuwarten, wie dann die Märkte reagieren. Zum Feiern gibt es noch keinen Grund - ungeachtet der Tatsache, dass man mit britischen Aktien gemessen am FTSE 100 in den vergangenen 20 Jahren kein Geld verdienen konnte.

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