BÖRSE EXPRESS: Vontobel hat ein Partizipations-Zertifikat aufgelegt – rund um den China New Vision Index -, das Anlegern Zugang zum chinesischen Aktienmarkt bietet. Warum ist das für Anleger überhaupt erstrebenswert? Zweistellige Renditen konnte man zuletzt auch in etablierten Märkten wie USA oder Europa verdienen …

YUN BAI: Erstens hat sich China in den letzten 30 Jahren zur am schnellsten wachsenden Wirtschaft entwickelt und wird voraussichtlich die USA und Europa bis 2050 als die größte Volkswirtschaft der Welt überholen. China hat sich in mehreren schnell wachsenden Bereichen, wie E-Commerce und Robotik, Elektrofahrzeug usw. allmählich zu einem globalen Marktführer entwickelt. Die Wirtschaft ist einfach zu groß, um sie zu ignorieren. Zweitens können zukunftsorientierte Anleger aufgrund der anhaltenden Vereinfachung der Regulierung für den Zugang zum A-Aktienmarkt mit viel weniger Hürden in diese schnell wachsenden Aktien dieses Marktes investieren und ein hohes Renditepotenzial genießen. Drittens bietet China ein stabiles soziales und wirtschaftliches Umfeld mit einem Massenbinnenmarkt und einem guten Angebot an gut ausgebildeten Arbeitskräften. Dies unterscheidet China auch von anderen Emerging Markets als sehr attraktive Anlagemöglichkeit.

 

BÖRSE EXPRESS: Die allgemeine Unterrepräsentanz in den Portfolios liegt mit am erschwerten Marktzugang für Ausländer, auch hat man zumindest von außen den Eindruck, dass man eher ein parteigenehmes Unternehmen finden sollte. bzw. - Stichwort Huawei - kann man auch ins Visier ausländischer Behörden geraten. Sind das mehr Vorurteile als fundiertes Urteil?

YUN BAI: Ich denke, die Unterrepräsentation der chinesischen Aktien hat hauptsächlich zwei Gründe. Die erste ist die Handelsmöglichkeit. Der Stock Connect über Hongkong begann erst 2014, und die Regulierung war anfangs ziemlich komplex, was ausländische Investoren abschreckte. Im Jahr 2020 hat die Behörde gemäß der Richtlinie zur weiteren Öffnung des chinesischen Finanzmarktes für die Welt die Quotenbeschränkungen für die Programme Qualified Foreign Institutional Investor (QFII) und Renminbi Qualified Foreign Institutional Investor (RQFII) aufgehoben und die Regulierung vereinfacht Absicherungsinstrumente für A-Aktien. Die Erleichterung des Handels bietet den Anlegern neue Spielräume. Der zweite Grund ist ein unzureichendes Marktverständnis, da Informationen oft mit politischer Aufmerksamkeit wiedergegeben werden, die als hohes Risiko wahrgenommen werden. Ich denke jedoch, dass sich dieser Punkt mit der weiteren Öffnung des Marktes allmählich verbessern wird.

In Bezug auf „parteifreundliche Unternehmen“ kamen mehrere Forschungsarbeiten zu dem Schluss, dass in China staatseigene Unternehmen auf der Grundlage historischer Daten langfristig dazu neigen, schlechter als private Unternehmen abzuschneiden. Im Laufe der Jahre privatisierte die chinesische Regierung die Unternehmen weiter, um Ressourcen effizient zu verteilen. Daher halte ich es nicht für eine solide Anlagestrategie, parteifreundliche Unternehmen zu finden.

 

BÖRSE EXPRESS: Wenn man sich Chinas aktuellen 5-Jahresplan ansieht könnte man fast einen Switch von der Forcierung der Außenwirtschaft vergangener Tage – Stichwort neue Seidenstraße – hin zur Binnenwirtschaft sehen. Gibt es da neue Präferenzen? Und heißt das dann aber auch, dass ich als Anleger mehr auf die Suche nach nationalen als internationalen Champions gehen sollte. Ist das so ein wenig die Intention des Index? Und da es bei solch Werten in der Regel auch weniger Research gibt, wie werden die Aktien für den Index ausgewählt?

YUN BAI: Tatsächlich zielt der neue Fünfjahresplan darauf ab, China von einer produktions- und investitionsorientierten Wirtschaft zu einer konsumorientierten Wirtschaft zu transformieren. Als Leitlinie für Maßnahmen wird die Regierung den ländlichen Raum weiter urbanisieren, den Lohnauszahlungsstandard erhöhen, das Bildungssystem, das Gesundheitssystem usw. verbessern. Darüber hinaus strebt sie auch mehr qualitativ hochwertige inländische Produkte an, um mehr Binnenkonsum anzuziehen und Technologie und Innovation weiter fördern.

Um die Indexkonstruktion widerzuspiegeln, wählen wir aus den attraktivsten Branchen in jedem Sektor die Unternehmen mit hoher Qualität, ausgedrückt durch die Fundamentaldaten, aus. Wir übergewichten die Sektoren, die im Fünfjahresplan betont werden, z. B. konsumnahe Sektoren, Informationstechnologie usw. Wir berücksichtigen nicht besonders, wo die Aktien notiert sind, sondern verfolgen den „All China“-Ansatz, d.h. wir schauen auf die gesamten Branchentrends und wählen jene Aktien aus, die in unsere Qualitätsbewertung passen. Der Index hält derzeit 40 Prozent in A-Aktien. Der Grund dafür ist, dass es in den letzten Jahren eine Tendenz gab, dass die Tech-Aktien, insbesondere die Internet-Aktien, aufgrund der günstigeren Regulierung als auf dem Festland nach Börsengängen in den USA oder in Hongkong suchen. Ich denke, der Trend wird sich allmählich ändern und mehr Wachstumsaktien werden sich für eine Notierung in Hongkong oder auf dem Festland entscheiden. Unser Auswahlmechanismus kann diesen Übergang erfassen.

 

BÖRSE EXPRESS: Das Portfolio des Index im Vergleich zu einem MSCI-Index: wo liegen branchenseitig die Unter- wo die Übergewichtungen und wie passt das zum bisher Gesagten?

YUN BAI: Der Index übergewichtet weitgehend verbrauchernahe Sektoren, Informationstechnologie und Versorger. Und untergewichtet Kreditfinanzunternehmen, Hypothekenimmobilien und traditionelle Kohle- und Ölförderunternehmen. Die Übergewichtung soll den strategischen 5-Jahresplan widerspiegeln. Die Untergewichtung dieser Branchen trägt dem in den letzten Jahren intensiv diskutierten Risiko hinsichtlich des regulatorischen Risikos von Finanzunternehmen, der hohen Verschuldung des Immobilienmarktes sowie der CO2-Regulierung mit dem 5-Jahres-Plan Rechnung.

 

BÖRSE EXPRESS: Früher wurden Zahlen aus China eher nicht auf die IFRS-Bilanzwaagschale gelegt – hat sich die Bilanzqualität bei Chinas Unternehmen aus Ihrer Sicht verbessert? Oder war das ohnehin ein unbegründetes Vorurteil aus der IFRS / US-Gaap-Welt, die eigentlich selbst mehr Qualitätsprobleme á la Greensill oder Wirecard hat.

YUN BAI: Seit 2006 hat der chinesische Rechnungslegungsstandard die IFRS integriert, obwohl der Unterschied bei der Messung bestimmter Metriken noch besteht. In den letzten Jahren wurden mit der schrittweisen Öffnung der Finanzmärkte die Governance und Transparenz insgesamt verbessert. Die Aktienrenditen richten sich eher nach der Gewinnentwicklung. Dies gibt den Anlegern ein gewisses Maß an Vertrauen. Um das Risiko von Bilanzbetrug zu minimieren, beschränken wir in unserem Index unser Anlageuniversum auf etabliertere Large- und Mid-Cap-Aktien und bauen ein diversifiziertes Portfolio mit Aktien aus verschiedenen Branchen auf.

 

BÖRSE EXPRESS: China Tourism Group und China East Education Holdings zählen zu den größten Positionen im Portfolio – je 4 Prozent. Was überzeugt Sie - und die Indexkriterien - von diesen Aktien? Und vielleicht können Sie auch kurz erklären, wie die Gewichtung stattfindet: an sich wird regelmäßig wieder gleichgewichtet, aber eben doch nicht jeder gleich. Was ist der Gedanke dahinter?

YUN BAI: Der Indexaufbau hat drei Schichten. Die erste Schicht befindet sich auf Sektorebene. Es gibt eine vordefinierte Zielsektorgewichtung, die unsere Interpretation des 5-Jahres-Plans berücksichtigt. Dann gehen wir zu Branchen in allen Sektoren über. Hier wenden wir eine Branchentrendbewertung an, um die Branchengewichtungen in jedem Sektor zu definieren. Die letzte Ebene ist die Aktienauswahl in jeder Branche. Die ausgewählten Aktien in jeder Branche sind gleich gewichtet. Da unser Index vierteljährlich neu gewichtet wird, können das Indexuniversum und die Gewichtung von Quartal zu Quartal variieren.

 

BÖRSE EXPRESS: Um vielleicht noch einer ‚Angst‘ den Wind aus den Segeln zu nehmen: Braucht Chinas Staatsführung langfristig eine funktionierende Börse und ist dabei auch auf ausländisches Kapital angewiesen?

YUN BAI: Die Auslandsinvestitionen sind für die chinesische Regierung strategisch wichtig. Erstens als zusätzliche Finanzierungsquelle für die lokale Wirtschaft, anstatt sich ausschließlich auf die Finanzierung durch die Regierung oder lokale Banken zu verlassen. Zweitens soll die internationale Nutzung des RMB gestärkt werden, um die wirtschaftlich beherrschende Stellung widerzuspiegeln. Drittens kann die Beteiligung von ausländischem Kapital die Entwicklung des chinesischen Finanzmarktes beschleunigen, um seine Governance weiter zu verbessern. Ab 2020 macht das ausländische Eigentum nur noch 10 Prozent des Streubesitzes der chinesischen Aktienmarktkapitalisierung aus und chinesische Privatanleger halten mehr als 50 Prozent. Es ist eher unwahrscheinlich, dass der chinesische Markt von ausländischem Kapital abhängt.

 

BÖRSE EXPRESS: Das Partizipationszertifikat auf den Index notiert in Euro. Gibt es bei Ihnen eine Hausmeinung zum Yuan – an sich ist langfristig wohl zu erwarten, dass es durch den wirtschaftlichen Fortschritt in China FX-Gewinne für Euro-Anleger geben müsste …

YUN BAI: Tatsächlich sind die langfristigen Aussichten für RMBY vs. Euro eher positiv. Längerfristig besteht ein struktureller Aufwertungsdruck, da China den Renminbi internationalisieren will, obwohl die chinesische Zentralbank bereits einige Maßnahmen ergreift, um die Aufwertung zu begrenzen. Derzeit spielt der RMB bei globalen Devisentransaktionen und bei der Handelsabrechnung noch eine geringe Rolle. Die aggregierten RMB-Bestände der großen Zentralbanken machen nur 3 Prozent ihrer Vermögenswerte aus. Angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung Chinas wird der RMB wahrscheinlich mehr Geldströme anziehen. Es könnte sein, dass in Zukunft mehr Handelskontrakte in RMB dominiert werden, was dazu führt, dass die Zentralbanken mehr RMB kaufen. Wie bereits erwähnt, zieht die weitere Öffnung des chinesischen Finanzmarktes auch Zuflüsse und damit die Nachfrage nach RMB an. Das potenzielle Risiko in diesem Bereich ist der eskalierte geopolitische Streit, der zur Isolation Chinas von der westlichen Welt führen könnte. Heutzutage ist es jedoch schwierig, China wirtschaftlich zu schaden, ohne sich selbst zu verletzen. Daher glaube ich nicht an ein solches Worst-Case-Szenario.

 

BÖRSE EXPRESS: Heißt für mich als Anleger unterm Strich, dass ich in chinesische Unternehmen investiere, die durch ihre stark nationale Ausrichtung mehr an der chinesischen als der weltweiten Konjunkturentwicklung hängen – ein Markt der nicht nur schneller als die Summe wächst, sondern in Kürze auch die Volkswirtschaft Nummer 1 sein wird. Und dieses Investment erfolgt auch noch in Bereichen, die politisch forciert werden. Gleichzeitig ist als Megatrend das Thema ESG integriert. Habe ich die Anlageidee richtig zusammengefasst?

YUN BAI: Die erste Motivation für Investitionen besteht darin, ein breites Engagement am chinesischen Aktienmarkt mit einer Neigung zu mehreren potenziell wachstumsstarken Bereichen zu erlangen, die von einem langfristigen Entwicklungsplan der Regierung angeführt werden. Dies kann dem Investor zusätzliches Renditepotenzial aus der schnell wachsenden Wirtschaft bringen.

Die zweite Motivation besteht darin, das bestehende Portfolio weiter zu diversifizieren. Mehrere Studien zeigen, dass der chinesische Markt eine relativ geringe Korrelation zum globalen Industriemarkt sowie zu anderen Schwellenländern aufweist.

ESG ist bereits bei der Aktienauswahl integriert, wobei ein Mindest-ESG-Score erforderlich ist; auch um die Branchengewichtung zu bestimmen, die sich aus Vermögenswachstumstrend, Aktienkursentwicklungstrend, ESG-Level und ESG-Trend zusammensetzt. 

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