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AKTUALISIERUNGS-HINWEIS
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Russland hat die westlichen Sanktionen wegen des Angriffs auf die Ukraine bisher wesentlich besser überstanden als erwartet, und auch die Wirtschaft der 23 Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas entwickelt sich besser als befürchtet. Das wird sich aber in den kommenden Monaten ändern, warnen die Ökonomen des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Die Wirtschaft der Ukraine ist durch den Krieg heuer um ein Drittel eingebrochen.

Weil die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Pandemie in vielen Ländern der Region unerwartet stark war, hat das wiiw seine Konjunkturprognose nach oben revidiert. Für das Gesamtjahr 2022 wird nun für die EU-Mitgliedsstaaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas ein Wachstum von 3,9 Prozent erwartet, für die Westbalkanstaaten 3,1 Prozent und für die Türkei 5,1 Prozent. Das ist zwar überall deutlich weniger als 2021, aber angesichts des Ukraine-Krieges dennoch überraschend gut.

Die Aussichten für die nähere Zukunft sind aber nicht so erfreulich: Die Inflation ist in der gesamten Region zweistellig, in den EU-Mitgliedsländern wird sie heuer im Schnitt 13 Prozent betragen und soll sich im kommenden Jahr auf 8 Prozent abflachen, so die wiiw-Erwartung. Vor allem die teuren Lebensmittel und die explodierenden Energiepreise stellen eine Bedrohung dar: "Sollte Gas im Winter mancherorts rationiert werden müssen, könnten einzelne Länder in eine Rezession schlittern", sagt Branimir Jovanovic, Hauptautor der wiiw-Herbstprognose. "Das Schlimmste steht Osteuropa also noch bevor."

Die russische Wirtschaft ist in den ersten acht Monaten dieses Jahres trotz der westlichen Sanktionen nur um 1,5 Prozent geschrumpft und die Inflation ging auf unter 14 Prozent zurück. Für das Gesamtjahr rechnet das wiiw mit einem Rückgang der russischen Wirtschaftsleistung um 3,5 Prozent - damit wird dort die Rezession wesentlich milder ausfallen als noch im Sommer prognostiziert (-7 Prozent).

Russland habe seine Militärausgaben stark ausgeweitet und dadurch die staatsseitige Nachfrage nach Rüstungsgütern und pharmazeutischen Produkten erhöht, erklärte wiiw-Geschäftsführer Mario Holzner am Mittwoch bei der Präsentation der wiiw-Prognose. Gleichzeitig habe Russland die Energieproduktion gesteigert und neue Absatzmärkte in Asien etwa für Rohöl gefunden. Der Handel Russlands mit Indien, der Türkei, Malaysia und China habe stark zugenommen - auch wenn Russland sein Öl in Asien nur mit starken Preisnachlässen verkaufen könne.

Dass Russland die Sanktionen bisher so glimpflich überstanden hat, liegt laut Holzner auch an der russischen Notenbank. "Die russische Zentralbank ist sicherlich einer der professionellsten wirtschaftspolitischen Akteure in Russland." Es sei aus russischer Sicht intelligent gewesen, die Währung an den hohen Energiepreis zu koppeln. "Durch die strengen Kapitalverkehrskontrollen und die Verpflichtung insbesondere der Energieexporteure, ihre gesamten Fremdwährungseinnahmen sofort in Rubel zu konvertieren, konnte der Rubelkurs auf hohem Niveau stabilisiert werden, sogar auf einem höheren Niveau als vor Ausbruch des Krieges." Damit sei auch die Inflation stabilisiert worden, weil die Importpreise nicht mehr so stark gestiegen seien. Dadurch sei die Zentralbank auch in der Lage gewesen, in einer Reihe von Schritten die Zinsen zu senken. "Der reale Leitzins ist bereits stark negativ."

Allerdings werde sich die kürzlich verkündete Teilmobilmachung in Russland negativ auf die russische Wirtschaft auswirken, meint Holzner. "Wir sprechen hier nicht nur von den vermutlich 300.000 eingezogenen jungen Männern, sondern von einer Dunkelziffer von bis zu 700.000, die das Land fluchtartig verlassen haben." Das seien zum Teil gut ausgebildete Leute, die der russischen Wirtschaft auch mittel- und längerfristigen fehlen würden. Die Erwartung sei, "dass nächstes Jahr ungefähr 0,5 Prozent des Wirtschaftseinbruchs auf die Rechnung dieser Teilmobilmachung gehen wird". Das wiiw rechnet damit, dass Russlands Wirtschaft im kommenden Jahr um weitere 3 Prozent schrumpfen wird.

Die Wirtschaft der Ukraine ist bereits jetzt auf dem Boden: Laut ukrainischem Wirtschaftsministerium betrug der BIP-Rückgang im August annualisiert 35 Prozent, nach fast 40 Prozent im zweiten Quartal. Für heuer rechnet das wiiw mit einem BIP-Einbruch von rund einem Drittel (33 Prozent) gegenüber 2021. Zwar könnte die ukrainische Wirtschaftsleistung im kommenden Jahr um 5,5 Prozent wachsen, allerdings von einem sehr geringen Niveau aus.

Positiv entwickelt hat sich laut wiiw-Ökonomin Olga Pindyuk der Export von Getreide über die Schwarzmeerhäfen nach dem lange verhandelten Abkommen mit Russland. "Ebenfalls positiv schlägt der verstärke Zufluss ausländischer Hilfsgelder zu Buche, vor allem aus den USA. Rund 60 Prozent des Budgetdefizits werden damit mittlerweile finanziert." 2023 dürfte sich das Budgetdefizit auf rund 20 Prozent des BIP belaufen.

Österreich ist von den reduzierten Gaslieferungen aus Russland mehrfach betroffen - einerseits durch die eigene hohe Abhängigkeit von russischem Gas, insbesondere in energieintensiven Industrien wie Papier, Chemie und Stahl; andererseits, weil auch Österreichs wichtigste Handelspartner Deutschland und die Visegrad-Staaten Polen, Tschechien, Ungarn und Slowakei ebenfalls von stark von Gas aus Russland abhängen. "Die für den Winter absehbare Rezession in Deutschland und der prognostizierte Wachstumseinbruch in Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei von heuer 3,8 Prozent auf noch 1,1 Prozent im kommenden Jahr lassen für Österreich nichts Gutes erwarten", so die düstere Prognose der wiiw-Ökonomen.

Allerdings profitiert Österreich noch immer von der Nähe zu seinen östlichen Nachbarn. "Während wir bei den östlichen neuen Mitgliedsländern in Mittel-, Ost- und Südosteuropa mit einem Wachstum nächstes Jahr von rund 1,4 Prozent rechnen, kratzt die Eurozone knapp an der Stagnation vorbei", so Holzner.

Nur Ungarn dürfte im kommenden Jahr als einziges Land in der Region einen BIP-Rückgang von etwas über 1 Prozent haben. Das liegt laut Holzner einerseits daran, dass Ungarn zu Beginn des Jahres Wahlen hatte und die Staatsausgaben forciert hat. Das werde man nicht aufrecht erhalten können. Vor allem aber werde Ungarns Konflikt mit der EU-Kommission dazu führen, "dass ungefähr ein Drittel der EU-Gelder blockiert sind. Das macht in Summe ungefähr 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Das sind bedeutende Mittel, die der ungarischen Staatskasse fehlen." Polen sei in einer anderen Situation als Ungarn, da es nicht Russland-freundlich sei, "da sind schon andere Szenarien anzunehmen".

(Redaktionelle Hinweise: GRAFIK 1476-22, 88 x 88 mm) ivn/cgh/pro

 ISIN   
 WEB   http://www.wiiw.ac.at/

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