Es kommt nicht oft vor, dass ein altehrwürdiges, traditionell geführtes Bauunternehmen seine eigenen optimistischen Voraussagen übertrifft - und das in einem extrem herausfordernden Kriegs-, Konjunkturkrisen- und Kapitalmarktkrisen-Ambiente. Wienerberger hat 2022 den Umsatz auf knapp 5 Milliarden Euro verdoppelt, das operative EBITDA (Ertragskraft) auf mehr als 1 Milliarde Euro erhöht, die operative EBITDA-Marge auf 20,5 Prozent, das Nettoergebnis auf 568 Millionen Euro und den Free Cashflow auf 598 Millionen emporgetrieben.

Die 154. oHV der Wienerberger hat daher eine 20-prozentige Erhöhung der Dividende für 2022 auf 90 Cent pro Aktie beschlossen, ebenfalls ein Rekord in der Firmengeschichte. Damit fließen etwa 100 Millionen Euro Gewinnanteil an die Aktionäre. Das alles wurde erzielt, obwohl sich Energie und Werkstoffe im letzten Geschäftsjahr auf den Märkten um durchschnittlich gut 20 Prozent verteuert hatten; die Kosten von Wienerberger sind allerdings dank nachhaltigen Wirtschaftens nur um durchschnittlich 15 Prozent gestiegen, weil günstiger eingekauft wurde, erfuhren die Aktionäre. Trotz mehrfacher Krisen- und Kriegserscheinungen habe Wienerberger als einziges Großunternehmen in Europa, dank eines innerhalb von drei Wochen erstellten Notfallplans, flächendeckend in ihrem gesamten Aktivitätsbereich – Westeuropa, Osteuropa und Nordamerika – störungsfrei arbeiten können, sagte Vorstandsvorsitzender Heimo Scheuch.

Er stellte sein Unternehmen mit 240 Standorten, 20.000 Mitarbeitern in 28 Ländern mit 60 Nationalitäten und 25 Sprachen vor. 819.000 von knapp 112 Millionen Wienerberger-Aktien stehen derzeit im Eigentum von Mitarbeitern des Unternehmens. Auf dezidierte Fragen war zu erfahren, dass 33 Prozent der Wienerberger-Aktionäre in den USA, 21 Prozent in Großbritannien, 9 Prozent in Österreich und 7 Prozent in Skandinavien beheimatet sind. Viele große US- und kanadische Pensionsfonds sind derzeit treue Aktionäre der Wienerberger.

Die letzten 20 Wienerberger-Jahre.

„Im laufenden Jahr 2023 und in den allernächsten Folgejahren werden wir mehr als im letzten Jahr ums Geschäft kämpfen müssen, aber wir sind dafür sehr gut aufgestellt“, übte sich Wienerberger-CEO Heimo Scheuch in Optimismus. Das mittelfristige strategische Ziel seines Unternehmens sei die Reduktion des stark zyklischen Neubaugeschäftes, zugleich aber der gezielte Ausbau des stabileren Renovierungs- sowie Infrastrukturbaus.

Scheuch zog eine Bilanz der Unternehmensergebnisse der Jahre 2012 bis 2022. In dieser Periode hat sich der Wienerberger-Umsatz von 2,4 auf knapp 5 Milliarden Euro verdoppelt; der Anteil des Neubaues sei zugleich von 65 auf 49 Prozent zurückgegangen und werde weiter sinken, während der Renovierungsbau auf 29 Prozent und der Infrastrukturbau auf 22 Prozent angestiegen ist. Die Rendite der Wienerberger-Aktie ist in den letzten 20 Jahren um 350 Prozent gestiegen. In derselben Zeitspanne sind insgesamt 40 Akquisitionen vorgenommen worden. „Unternehmen zuzukaufen ist nicht genug“, sagt Scheuch, „man muss sie auch in das bestehende Portfolio integrieren und die neu hinzukommenden Mitarbeiter mit der Philosophie und Arbeitsweise des eigenen Unternehmens vertraut machen.“

Nach dem Erwerb der Meridian-Gruppe in Nordamerika, die rund 200 Millionen US-Dollar gekostet hat, konnte diese Investition innerhalb von nur drei Jahren zurückverdient werden und sie zeigt weiterhin einen erfolgreichen Geschäftsgang. In ähnlicher Weise muss demnächst auch die zugekaufte französische Terreal-Gruppe, die den Bereich Dachlösungen einschließlich Deckung, Dämmung und Energiegewinnung dank Solarpaneelen umspannt, ins Wienerberger-Portfolio integriert werden. Sie müsste einen jährlichen Umsatzsprung von rund 720 Millionen Euro und zusätzlich etwa 150 Millionen Euro EBITDA einbringen. Mit Terreal würde Wienerberger jährlich rund 75 Millionen Quadratmeter Dachfläche neu herstellen, was eine Verringerung der Treibhausgasemissionen von 225.000 Tonnen CO2 bewirken werde. Dieser nächste große Wachstumsschritt von Wienerberger ist jedoch noch nicht ganz unter Dach und Fach. Der Kauf des Unternehmens ist zwar schon zu Weihnachten 2022 unterschrieben worden, doch fehlt noch die Zustimmung der Kartellbehörden mehrerer europäischer Staaten für den Vollzug des Zukaufs. Damit ist jedoch erst im 3. Quartal 2023 zu rechnen. Die Finanzierung dieser Akquisition sei gesichert, versichert Scheuch; die Verschuldung seines Unternehmens werde nach vollzogenem Terreal-Zukauf von 1,1 auf 1,4 Milliarden Euro steigen.

Neue Wertschöpfungsschritte.

„Mit Terreal wird Wienerberger zum ersten echten Steildach-Experten Europas aufsteigen“, sagt Scheuch voraus. „Wienerberger wird damit auch ein Werk im US-Bundesstaat Ohio übernehmen; das Wachstumssegment Dach werde nun auch in den nordamerikanischen Markt einziehen und dem Vorbild von Meridian nacheifern.“ Scheuch zitiert den Wienerberger Leitgedanken „vom Schutzdach zum Nutzdach“. In Nordamerika beschäftigt Wienerberger derzeit rund 2000 Mitarbeiter.

Nicolas Kneip vom Research der Wiener Privatbank lobt die „aktuellen gewaltigen wertschöpfenden Schritte von Wienerberger, durch viele gut zusammenpassende Zukäufe zum wichtigen Player im Bausektor aufzusteigen und durch eine bessere Verteilung der Geschäftssegmente den zuletzt sehr zyklisch gewordenen Geschäftsverlauf zu stabilisieren“.

In der Wienerberger Roadmap 2026 ist eine dezidierte ESG-Strategie – Rücksicht auf Umwelt, Soziales, Unternehmensführung – vorgezeichnet. Der Umsatz mit Produkten für klimaneutrale Gebäude soll weiter forciert werden, das Wasser- und Abfallmanagement sollen wichtiger werden als der bloße Neubau; auch die Sektoren Renovierung und Erhaltung sollen weiter in den Vordergrund rücken, und mehr als 90 Prozent der Werkstoffe sollen recycelt werden. Seit 2020 hat Wienerberger die eigenen CO2-Emissionen um 15 Prozent verringert.

Erfolgreich ist Wienerberger auch bei der Nutzung von Robotik. Scheuch erzählte der oHV von einem Roboter-Maurer, der als Prototyp täglich 24 Stunden lang an der Arbeit ist und als wichtiger Teil der Digitalisierungsstrategie des Unternehmens fungiert. Weitere Roboter-Maurer sind bereits in Auftrag gegeben worden. Auch auf diese Art und Weise könne der gravierende Engpass bei Baufacharbeitern bewältigt werden. Denn aus dem Osten Europas kommen laut Scheuch immer weniger Arbeitskräfte.

Gute Wertschöpfung trotz konjunktureller Eintrübung.

Der Ausblick auf das laufende Geschäftsjahr fällt eher enttäuschend aus: Schon im ersten Quartal 2023 zeichnete sich ein klarer Umsatzrückschlag vor allem im Neubau ab, während die Erträge weniger stark zurückgehen. In Europa dürfte der Neubausektor heuer um 15 Prozent einbrechen, in Nordamerika sogar um 20 Prozent; der Renovierungs- und Infrastrukturbau dürften 2023 hingegen bloß leicht um 3 bis 5 Prozent zurückfallen.

Große Hoffnungen setzt Wienerberger auf sein Kunstrohr-Geschäft. Das sowohl in Richtung eines forcierten Ausbaus einer nachhaltigen Wasserwirtschaft – sammeln, speichern, Verluste vermindern und wiederverwenden --, als auch bezüglich des geplanten Auf- und Ausbaus eines gesamteuropäischen Pipelinesystems für grünen Wasserstoff. CEO Scheuch: „Wir testen derzeit eine Vielzahl von Möglichkeiten dazu und sind sehr aufgeschlossen, bei der europäischen Energietransformation mitmachen zu können. Leider ist Europa in bezug auf seine Energiezukunft stark in sich gespalten, und es werden unterschiedliche Wege verfolgt. Faktum ist, dass Erdgas in Europa derzeit um die 40 Euro pro Megawattstunde kostet, in den USA aber nur ein Viertel davon. Wienerberger selbst will den Einsatz von fossilen Energieträgern, insbesondere von Erdgas reduzieren und an ihrer Stelle Biogas und Grünstrom verwenden.

Keine Absichten hat Wienerberger, die Aktivitäten nach Spanien und Portugal auszudehnen. Ihr Wachstum soll nur in West- und Osteuropa sowie in Nordamerika fortgesetzt werden, „nicht in Drittmärkten, weil wir uns dort nicht so gut auskennen“, meint Scheuch. Nach dem kriegsbedingten Verkauf von zwei Wienerberger Ziegelwerken in Russland sei in den nächsten Jahren nicht mit einer Rückkehr dorthin zu rechnen. Auch in der Ukraine will Wienerberger nicht sesshaft werden. Sollte dort Frieden einziehen, könne man dieses Land von Polen, Rumänien oder Ungarn her wieder aufbauen.

Auffällig starke Kritik an Wienerberger gab es von Aktionärsseite wegen des heuer erstmals eingesparten gedruckten Geschäftsberichts. Scheuch begründete das mit dem zeitgeistigen Drang zur Ressourcenschonung. Bei der 154. oHV lagen im Versammlungsraum nur wenige Exemplare auf, und das an der dunkelsten und unbequemsten Stelle des Saales. Wegen der intensiven Kritik der Aktionäre an dieser Situation erklärte sich Scheuch doch noch bereit, darüber nachzudenken, ob künftig ein abgeschlankter vereinfachter Geschäftsbericht aufgelegt werden könnte. Gespart wird auch beim Wienerberger Aufsichtsrat: Die Zahl der Stellen wurde nun von 9 auf 7 Kapitalvertreter verringert. Kein Sparen gibt es hingegen bei der Abwehr von Cyber-Crime-Anschlägen; dafür gibt Wienerberger 53 Millionen Euro im Jahr aus.

 

Aus dem Börse Express PDF vom 08.05.2023 

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