Die Wiener Festwochen bereiten ihr 75-jähriges Jubiläum vor – doch statt nostalgischer Rückblicke plant Intendant Milo Rau eine radikale Vision: die "Freie Republik Wien". Diese verwandelt das traditionsreiche Festival vom 15. Mai bis 21. Juni 2026 in Europas provokantestes gesellschaftspolitisches Experiment.

Während andere Festivals auf Staraufgebote setzen, macht Wien aus der Stadt ein lebendiges Theater-Labor. Das Publikum wird vom Zuschauer zum Mitbürger einer symbolischen Republik mit eigener Verfassung.

Festival mit eigener Verfassung

Die "Freie Republik Wien" ist mehr als Marketing-Gag. Rau hat dem Festival eine echte Verfassung gegeben – die "Wiener Erklärung" – die erstmals Regeln für Bürgerbeteiligung, Quoten und Transparenz festschreibt.

Das Herzstück: der "Rat der Republik". Wiener Bürger entscheiden gemeinsam mit internationalen Künstlern über Programm und Ausrichtung. Diese radikale Demokratisierung des Kulturbetriebs ist weltweit einzigartig.

Zentrale Orte der neuen Republik:
- Das "Haus der Republik" im Wiener Funkhaus als Dreh- und Angelpunkt
- Theater werden zu Diskussionsforen und Versammlungsräumen
- Workshops und Debatten ergänzen die klassischen Aufführungen

Bühne wird zum Gerichtssaal

Raus spektakulärste Innovation sind die "Wiener Prozesse" – Aufführungen als Justizverfahren mit echten Anwälten, Richtern und Zeugen. Brisante Themen wie die Rolle der FPÖ oder Regierungsverantwortung werden vor Publikum verhandelt.

Diese Theater-Tribunale zwingen Zuschauer zur direkten Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Konflikten. Statt passivem Kunstgenuss gibt es aktive Teilhabe an politischen Debatten.

Für 2026 sucht das Festival bereits "ungewöhnliche Darsteller" – ein Hinweis auf weitere provokante Formate.

Kulturrevolution statt Jubiläumsfeier

Raus Ansatz bricht radikal mit traditioneller Festivalpolitik. Statt elitärer Hochkultur will er eine "ideale Zivilgesellschaft" im Kleinen schaffen – eine direkte Antwort auf Europas politische Krisen.

Die Strategie geht auf: Hohe Auslastung und enormes Medienecho beweisen die Relevanz des Experiments. Wien wird zum Modellfall für Kulturinstitutionen, die ihre gesellschaftliche Bedeutung neu definieren.

Das 75-jährige Jubiläum verspricht keine nostalgische Feier, sondern die nächste Stufe der Theater-Revolution. Rau kündigte bereits an, "noch eins draufsetzen" zu wollen.

Die zentrale Frage bleibt: Kann Kunst wirklich Gesellschaft verändern – oder bleibt es beim symbolischen Aufbruch? Wien wird 2026 die Antwort liefern.