Prognosen sind schwierig geworden


Technische Indikatoren und ökonomische Kennzahlen bilden das Fundament für eine solide Prognose über die wirtschaftliche Entwicklung. Wer sich die Prognosen von Wirtschaftsinstituten anschaut, stellt jedoch fest, dass Prognosen häufig überarbeitet werden müssen. Das Schwierige an einer Prognose ist, dass es viele Einflüsse gibt, welche den Trend unterbrechen oder umkehren können.

Das 9-Euro-Ticket und der Tankrabatt senkt in Deutschland die Inflation, helfen jedoch bei der Beurteilung der Marktentwicklung kaum. Beide Maßnahmen sind zeitlich befristet. Nach drei Monaten sind diese Effekte verpufft und die Inflation könnte wieder deutlich steigen. So hat jeder Indikator seine Schwäche. Für Kleinanleger kommt noch hinzu, dass die Flut an Informationen kaum zu überblicken ist.

Lippenstifte sind gefragt – was das mit der Konjunktur zu tun hat


Neben den harten Fakten bieten jedoch auch andere Indikatoren eine Orientierung. Besonders in der Welt der Mode treten sie häufig auf. Aktuell macht der Lippenstift-Index Schlagzeilen. Er basiert auf einer Theorie von Leonard Lauder, einst Vorstandsvorsitzender des Kosmetikgiganten Estée Lauder Companies. Er schlug vor, den Lippenstift-Index neben den offiziellen Indikatoren als weichen Indikator aufzunehmen.

Die Idee kam ihm, nach dem Anschlag auf das New Yorker Worldtrade Center am 11. September 2001. Statt einer Datenanalyse und die Bewertung von Nachrichten betrachtet Lauder den Absatz von Lippenstiften. Dabei lässt sich ein interessantes Phänomen beobachten. In Krisenzeiten kaufen Kunden deutlich mehr Lippenstifte in knalligen Farben als während einer Hochkonjunktur.

Der kleine Luxus in der Rezession

Die Idee ist einleuchtend: Wenn die Wirtschaft gut geht, sind die Verbraucher bereit, mehr Geld auszugeben. Sie leisten sich häufiger neue Kleidung, Schuhe oder Schmuck. In der Rezession halten sie das Geld zusammen und leisten sich weniger. Keiner möchte jedoch ganz auf Luxus verzichten. So wird ein vergleichsweise günstiger Artikel zum Ersatz für das Große, auch wenn es sich hierbei immer um Markenprodukte wie Estée Lauder oder Naturkosmetik handelt. Die Kundinnen tragen knalligere Farben und kaufen öfter mal einen neuen Lippenstift.

Kritiker bezweifeln die Wirkung des Lippenstift-Index. Sie warfen Leonard Lauder vor, nur Daten aus dem eigenen Unternehmen ausgewertet zu haben. Außerdem fehle eine langfristige Betrachtung. Krisen sind selten, aber manchmal gibt es sie doch. So meldete das deutsche Statistische Bundesamt während der Finanzkrise 2008/2009 der Absatz von Lippenstiften deutlich gestiegen ist.

Aktuell bewegt uns die Inflation, die immer weiter steigt. Der Lippenstift-Indikator funktioniert zumindest in den USA erneut: die Amerikanerinnen kaufen mehr Lippenstifte. Zahlen aus Deutschland zeugen zumindest von einer Stabilisierung des Ansatzes. Und 2020? Da waren die Lippen nicht sichtbar und die Frauen zeigten Kreativität. Ihre Finger wurden bunter, denn der Absatz von Nagellack stieg.

Weitere weiche Indikatoren

Der Lippenstift-Index ist bei Weitem nicht der einzige weiche Wirtschaftsindikator. Eine Rezession wird auch erwartet, wenn die Männer weniger Unterwäsche kaufen oder Frauen am Make-up sparen. Kurze Frisuren der Damen gelten für ein sicheres Zeichen für eine herannahende Rezession. Steigender Absatz von Sekt oder Lifestyle-Kaffeeprodukten soll hingegen auf eine gute konjunkturelle Stimmung hindeuten. Mit schmalen Krawatten zeigen Männer und mit Miniröcken Frauen, dass es ihnen gut geht.

Sicherlich ist der Blick auf die Konjunkturdaten auch in Zukunft ein wichtiges Instrument, um die Verfassung der Wirtschaft zu bewerten. Prognosen sollten jedoch einen breiten Mix von Indikatoren zur Grundlage haben. Der Einbau von weichen Indikatoren wie dem Lippenstift-Index ist in dieser Beziehung eine sinnvolle Überlegung.