Wenn Tarife zur Schicksalsfrage werden: Wie Trump die Weltwirtschaft neu ordnet

Guten Tag,

während in Washington die Richterroben des Supreme Court rauschen, zittern in Düsseldorf, Mailand und Stockholm die Vorstandsetagen. Nicht wegen einer juristischen Spitzfindigkeit, sondern weil neun Richter über die Zukunft der globalen Handelsordnung entscheiden – und damit über Millionen europäischer Arbeitsplätze.

Die Szene dieser Woche hätte dramatischer kaum sein können: Präsident Trump verteidigt seine Zollpolitik vor dem höchsten US-Gericht, während zeitgleich Kalifornien demonstriert, wie man politische Macht in Wahlbezirke gießt, und New York mit Zohran Mamdani einen Bürgermeister wählt, der Mietpreisbremsen verspricht. Drei Geschichten, die auf den ersten Blick wenig gemein haben – doch zusammen zeichnen sie das Bild eines Amerika im Umbruch, dessen Beben bis nach Europa schwappen.

Lassen Sie uns eintauchen in eine Woche, in der Gerichtssäle zu Wirtschaftsarenen wurden, Wahlbezirke zu Machtinstrumenten und Städte zu Experimentierfeldern einer neuen Sozialpolitik.

Der Supreme Court als Handelsrichter: Wenn Juristen über Zölle urteilen

Es war ein ungewöhnlicher Mittwoch in Washington. Während Chief Justice John Roberts normalerweise über Verfassungsfragen philosophiert, musste er sich durch die Untiefen internationaler Handelsgesetze kämpfen. Die Frage: Darf ein US-Präsident im Alleingang Zölle verhängen, die ganze Industrien in die Knie zwingen können?

Trumps Regierung argumentiert mit einem Gesetz aus dem Jahr 1977, dem International Emergency Economic Powers Act. Das Problem: Dieses Notstandsgesetz erwähnt das Wort "Zoll" mit keiner Silbe. Und vor Trump hatte kein Präsident auf die Idee gekommen, es für Handelskriege zu nutzen. Roberts' Skepsis war spürbar: "Das scheint eine gewaltige Autorität zu sein – Zölle auf jedes Produkt, aus jedem Land, in jeder Höhe, für jede Dauer."

Für europäische Unternehmen steht bei dieser juristischen Debatte mehr auf dem Spiel als akademische Prinzipien. Nehmen wir die deutsche Automobilindustrie: Sollte der Supreme Court Trumps Zollpolitik absegnen, könnte der nächste Präsident – oder Trump selbst in einer zweiten Amtszeit – mit einem Federstrich 25-Prozent-Zölle auf europäische Autos verhängen. Für einen VW Golf, der in Wolfsburg vom Band läuft und in Los Angeles verkauft wird, würde das einen Preisaufschlag von mehreren Tausend Dollar bedeuten. Die Wettbewerbsfähigkeit? Dahin.

Die Ironie der Situation: Während Trumps Team vor Gericht die "Major Questions Doctrine" ignorieren möchte – jene Rechtsprinzip, das verlangt, dass der Kongress große wirtschaftliche Entscheidungen explizit autorisieren muss –, hatte genau dieses Gericht unter derselben Doktrin Bidens Studienkredit-Erlass und Corona-Impfpflichten kassiert. Nun könnte dieselbe Logik Trumps Handelspolitik zu Fall bringen.

Sechs der neun Richter zeigten sich skeptisch. Sollte das Urteil gegen Trump ausfallen, wäre das mehr als eine juristische Niederlage. Es wäre das Ende einer Ära präsidialer Handelsmacht – und möglicherweise der Anfang einer berechenbareren transatlantischen Wirtschaftsbeziehung.

Kaliforniens Wahlbezirks-Schach: Demokratie oder Machtspiel?

Während in Washington über Handelsmacht gestritten wurde, vollzog Kalifornien einen bemerkenswerten demokratischen Akt – oder war es ein Coup? Mit 64 Prozent stimmten die Kalifornier für Proposition 50, ein Gesetz, das die Wahlbezirke des Bundesstaates neu zuschneidet. Das Ziel: fünf zusätzliche Sitze für die Demokraten im Repräsentantenhaus.

Gouverneur Gavin Newsom verkaufte die Maßnahme als Verteidigung gegen Trumps "Power Grab" in Texas, wo Republikaner ihre Wahlbezirke ebenfalls neu gezeichnet hatten. Doch Kritiker sehen darin einen gefährlichen Präzedenzfall: Wenn Staaten alle paar Jahre ihre Wahlbezirke nach politischer Opportunität neu definieren können, was bleibt dann vom Prinzip der fairen Repräsentation?

Für Anleger birgt diese Entwicklung eine subtile, aber bedeutsame Botschaft: Politische Stabilität in den USA wird zunehmend zur Mangelware. Wenn selbst Wahlbezirke zum Spielball parteipolitischer Interessen werden, müssen sich Unternehmen auf häufigere Regierungswechsel und abrupte Politikänderungen einstellen.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Laut Experten könnten nach allen laufenden Redistricting-Prozessen nur noch 12 bis 16 der 435 Kongresssitze wirklich umkämpft sein. Der Rest? Sicher für eine der beiden Parteien. Das mag Planungssicherheit für die Gewinner bedeuten, für die Demokratie als Ganzes ist es ein Armutszeugnis.

Und für Europa? Die Fragmentierung des amerikanischen politischen Systems macht langfristige Handelsabkommen noch schwieriger. Ein Präsident mag ein Abkommen unterschreiben – doch wenn der Kongress alle zwei Jahre seine Zusammensetzung radikal ändert, wird jede Vereinbarung zum Vabanquespiel.

New York wählt Hoffnung: Der Mamdani-Moment

In New York City spielte sich derweil eine ganz andere Geschichte ab. Zohran Mamdani, ein 34-jähriger demokratischer Sozialist, fegte mit einem Erdrutschsieg ins Bürgermeisteramt. Sein Versprechen: Mietpreisbremse, kostenloser Nahverkehr, universelle Kinderbetreuung. Sein Gegner: Andrew Cuomo, einst mächtiger Gouverneur, nun geschlagen von einem politischen Newcomer.

Mamdanis Sieg ist mehr als eine New Yorker Lokalnachricht. Er markiert einen Generationenwechsel in der amerikanischen Politik – und stellt grundlegende Fragen zur Zukunft amerikanischer Städte. Kann ein progressiver Bürgermeister in der teuersten Stadt der USA tatsächlich bezahlbaren Wohnraum schaffen? Oder wird er an derselben Realität scheitern wie seine Vorgänger?

Die Skepsis ist berechtigt. Mamdanis Pläne erfordern massive Steuererhöhungen – in einer Stadt, die bereits unter Abwanderung wohlhabender Steuerzahler leidet. Unternehmen wie Goldman Sachs und JPMorgan haben in den letzten Jahren Tausende Jobs aus Manhattan nach Texas und Florida verlagert. Würden höhere Steuern diesen Exodus beschleunigen?

Für europäische Beobachter ist Mamdanis Sieg dennoch faszinierend. Er zeigt, dass auch in den USA – dem Land des ungezügelten Kapitalismus – die Sehnsucht nach sozialdemokratischen Lösungen wächst. Mietpreisbremsen, wie sie in Berlin gescheitert sind, werden in New York als Heilmittel gepriesen. Die Frage ist nicht, ob diese Politik funktioniert – sondern ob Mamdani Zeit bekommt, es zu beweisen, bevor die wirtschaftliche Realität zuschlägt.

Die unsichtbare Krise: Deutschlands Industrie im freien Fall

Während Amerika seine politischen Kämpfe ausficht, kämpft Deutschland mit einer ganz anderen Herausforderung: dem schleichenden Niedergang seiner industriellen Basis. Die neuesten Produktionszahlen zeichnen ein ernüchterndes Bild.

Im September stieg die Industrieproduktion zwar um 1,3 Prozent – doch dieser Anstieg ist trügerisch. Er basiert fast ausschließlich auf einem Produktionssprung in der Automobilindustrie um 12,3 Prozent, nachdem die Produktion im August um 16,7 Prozent eingebrochen war. Mit anderen Worten: Die deutsche Industrie erholt sich nicht, sie schwankt.

Der Maschinenbau, einst Stolz der deutschen Wirtschaft, schrumpfte um 1,1 Prozent. Im Jahresvergleich liegt die Gesamtproduktion ein Prozent im Minus. Volkswirte sprechen von einer "Talsohle" – doch ehrlicher wäre es, von einem Plateau auf niedrigem Niveau zu sprechen.

Die Gründe sind vielfältig: Hohe Energiekosten, bürokratische Hürden, schwache Nachfrage aus China, US-Zölle. Doch das eigentliche Problem liegt tiefer. Deutschland hat es versäumt, seine Wirtschaft rechtzeitig zu diversifizieren. Während Südkorea in Halbleiter investierte und die USA ihre Tech-Industrie förderten, setzte Deutschland weiter auf Verbrennungsmotoren und Maschinenbau – Industrien, deren Zukunft zunehmend fraglich erscheint.

Die Bundesbank warnt inzwischen offen: Die hohe Staatsverschuldung einiger Euroländer sei ein "Risiko für die Finanzstabilität" Deutschlands. Eine bemerkenswerte Aussage, die zwischen den Zeilen eine brisante Frage aufwirft: Wie lange kann Deutschland noch der Zahlmeister Europas sein, wenn die eigene Wirtschaft stagniert?

Anzeige: Apropos strategische Investitionen – während Europa über Zölle und Energiepreise debattiert, verlagert sich der globale Kapitalfluss in Richtung Technologie und Halbleiter. Wer verstehen will, wie sich dieser geopolitische „Chip-Krieg“ zwischen den USA und China auf Märkte und Anleger auswirkt – und welche europäischen Unternehmen dabei im Zentrum stehen – findet hier eine aufschlussreiche Analyse: So profitieren Anleger vom neuen Halbleiter-Megatrend

Was das alles bedeutet

Drei Geschichten, drei Kontinente, ein Muster: Die Welt ordnet sich neu – und die alten Gewissheiten gelten nicht mehr.

Trumps Zollpolitik mag vor Gericht scheitern, doch der Protektionismus ist gekommen, um zu bleiben. Kaliforniens Wahlbezirks-Manipulation mag legal sein, doch sie untergräbt das Vertrauen in demokratische Institutionen. Mamdanis Sieg mag Hoffnung wecken, doch die wirtschaftlichen Realitäten bleiben gnadenlos. Und Deutschlands Industriekrise mag vorübergehend erscheinen, doch sie offenbart strukturelle Schwächen, die ein Jahrzehnt brauchen werden, um behoben zu werden.

Für Anleger bedeutet das: Vorsicht vor vermeintlichen Sicherheiten. Die transatlantischen Beziehungen bleiben volatil, die politischen Systeme fragil, die wirtschaftlichen Fundamentaldaten wackelig. Wer heute investiert, muss mit Überraschungen rechnen – und zwar nicht nur an den Börsen, sondern auch in den Gerichtssälen, Parlamenten und Rathäusern dieser Welt.

Nächste Woche wird die Bank of England ihre Zinsentscheidung verkünden – ein weiterer Test für die Frage, ob Europas Notenbanken den Mut haben, gegen den Strom zu schwimmen. Und in den USA beginnt die Nachwahlanalyse: Was bedeutet Mamdanis Sieg für die Demokraten im Jahr 2026?

Bis dahin wünsche ich Ihnen kluge Entscheidungen – in unsicheren Zeiten wichtiger denn je.

Mit besten Grüßen aus der Redaktion,
Eduard Altmann

Donnerstagnachmittag, 6. November 2025