Wenn die Pipelines schweigen und die Kassen klingeln: Black Friday ohne Boom
Guten Morgen,
während in den Einkaufsstraßen Amerikas heute die Schnäppchenjäger ihre Thanksgiving-Truthähne verdauen und sich auf den Black Friday stürzen, herrscht an ganz anderen Schauplätzen bemerkenswerte Stille. In Karlsruhe sitzt seit gestern ein ukrainischer Tauchlehrer in Untersuchungshaft – Verdacht: Sabotage an Nord Stream. In der Ostsee liegen die Pipelines still, während in Washington die politische Temperatur steigt. Und an den Ladenkassen? Da bleibt die erhoffte Konsumexplosion aus, trotz Rekordbesucherzahlen. Drei Geschichten über das Paradox unserer Zeit: Mehr Menschen, weniger Geld. Mehr Verdächtige, weniger Klarheit. Mehr Versprechungen, weniger Vertrauen.
Der Tauchgang, der Europa veränderte
Die Bundesanwaltschaft nennt es "verfassungsfeindliche Sabotage", die Ukrainer sprechen von einem Justizirrtum, und in Moskau dürfte man mit Genugtuung verfolgen, wie sich der Westen an diesem Fall abarbeitet. Serhij K., 48, ukrainischer Staatsbürger, verhaftet im August an der italienischen Adriaküste beim Familienurlaub, ausgeliefert nach Deutschland, seit gestern in Karlsruhe in U-Haft. Der Vorwurf: Er soll im September 2022 zu jener siebenköpfigen Gruppe gehört haben, die von der Segeljacht "Andromeda" aus Sprengsätze an den Nord-Stream-Pipelines platzierte.
Die Sprengungen bei Bornholm waren mehr als ein technischer Akt – sie markierten das endgültige Ende einer Ära. Nord Stream 1, jahrelang Deutschlands Hauptschlagader für russisches Gas, wurde funktionsunfähig. Nord Stream 2, das umstrittene Milliardenprojekt, kam nie in Betrieb. Was folgte: Energiekrise, Inflationsschub, industrielle Verwerfungen. Die deutsche Wirtschaft kämpft bis heute mit den Folgen.
Bemerkenswert ist weniger die Festnahme selbst – als vielmehr das Timing und die diplomatischen Verwicklungen. Polen lehnte die Auslieferung eines anderen Verdächtigen ab. Die Ukraine schweigt offiziell. Und während Kiew und Washington über Friedenspläne verhandeln, in denen auch die Frage russischer Gebietsansprüche eine Rolle spielt, sitzt in Karlsruhe ein Mann, der möglicherweise im Auftrag eben jener ukrainischen Führung handelte, die nun als Verhandlungspartner des Westens auftritt. Die Ironie der Geschichte: Europas größte Infrastruktursabotage seit Jahrzehnten könnte von Verbündeten verübt worden sein.
Black Friday: Die Massen kommen, das Geld bleibt
Über 200 Millionen Amerikaner werden laut National Retail Federation an diesem Thanksgiving-Wochenende shoppen gehen – ein neuer Rekord. Die Läden sind voll, die Parkplätze überfüllt, die Online-Plattformen unter Hochlast. Doch hinter den Kulissen zeichnet sich ein bemerkenswertes Paradox ab: Die durchschnittlichen Ausgaben pro Kopf sinken von 902 auf 890 Dollar. Mehr Besucher, weniger Umsatz – das ist die Mathematik einer verunsicherten Mittelschicht.
Die Ursachen sind strukturell. Trumps Zölle haben die Einzelhandelspreise um durchschnittlich 4,9 Prozentpunkte nach oben getrieben, wie die Tax Foundation berechnet. Die Arbeitslosigkeit liegt nahe einem Vierjahreshoch. Das Konsumentenvertrauen sank im November auf den niedrigsten Stand seit sieben Monaten. Besonders aufschlussreich: Weniger Haushalte planen den Kauf von Autos, Häusern oder anderen großen Anschaffungen. Stattdessen konzentriert sich der Konsum auf kleine Luxusgüter – Crocs-Anhänger statt Koffer, individualisierbare Handtaschen statt Urlaubsreisen.
Die eigentliche Geschichte aber spielt sich in der Vermögensverteilung ab. Die reichsten zehn Prozent der Amerikaner – Haushalte mit über 250.000 Dollar Jahreseinkommen – tätigen inzwischen 48 Prozent aller Konsumausgaben. In den Neunzigerjahren waren es 35 Prozent. "Die Schlagzeilen-Ausgaben werden von einer immer schmaleren Gruppe getrieben", konstatiert der Oxford-Ökonom Michael Pearce nüchtern. Black Friday ist damit zum Gradmesser geworden für eine Gesellschaft, in der Konsum zunehmend Klassenfrage ist. Und während die Ladenketten mit KI-gestützten Schnäppchen-Suchmaschinen um die Gunst der Gen Z buhlen – 71 Prozent nutzen bereits künstliche Intelligenz zum Preisvergleich –, bleibt die Grundfrage unbeantwortet: Wer kann sich das alles noch leisten?
Europas Rohstoff-Dilemma: Zu spät, zu langsam, zu abhängig
Die Europäische Kommission wird nächste Woche ein Paket namens "ResourceEU" vorstellen – Brüssels Antwort auf die kritische Abhängigkeit von chinesischen Rohstoffen. Der Titel ist eine bewusste Anlehnung an "RePowerEU", jenes Programm, mit dem Europa sich von russischem Gas befreien wollte. Doch während Gaslieferanten austauschbar sind, ist Chinas Dominanz bei seltenen Erden, Lithium und Gallium strukturell tiefer verwurzelt. Peking kontrolliert nicht nur die Minen, sondern auch die Verarbeitungstechnologie. Und anders als bei Gas gibt es keine kurzfristigen Alternativen.
Die geplanten Maßnahmen offenbaren die Verzweiflung: Drei Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt sollen sofort für 25 strategische Projekte bereitgestellt werden – Lithium-Minen, Gallium-Raffinerien, Recycling-Anlagen. Klingt viel, ist aber ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man bedenkt, dass allein die USA nach dem Pentagon-Abkommen mit Rare Earths Norway Mindestpreisgarantien bieten und damit europäische Projekte systematisch abwerben. Die Mizuho-Analyse bringt es auf den Punkt: "Europa ist zu langsam." Während Japan bereits ein Lagerzentrum für kritische Mineralien betreibt und die USA mit massiven Subventionen locken, diskutiert Brüssel noch über Pilotprojekte.
Besonders brisant: Die EU setzt stark auf Recycling – doch dafür braucht man erst einmal Input-Material. Und die politischen Abkommen mit Brasilien, Zentralasien, Südafrika? "Noch nicht in konkrete Investitionen übersetzt", wie es im Reuters-Bericht heißt. Die Ironie: Während die Kommission ein "Rohstoff-Sicherheitsdoktrin" ausruft, kaufen europäische Unternehmen weiterhin chinesische Vorprodukte – weil sie billiger sind und schneller lieferbar. Europas grüne Transformation droht damit zur Importabhängigkeit 2.0 zu werden: Statt russischem Gas nun chinesische Batterierohstoffe. Die Frage ist nicht, ob Europa umsteuern muss – sondern ob es dafür noch Zeit hat.
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Wenn Zahlen lügen: Deutschlands Scheinwachstum
Das Statistische Bundesamt meldete gestern für Oktober einen Rückgang der Einzelhandelsumsätze um 0,3 Prozent – obwohl Ökonomen mit einem Plus von 0,1 Prozent gerechnet hatten. Gleichzeitig stiegen die Reallöhne im dritten Quartal um 2,7 Prozent, der stärkste Zuwachs seit Langem. Und die Erwerbstätigkeit? Stagniert bei 46 Millionen Menschen, nachdem sie monatelang gesunken war. Drei Datenpunkte, die gemeinsam ein Bild ergeben: Die deutsche Wirtschaft tritt auf der Stelle – mit leicht steigenden Einkommen, aber ohne Kauflust.
Die Importpreise sanken im Oktober um 1,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr, getrieben vor allem durch billigere Energie: Steinkohle minus 22 Prozent, Rohöl minus 21 Prozent, Erdgas minus 14 Prozent. Gute Nachrichten? Nur auf den ersten Blick. Denn die niedrigen Energiepreise spiegeln vor allem schwache globale Nachfrage wider – kein Zeichen von Stärke, sondern von Stagnation. Und während Rohkaffee um 43 Prozent teurer wurde und Nahrungsmittelimporte insgesamt um 5,4 Prozent zulegten, blieben die Verbraucher zurückhaltend.
Das wahre Problem liegt tiefer: Die Erwerbstätigkeit stagniert nicht, weil Unternehmen keine Leute finden – sondern weil sie keine einstellen wollen. Die KfW meldete gestern, dass das Geschäftsklima im Mittelstand im November bei minus 14,5 Punkten verharrte, nach minus 14,6 im Oktober. "Der erhoffte spürbare Aufschwung lässt weiter auf sich warten", konstatierte KfW-Chefvolkswirt Dirk Schumacher. Die Erwartungen steigen zwar leicht, aber die aktuelle Lage wird schlechter bewertet. Deutschland hängt in einer Warteschleife – mit Arbeitnehmern, die mehr verdienen, aber nichts kaufen, und Unternehmen, die auf bessere Zeiten hoffen, aber nicht investieren.
Ausblick: Zwischen Hoffnung und Realität
Die kommende Woche wird zeigen, ob Worte Taten werden. Die schwarz-rote Koalition in Berlin hat sich auf eine "große Rentenreform" geeinigt – inklusive zehn Milliarden Euro für private Altersvorsorge und einer Kommission, die bis Mitte 2026 Vorschläge für eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit vorlegen soll. Die SPD, jahrelang gegen jede Renten-Debatte, schwenkt um. Die junge Union, die mit Blockade drohte, bekommt Zugeständnisse. Und die Steuerzahler? Die dürfen sich fragen, ob eine Reform, die erst 2031 greift, wirklich eine Lösung ist – oder nur das Verschieben des Problems auf die nächste Legislaturperiode.
In der Ukraine setzt Präsident Selenskyj auf "wichtige Verhandlungen" nächste Woche, während in Kiew Korruptionsermittler das Büro seines Kanzleichefs Andrij Jermak durchsuchen. Und Donald Trump? Der kündigte an, die Migration aus "Dritte-Welt-Ländern" dauerhaft zu stoppen – eine Rhetorik, die selbst für seine Verhältnisse bemerkenswert ist. Während in Washington eine Nationalgardistin nach einem Angriff starb und Trump die Todesstrafe für den afghanischen Täter fordert, stellt sich die Frage: Wann wird aus Wahlkampf-Rhetorik Regierungspolitik? Und was bedeutet das für Europa?
Die Woche endet, wie sie begann: Mit mehr Fragen als Antworten. Mit Pipelines, die schweigen. Mit Kassen, die nicht klingeln. Und mit der Erkenntnis, dass die großen Versprechen – von Energiesicherheit über Konsumboom bis Rentenreform – der Realität noch immer hinterherhinken.
Einen nachdenklichen Start ins Wochenende wünscht
Eduard Altmann








