Anbieter wie Kry, Doctolib, Zava, Doccla, Lemonaid Health oder DoktorABC zeigen exemplarisch, wie neue Technologien medizinische Versorgung neu denken – und dabei regulatorische Hürden ebenso wie gesellschaftliche Vorbehalte überwinden. Doch was hat diesen Boom ausgelöst, welche Geschäftsmodelle setzen sich durch – und wie sieht die Zukunft aus?

Der europäische Gesundheitsmarkt im Wandel

Der Wandel der Gesellschaft, die ungleiche Verteilung medizinischer Versorgung zwischen Stadt und Land und der Fachkräftemangel treffen auf eine technologische Entwicklung, die neue Lösungen möglich macht.

 

Digitale Plattformen können medizinische Leistungen effizienter organisieren, Zugangshürden abbauen und Versorgungslücken schließen – vorausgesetzt, die regulatorischen Rahmenbedingungen lassen dies zu.

 

In Deutschland etwa hat das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) den Weg für erste telemedizinische Regelangebote geebnet. Auch andere europäische Länder setzen zunehmend auf E-Health-Strategien, um ihre Gesundheitssysteme zukunftsfähig zu machen.

Die ersten Schritte: Telemedizin-Startups in Europa

Die ersten Telemedizin-Startups in Europa entstanden aus dem Bedürfnis, die medizinische Versorgung zeitgemäß, flexibel und ortsunabhängig zu gestalten. Schon vor der Pandemie erkannten einige Gründerteams das Potenzial digitaler Technologien im Gesundheitsbereich – vor allem in Ländern mit strukturellen Versorgungsengpässen oder stark regulierten Systemen.

 

Zu den Vorreitern zählen Plattformen wie Kry aus Schweden, die früh auf Videokonsultationen setzte und damit in Skandinavien großen Erfolg hatte. In Deutschland gingen Unternehmen wie TeleClinic, Zava und DoktorABC an den Start. Ihre Konzepte unterschieden sich teils deutlich.

 

Manche fokussierten sich auf klassische Online-Sprechstunden per Video, andere wie DoktorABC auf asynchrone Arztkontakte mit strukturierten Fragebögen und schneller Rezeptausstellung – besonders bei klar definierten Indikationen wie Hauterkrankungen, Sexualgesundheit oder chronischen Leiden.

 

Die Geschäftsmodelle waren dabei meist direkt auf Endverbraucher ausgerichtet (Direct-to-Consumer) und setzten auf einfache Benutzerführung, ärztliche Verfügbarkeit und diskrete Abwicklung. Trotz regulatorischer Hürden wuchs die Nachfrage – langsam, aber stetig.

Pandemie als Katalysator

Mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020 veränderte sich das Gesundheitsverhalten in Europa schlagartig. Was zuvor als digitales Nischenangebot galt, wurde über Nacht zur dringend benötigten Alternative: Ärztliche Einrichtungen waren überfüllt, persönliche Kontakte sollten vermieden werden – Telemedizin rückte ins Zentrum der Versorgung.

 

Die meisten Plattformen erlebten innerhalb weniger Wochen einen massiven Anstieg der Nutzerzahlen.  Auch medizinisches Fachpersonal zeigte sich offener für virtuelle Sprechstunden, nicht zuletzt durch staatlich unterstützte Honorierungsmodelle und temporär gelockerte Regelungen.

 

Die Pandemie wurde so zum Beschleuniger für die gesamte Branche. Viele Anbieter nutzten das Momentum, um ihre Dienstleistungen auszubauen, neue Märkte zu erschließen oder zusätzliche Services wie Krankschreibungen, Diagnostik oder Arzneimittelversand zu integrieren. In dieser Phase legten die Weichensteller den Grundstein für eine langfristige Etablierung digitaler Medizin in der europäischen Versorgungslandschaft.

Von der Nische zum Börsenkandidaten: Investoren, Wachstum und IPOs

Mit dem pandemiebedingten Schub wurde aus einem zögerlich wachsenden Markt ein attraktives Ziel für Investoren. Venture-Capital-Fonds und Private-Equity-Unternehmen entdeckten Telemedizin als Zukunftsbranche mit enormem Skalierungspotenzial. Plattformen wie Doctolib (Frankreich), Kry (Schweden) oder Zava (UK/Deutschland) sammelten in mehreren Finanzierungsrunden jeweils Hunderte Millionen Euro ein. Auch DoktorABC erweiterte in dieser Zeit sein Angebot und etablierte sich als feste Größe auf dem deutschsprachigen Markt.

 

Zunehmend rückte auch die Börse als nächster Meilenstein in den Fokus. Zwar haben europäische Telemedizin-Plattformen bislang noch keinen groß angelegten Börsengang wie ihre US-Pendants hingelegt – etwa wie Teladoc oder Hims & Hers – doch das Interesse ist da. Analysten erwarten, dass die europäische Gesundheits- und MedTech-Szene mittelfristig stärker an die Kapitalmärkte drängen wird.

 

Die Börse verspricht dabei nicht nur neue Finanzmittel, sondern auch Sichtbarkeit und Legitimation: Als börsennotierte Unternehmen müssen die Anbieter nachweislich stabile Geschäftsmodelle, Datenschutzkonzepte und medizinische Qualität liefern – was das Vertrauen in Telemedizin weiter stärken kann.

 

Die Plattform DoktorABC könnte sich möglicherweise auf ein IPO vorbereiten –  viele Indizien sprechen eine eindeutige Sprache:

 

  1. Strategische Partnerschaften: Die Kooperation mit German Capital Pharma (2025) zielt auf eine umfassende Arzneimittelversorgung ab – ein Schritt, der oft der Skalierung und Attraktivitätssteigerung für Investoren dient.
  2. Politisches Positioning: Die Petition zur Cannabis-Legalisierung (Januar 2025) signalisiert aktive Risikominimierung, ein zentrales Thema für IPO-Vorbereitungen.
  3. Branchendynamik: Healthtech-Startups wie Avi Medical sammeln signifikant Kapital ein (54,5 Mio. USD in 2025). Der europäische Telemedizinmarkt wächst jährlich um 18 %, was IPO-Interesse generiert.
  4. Timing: IPO-Experten erwarten zwischen 2025 und 2026 eine Welle von Börsengängen im Tech-/Healthtech-Sektor, da die Märkte nach der globalen Rezession 2023–2024 stabiler sind.

Herausforderungen und Kritikpunkte: Zwischen Datenschutz und Versorgungslücken

Telemedizin bringt neue Chancen, wirft aber auch Fragen auf. Datenschutz steht dabei an oberster Stelle. Auch die medizinische Qualität wird diskutiert – hauptsächlich bei komplexen Diagnosen oder chronischen Erkrankungen.

 

Nicht zuletzt bleibt die digitale Kluft ein Problem: Wer keinen Zugang zu Internet oder Technik hat, profitiert kaum vom digitalen Fortschritt. Dennoch gilt: Mit der richtigen Regulierung und Weiterentwicklung kann Telemedizin einen festen Platz in der Versorgung einnehmen.

Was bringt die Zukunft? Trends und Entwicklungen

Die Telemedizin hat sich etabliert – doch das war erst der Anfang. In den kommenden Jahren wird die digitale Versorgung weiter wachsen und sich zunehmend mit anderen Technologien vernetzen. Das Bundesgesundheitsministerium plant zudem bis 2030 30 % aller Arztkontakte zu digitalisieren.

 

Mit Initiativen wie der Nationalen Digitalstrategie soll Europa zum globalen Vorreiter werden – ein Ökosystem, in dem Startups aus der Telemedizinbranche weiterhin florieren.

 

Hinzu kommen die rasanten Entwicklungen im Bereich der Technik. Künstliche Intelligenz könnte bei der Erstdiagnose oder im Symptom-Check unterstützend eingesetzt werden, während Wearables und Gesundheits-Apps kontinuierlich Daten liefern, die eine personalisierte Betreuung ermöglichen.

 

Zudem entstehen hybride Versorgungsmodelle, in denen Online- und Vor-Ort-Behandlungen intelligent kombiniert werden – zum Beispiel für Verlaufskontrollen oder bei chronischen Erkrankungen.

Fazit

Telemedizin ist in Europa längst mehr als ein kurzfristiger Trend. Was mit mutigen Startups begann, hat sich – nicht zuletzt durch die Pandemie – zu einem relevanten Bestandteil der Gesundheitsversorgung entwickelt. Plattformen wie Kry, Doctolib, Zava oder DoktorABC zeigen, welches Potenzial in digitalen Modellen steckt, wenn Technik, Vertrauen und Regulierung zusammenspielen.

 

Die kommenden Jahre werden entscheidend sein: Gelingt es, Qualität, Zugang und Datenschutz in Einklang zu bringen, könnte Europa zu einem Vorreiter für digitale Medizin werden – vom Startup bis zum IPO.