voestalpine - Vor Schicksalsentscheidung über grünen Stahl
Nach verlustträchtiger Endabrechnung ihres Eisenschwamm-Projekts in Texas/USA, steht der voestalpine neuerlich eine schicksalhafte Entscheidung über ein aufwändiges Zukunftsvorhaben ins Haus: In drei Phasen bis 2050 soll die überkommene, emissionsträchtige Hochofentechnologie gegen die umweltschonendere Elektro-Lichtbogen-Technologie getauscht werden; Kostenpunkt: 1,5 Milliarden Euro.
Der Vorstandsvorsitzende der voestalpine, Herbert Eibensteiner, skizzierte die mittelfristigen Schwerpunkte der Strategie seines Unternehmens und legte einen detaillierten, schrittweise zu vollziehenden Stufenplan für den Technologiewechsel bei der Rohstahlerzeugung vor. „Sie müssen sich vorstellen, dass wir vor der Herausforderung stehen, ein lebendiges Industrieunternehmen, das gegenwärtig 7 Millionen Tonnen Rohstahl im Jahr erzeugt und weiterverarbeitet, bei laufendem Betrieb technologisch grundlegend umzustellen. Die Dekarbonisierung aller unserer Produkte ist die größte Herausforderung unserer Generation, die wir wissenschaftsbasiert durchziehen wollen.“ Der Vorstandsvorsitzende registriert auf dem Weltstahlmarkt bereits ein zartes Nachfragewachstum nach grünem Stahl, aber noch keinen Boom. Einen solchen erwartet er erst für 2026/2027. Daraufhin ist auch der 3-Stufen-Plan der voestalpine orientiert, der schrittweise das Ziel „greentec steel“ bis 2050 und damit volle Klimaneutralität anpeilt.
Dem Appell des Vertreters des Interessenverbandes der Anleger (IVA), Florian Beckermann, an die voestalpine, die technische Umstellung der Stahlerzeugung müsse früher und breiter gestartet werden als es im Plan stehe, setzt Eibensteiner entgegen: „Die Dekarbonisierung muss im Gleichschritt mit den Ertragssteigerungen unseres Unternehmens, demnach zwischen der erforderlichen Reduzierung der Treibhausgasemissionen und der Steigerung der wirtschaftlichen Effizienz erfolgen“. Das bedeutet: das wirtschaftliche Risiko der voestalpine ist gleichzeitig zu minimieren und die Senkung der Treibhausgasemissionen zu maximieren. Das ist offensichtlich die strategischen Lehre, die der heimische Stahlkocher aus seinem USA-Abenteuer in Corpus Christi zieht. Nach dem kürzlich endgültigen Verkauf des HDI-Werks in den USA um 225 Millionen Euro errechnete Finanzvorstand Robert Ottel, dass das gesamte Texasabenteuer einen Nettoverlust von rund 360 Millionen Euro eingebracht habe.
Fahrplan der Dekarbonisierung.
Derzeit: 1 großer, 2 kleine Hochöfen in Linz und 2 in Donawitz.
Phase 1 (2027 bis 2030): 1 kleiner Hochofen in Linz und 1 in Donawitz kommen weg, Umstellung auf Elektrolichtbogenofen; Erzeugung von rund 2,5 Mio Tonnen grünem Stahl jährlich; das reduziert die CO2-Emissionen um 30%; der Strommehrverbrauch wird 1 TWh betragen.
Phase 2 (2030 bis 2035): 1 kleiner Hochofen in Linz und 1 in Donawitz kommen weg, Umstellung auf Elektrolichtbogenofen; Erzeugung von rund 4 Mio Tonnen grünem Stahl jährlich; 50% weniger CO2-Emissionen; der Stromverbrauch wird um 0,45 TWh steigen.
Phase 3 (2035 bis 2050): Ende der Hochofentechnologie; Umstellung der gesamten Rohstahlerzeugung auf Elektrolichtbogenofen bzw. alternativ durch Einsatz von Wasserstoff bei der Stahlerzeugung; Herstellung von rund 7 Mio. Tonnen grünem Stahl, 100 Prozent weniger CO2-Emissionen („net zero“).
Die vom voestalpine-Aufsichtsrat für die Technologieumstellung freigegebenen 1,5 Milliarden Euro werden schwerpunktmäßig in den Jahren 2025 und 2026 ausgegeben werden; die Finanzierung dieser Mega-Investition werde angesichts der aktuellen finanziellen Lage der voestalpine (das Gearing ist auf 21 Prozent gesunken) kein Problem sein, betont Dr. Ottel.
Die voestalpine zeigt sich zuversichtlich, dass der steigende Strombedarf aufgrund ihrer Technologieumstellung durch die ehrgeizigen Ausbaupläne der heimischen Elektrizitätswirtschaft leicht gedeckt werden kann. Dabei werde der Grundsatz „grüner Strom für grünen Stahl“ gelten. Vorstandsvorsitzender Eibensteiner verwies darauf, dass die Verbund AG in den kommenden Jahren rund 20 TWh zusätzlichen Strom erzeugen wolle; verglichen damit mache der steigende Strombedarf der Grünstahlerzeugung einen Bruchteil aus. Zuversichtlich ist er auch, dass sein Unternehmen bei künftigen Stromabschaltungen wegen drohenden Blackouts ausgenommen werden würde, weil es als Fernwärmelieferant privater Haushalte fungiere und daher als marktrelevanter Stromkunde gelte. Grünen Wasserstoff für die letzte Phase der Technologieumstellung werde man sowohl aus Europa als auch aus Übersee geliefert bekommen.
voestalpine-Langfriststrategie.
Die aktuelle Langfriststrategie der voestalpine ist laut Eibensteiner: keine Erweiterung der Rohstahlkapazität über 7 Mio Tonnen jährlich hinaus, jedoch Ausbau der Weiterverarbeitungskapazitäten von Stahl vor allem in den Bereichen Bahnsysteme, Lagerungstechnologie, Rohre und Profile unter Bedachtnahme auf weitere CO2-Emissionsdrosselungen z. B. durch erweiterte Nutzung eigener und fremder Abwärme oder durch Ausbau eigener Photovoltaik-Anlagen. Sämtliche Transformationspläne der voestalpine stehen in Einklang mit dem Pariser Klimaschutzabkommen und der EU-Initiative „Fit for 55“.
Der Vorstand erwartet aufgrund der Technologieumstellung bei der Stahlproduktion höhere Erzeugungskosten, die durch einen Aufpreis für grünen Stahl wieder hereingebracht werden sollen. Mit ihrer Technologieumstellung sei die voestalpine nicht allein auf der Erde. Vor allem europäische Stahlerzeuger wie Thyssen oder Salzgitter, aber auch ausländische Mitbewerber in Japan oder in den USA tendieren in Richtung grüner Stahl, betont Eibensteiner: „Die ganze Welt geht derzeit in Richtung greentec steel! Wir sind keineswegs die Einzigen, die in diese Richtung gehen!“
Modernstes Edelstahlwerk und Rohstoffbeschaffung.
Das hoch digitalisierte neue voestalpine-Stahlwerk in Kapfenberg, das mit einem Aufwand von rund 500 Millionen Euro – rund 30 Prozent mehr als ursprünglich veranschlagt – errichtet worden ist, sei auf seinem Gebiet das innovativste seiner Art. Es ist bereits fertiggestellt und läuft zur Zeit im Probebetrieb. Von 2024 an soll es im Vollbetrieb rund 205.000 Tonnen Edelstahl im Jahr herstellen.
Bei der Rohstoffbeschaffung hat die voestalpine vorderhand wenig Probleme; ebensowenig wie bei der Durchsetzung der höheren Einstandspreise. Sie bezieht aufgrund der Sanktionen nur noch die Hälfte des benötigten Erdgases aus Russland; die Kohlelieferungen von dort wurden inzwischen völlig eingestellt. Eisenerz bzw. Pellets liefert die Ukraine, aber weniger als früher. Zusätzliches Erdgas kommt aus Nordafrika sowie LNG über das Mittelmeer über Italien. Die Eisenerzbezüge vom österreichischen Erzberg, das sind jährlich etwa 3 Millionen Tonnen, werden im Zuge der Dekarbonisierung von Rohstahl allmählich sinken. Andererseits wird die Technologieumstellung bei der Rohstahlproduktion einen Wegfall von Kokereigas bewirken, das künftig ebenfalls durch Fremdbezüge ersetzt werden muss.
Geringe Chancen für neue Rekorde.
Trotz starker Verwerfungen bei der Rohstoffversorgung, trotz des Krieges zwischen Russland und der Ukraine und trotz unsicherer Wirtschaftsdynamik hat die voestalpine im letzten Geschäftsjahr mehrere Rekorde erzielt: Der Umsatz ist um 22 Prozent auf 15,2 Milliarden Euro, das operative EBITDA um 11,1 Prozent auf gut 2,5 Milliarden Euro gestiegen und die Verschuldung auf 1,6 Milliarden Euro gesunken. Alle vier Divisionen des Unternehmens haben zu diesem Ergebnis beigetragen, sagt Eibensteiner. Die Stahldivision steht mit 36 Prozent vom Konzernumsatz an der Spitze, gefolgt von der Division Metal Engineering (Bahn, Schweißprodukte, Rohre) zu 23 Prozent, Metal Forming (Metallverarbeitung) zu 21 sowie der Division High Performance Metals (Spezialstähle, Luftfahrtwerkstoffe, Pulvertechnologie) zu 20 Prozent. Die Anteile der drei Weiterverarbeitungsdivisionen werden sich aufgrund der technologischen Weiterentwicklung zum Nachteil der Stahldivision ändern; besondere Wachstumspotenziale sieht die voestalpine in den Bereichen Auto, Bahninfrastruktur und Photovoltaik. Auf neue Rekordergebnisse ist im laufenden Geschäftsjahr angesichts der spürbaren Konjunkturabschwächung jedoch nicht zu hoffen. Für 2023/2024 wird ein EBITDA von nur noch 1,7 bis 1,9 Milliarden Euro erwartet. Der hohe Bilanzgewinn im letzten Geschäftsjahr von 268 Millionen Euro führt zu einer Dividende von 1,5 Euro pro Aktie (um 30 Cent mehr als zuletzt), was eine Dividendenrendite von 6 Prozent bedeutet. Auch das dürfte sich nicht wiederholen.
Aus dem Börse Express PDF vom 06.07.2023
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