Washington und Brüssel bereiten sich auf einen möglichen Handelskrieg im digitalen Sektor vor. Während neue US-Zölle noch nicht offiziell angekündigt sind, bringt die eskalierende Rhetorik bereits eine Multi-Billionen-Euro-Industrie in Aufruhr.

Die globale IT-Branche steht vor ihrer größten Bewährungsprobe seit Jahren. Zwei schwelende Konflikte drohen das fragile Gleichgewicht der digitalen Weltwirtschaft zu erschüttern: der Streit um Digital Services Taxes und das drohende Ende der WTO-Vereinbarung für zollfreie elektronische Übertragungen. Für europäische Unternehmen, die stark vom US-Markt abhängen, könnte sich das Geschäftsmodell grundlegend ändern.

Was macht die Lage so brisant? Die USA werfen mehreren Ländern vor, mit speziellen Digitalsteuern gezielt amerikanische Tech-Riesen wie Google und Meta zu benachteiligen. Als Antwort drohen Washington bereits seit Monaten mit Vergeltungszöllen von bis zu 25 Prozent. Gleichzeitig läuft 2026 ein entscheidendes WTO-Abkommen aus, das seit 1998 für zollfreien digitalen Handel sorgt.

Digitalsteuer wird zum Politikum

Im Zentrum der Auseinandersetzung stehen die Digital Services Taxes, die zahlreiche Länder eingeführt haben. Diese Steuern zielen darauf ab, Einnahmen von Tech-Giganten dort zu erheben, wo sie tatsächlich Umsätze generieren – und nicht nur in ihren Steueroasen.

Das US-Handelsministerium hat bereits mehrfach Section 301-Untersuchungen eingeleitet und dabei festgestellt, dass die Digitalsteuern von Ländern wie Indien, der Türkei und Großbritannien diskriminierend seien. Vergeltungszölle wurden zwar angedroht, aber ausgesetzt, um Verhandlungen über ein globales Steuerabkommen zu ermöglichen.

Doch der Fortschritt bei den OECD-Gesprächen stockt. Ein Präsidentenerlass vom Februar 2025 ordnete an, die Untersuchungen möglicherweise wieder aufzunehmen. Indien hat bereits nachgegeben und seine Ausgleichsabgabe zurückgezogen – doch das Grundproblem bleibt ungelöst.

WTO-Abkommen vor dem Aus

Noch dramatischer könnte das Ende der WTO-Vereinbarung für zollfreie elektronische Übertragungen werden. Seit 1998 sorgt dieses Moratorium dafür, dass digitale Dienstleistungen – von Streaming bis Software-as-a-Service – grenzüberschreitend ohne Zölle gehandelt werden können.

Das Abkommen läuft im März 2026 aus. Bei der WTO-Ministerkonferenz Anfang 2024 gelang nur eine knappe Verlängerung, gegen den Widerstand von Ländern wie Indien, Südafrika und Indonesien. Diese Staaten wittern in digitalen Zöllen eine neue Einnahmequelle.

Experten warnen vor einer Fragmentierung des Internets: Ein Flickenteppich nationaler Zölle würde Kosten in die Höhe treiben und besonders kleine und mittlere Unternehmen treffen. Die USA kämpfen für eine permanente Lösung, doch der Weg zur einstimmigen Zustimmung aller WTO-Mitglieder bleibt steinig.

Indien als Brennpunkt

Nirgends sind die Risiken größer als in Indien, dem globalen Zentrum für IT-Services und Outsourcing. Die indische Tech-Branche steuert 2025 auf Einnahmen von 282,6 Milliarden Euro zu, davon 224,4 Milliarden Euro aus Exporten – ein Großteil davon in die USA.

NASSCOM-Präsident Rajesh Nambiar bezeichnete mögliche US-Zölle bereits als großen "Joker" für die Branche. Diskutiert werden sogar Zölle auf ausgelagerte Dienstleistungen und ausländische Remote-Arbeiter – ein Frontalangriff auf das Geschäftsmodell der globalen IT-Services. Verschärfte Visa-Bestimmungen, etwa beim H-1B-Programm, erhöhen den Druck zusätzlich.

Wirtschaftlicher Nationalismus auf dem Vormarsch

Die aktuellen Spannungen sind Teil eines weltweiten Trends zum wirtschaftlichen Nationalismus. Regierungen suchen nach Wegen, die digitale Wirtschaft zu besteuern, während multinationale Tech-Konzerne Kapital und geistiges Eigentum mühelos über Grenzen verschieben.

Branchenanalysten beobachten bereits jetzt, wie Unternehmen ihre Lieferketten überdenken. Die Auswirkungen von Zöllen auf Tech-Hardware haben Verbraucher und Firmen wie Apple bereits zu spüren bekommen. Ähnliche Abgaben auf Dienstleistungen wären eine drastische Eskalation mit weitreichenden Folgen für Innovation und Wachstum.

Entscheidung rückt näher

Für die IT-Branche kristallisieren sich zwei kritische Zeitpunkte heraus: die mögliche Erneuerung der Section 301-Untersuchungen durch die USA und der WTO-Stichtag im März 2026.

Die kommenden Monate werden zeigen, ob die OECD-Verhandlungen einen Ausweg aus dem Digitalsteuer-Streit bieten können. Bei der WTO sind intensive Gespräche nötig, um das Moratorium zu retten. Tausende Unternehmen im IT-Sektor warten gespannt auf das Ergebnis dieser diplomatischen Schlachten. Die lange geltende Übereinkunft für eine zollfreie digitale Welt steht auf dem Spiel.