Süße Kurse, bittere Preise: Die 30-Prozent-Lücke
Liebe Leserinnen und Leser,
gestern blickten wir an dieser Stelle auf die statische Null beim deutschen Wirtschaftswachstum. Heute serviert uns die Realität den passenden Kontrast dazu, und er schmeckt bitterer als Zartbitter: Eine Tafel Schokolade kostet aktuell 30,7 Prozent mehr als noch vor einem Jahr. Während das Statistische Bundesamt diese Zahl nüchtern aus Wiesbaden vermeldet und der Einzelhandel vor dem Weihnachtsgeschäft zittert, findet nur wenige hundert Kilometer weiter südöstlich eine Party statt, zu der die Realwirtschaft offenbar nicht eingeladen wurde.
Am Frankfurter Parkett herrscht Feierstimmung. Der DAX kletterte am heutigen Vormittag über die Marke von 23.500 Punkten. Es ist eine Entkopplung, die fast schon schwindelig macht: Hier die physische Realität der Teuerung, dort die antizipierte Zukunft des billigen Geldes.
Willkommen an einem Mittwoch, an dem die Börse die Gegenwart überspringt, um direkt in einer rosigen Zukunft zu handeln.
Die Wette auf den Frieden (und den Pivot)
Der Treibstoff für diesen Anstieg auf über 23.500 Punkte ist keine plötzliche Leistungsexplosion der deutschen Industrie. Es ist ein Cocktail aus geopolitischer Hoffnung und zynischer Zins-Spekulation. In den Handelssälen kursieren Berichte über mögliche Annäherungen im Ukraine-Konflikt. Diese „Friedens-Dividende" wird sofort eingepreist – Rüstungswerte wie Rheinmetall, die zuletzt volatil handelten, rücken wieder in den Fokus, diesmal unter dem Vorzeichen der Neuordnung, nicht der Eskalation.
Der zweite Treiber kommt aus den USA und folgt der Logik „Bad News are Good News". Schwächere Einzelhandelsdaten und moderate Erzeugerpreise nähren die Spekulation, dass die Federal Reserve – womöglich bald unter dem Einfluss von Kevin Hassett – die Zinsen senken muss. Selbst aus dem EZB-Rat kommen nun Töne, die aufhorchen lassen: Boris Vujčić warnt, dass ein Platzen der KI-Blase die Währungshüter zum Handeln zwingen könnte. Die Märkte feiern das potenzielle Scheitern der Konjunktur bereits als Erfolg der kommenden Liquiditätsschwemme.
Risse im KI-Monument: Die Buchhalter kommen
Apropos KI-Blase: Während Dell dank seiner Server-Sparte ein Rekordquartal verbucht, verlagert sich der Fokus bei den ganz Großen von den Chips auf die Bilanzen. Wenn die Kurse nicht mehr durch bloße Visionen zu rechtfertigen sind, schlägt die Stunde der Buchprüfer.
Ein Bericht der Börsen-Zeitung sorgt heute für Unruhe: Die Buchhaltungspraktiken von Nvidia und Meta Platforms geraten ins Visier. Investoren hinterfragen zunehmend, wie Umsätze und Kosten in diesem beispiellosen Boom verbucht werden. Es ist ein klassisches Muster: Wenn das Fundament des Hypes – das blinde Vertrauen in astronomische Wachstumsraten – Risse bekommt, helfen auch die schnellsten Prozessoren nicht mehr.
Gleichzeitig formiert sich der Widerstand gegen das Monopol. Google rüstet strategisch um und setzt verstärkt auf eigene TPUs (Tensor Processing Units), um die Abhängigkeit vom Platzhirsch Nvidia zu verringern, während im Hintergrund über Milliardendeals mit Meta verhandelt wird. Wie teuer dieser Rüstungswettlauf ist, spürt indes HP: Dort müssen Stellen gestrichen werden, weil die kostspieligen KI-Chips das Budget für das operative Kerngeschäft auffressen.
Die jüngsten Entwicklungen in der Halbleiter-Industrie zeigen deutlich: Während etablierte Player wie Nvidia unter Druck geraten, eröffnen sich neue Chancen für Anleger. Bernd Wünsche analysiert in seinem Webinar, welche vier Chip-Aktien vom aktuellen Billionen-Dollar-Boom profitieren könnten – jenseits der bekannten Namen. Sie erfahren konkret, wie Sie als Anleger vom Chip-Wettlauf zwischen Google, Meta und den Herausforderern positioniert sein sollten. Details zur Chip-Aktien-Analyse ansehen
Deutschland AG: Abschiede und Warnschüsse
Der Blick auf die heimische Unternehmenslandschaft offenbart heute weniger den Glanz des DAX-Rekords, sondern eher die Mühen der Ebene.
- Jenoptik ohne Kapitän: Stefan Traeger wird den Technologiekonzern vorzeitig im Februar 2026 verlassen. Nach der jüngsten Prognosesenkung wirkt dieser Abgang wie ein weiteres Symptom einer tiefgreifenden Industriemüdigkeit.
- Post für Christian Sewing: Dario Schiraldi lässt nicht locker. In einem Schreiben an die EZB-Aufsicht wirft er der Deutschen Bank vor, ihre Risikolage beschönigt zu haben. Für CEO Sewing ist das ein Störfeuer zur Unzeit.
- Wasserstoff-Kater: Thyssenkrupp nucera enttäuscht mit einbrechenden Umsätzen und verfehlt die Erwartungen deutlich. Die grüne Transformation stockt, sobald die Auftragsbücher dünner werden.
- Ausverkauf im Hintergrund: Die FNZ Bank Deutschland (ehemals ebase) steht im Schaufenster. Ein Preisschild von 500 Millionen Euro steht im Raum – ein Indiz dafür, dass die Konsolidierung der Finanzbranche hinter den Kulissen gnadenlos weiterläuft.
Krypto: Vom Spielgeld zur Infrastruktur
Während die „Old Economy" mit Personalien und Bilanzen kämpft, wird im digitalen Raum Fakten geschaffen – und zwar von etablierter Seite. Die Deutsche Börse holt mit Allunity einen Partner für Stablecoins an Bord. Der Plan: Den „EURAU" in die regulierte Infrastruktur zu integrieren. Das ist kein Zocken mehr, das ist der Versuch, den digitalen Euro durch die Hintertür der Privatwirtschaft salonfähig zu machen.
Parallel dazu bläst die Krypto-Plattform Kraken zum Angriff auf die klassischen Banken. Mit einer geplanten Debit-Karte und einer „Super-App" will man 2025 in Europa den Neobanken Marktanteile abjagen. Eine aktuelle BISON-Studie untermauert, warum dieser Schritt logisch ist: 48 Prozent der deutschen Krypto-Investoren nutzen Bitcoin bereits als festen Baustein ihrer Altersvorsorge. Die Blockchain emanzipiert sich von der Spekulation zur Sparbuch-Alternative.
Das Fazit
Wir erleben einen Mittwoch der Extreme. Die Indizes eilen von Rekord zu Rekord, getrieben von der Hoffnung auf Frieden und billiges Geld, während die reale Kaufkraft an der Supermarktkasse schmilzt. Doch Vorsicht ist geboten: Die aufkommenden Fragen zur Bilanzierung im Tech-Sektor sind ein Warnsignal. Wenn die Zahlen zu gut erscheinen, um wahr zu sein, lohnt sich oft ein zweiter, sehr genauer Blick.
Ich wünsche Ihnen einen erkenntnisreichen Mittwoch – genießen Sie die Schokolade, auch wenn sie teurer geworden ist.
Herzlichst,
Ihr Eduard Altmann








