Victoria Hudson steht vor der vielleicht größten Chance ihrer Karriere. Mit der weltweit besten Weite der Saison im Gepäck geht die Österreicherin bei der Leichtathletik-WM in Tokio an den Start. Doch die Favoritenrolle ist Fluch und Segen zugleich.

"World Lead halt was Besonderes, das ist schon eine Hausnummer", weiß die 29-Jährige. Ihre 67,76 Meter vom Juni in Maribor sind bis heute unübertroffen. Dieses Wissen gebe Selbstvertrauen, werfe aber auch Fragen auf: "Schaffe ich das jetzt, schaffe ich es überhaupt ins Finale?"

Von Olympia-Enttäuschung zur WM-Hoffnung

Vor zwei Jahren wurde Hudson in Budapest Fünfte, damals fehlte ihr noch die Breite zum ganz großen Wurf. Heuer sieht sie die Chance vom Vermögen her gegeben. "Das ist mir bewusst, deswegen muss ich noch mehr daran arbeiten und versuchen, dass ich das einfach vom Kopf her richtig angehe."

Die vergangene Saison verlief turbulent: Europameistertitel gefolgt von der enttäuschenden Olympia-Pleite. "Natürlich machen dich Misserfolge fertig. Aber es gibt so viele Sachen, die einfach auch toll sind und schön. Und aus denen man seine Kraft ziehen kann."

Kampf mit kleinen Wehwehchen

Die Vorbereitung lief nicht perfekt. "Die letzten Trainings nicht supertoll waren. Ich habe gekämpft mit dem Rücken, mit der Ferse." Doch vielleicht sei genau das der Schlüssel zum Erfolg. Schließlich war sie vor ihrem EM-Titel in Rom sogar krank gewesen.

Ihr Umfeld mache keinen Druck, aber die eigenen Ansprüche sind hoch. "Ich habe halt eben 67 Meter geworfen, und halt nicht vor zehn Jahren, sondern vor ein paar Monaten erst. Ich bin körperlich wahrscheinlich besser drauf, als ich es jetzt die letzten Jahre war."

Taktische Speer-Entscheidung steht an

Bei ihrem letzten Wettkampf in Lausanne landete Hudson unter strömendem Regen nur auf Rang acht. Die Lehre daraus: "Ich glaube, ich hätte den Speer wechseln müssen." Bei der WM will sie bei Trockenheit zum Rekordspeer von 2012 greifen, bei Nässe kommt ein neueres Modell zum Einsatz.

Die Stimmung im Olympiastadion dürfte elektrisierend werden. Mit Haruka Kitaguchi tritt die japanische Olympiasiegerin und Titelverteidigerin vor heimischem Publikum an. Für Hudson die perfekte Bühne, um endgültig aus dem Schatten der Enttäuschungen zu treten.

Die Qualifikation findet am Freitag statt, das Finale steigt am Samstag. Dann muss es "in den drei Würfen passen" - dann könnte aus der Hausnummer auf dem Rücken endlich eine Medaille um den Hals werden.