Die Arbeitswelt erlebt einen Paradigmenwechsel: Diese Woche haben führende Unternehmenssoftware-Anbieter KI-Tools vorgestellt, die eigenständig komplexe Geschäftsprozesse steuern können. ServiceNow und Box präsentierten ihre neuesten KI-"Agenten" – Programme, die weit über einfache Assistenzfunktionen hinausgehen und selbstständig Entscheidungen treffen.

Während bisherige KI-Lösungen hauptsächlich beim Schreiben von E-Mails oder Zusammenfassen von Dokumenten halfen, automatisieren diese neuen Systeme ganze Arbeitsabläufe. Sie können mehrstufige Aufgaben ausführen, verschiedene Software-Plattformen miteinander verknüpfen und sogar mit menschlichen Kollegen zusammenarbeiten.

ServiceNow "Zurich": Wenn KI selbstständig programmiert

ServiceNow stellte seine neue "Zurich"-Plattform vor, die auf sogenannte "agentische KI" setzt. Das Kernstück bildet der "Build Agent" – ein Tool, das es Mitarbeitern ermöglicht, mit natürlicher Sprache produktionsreife Anwendungen zu erstellen. Das Unternehmen nennt diesen Ansatz "Vibe Coding".

Besonders innovativ sind die "agentischen Playbooks": strukturierte Prozesse, in denen KI-Agenten und Menschen Hand in Hand arbeiten. Die KI übernimmt dabei Routineentscheidungen und Automatisierung, während Menschen bei wichtigen Weichenstellungen eingreifen können.

Zur Sicherheit führte ServiceNow die Vault Console zum Schutz sensibler Daten und die Machine Identity Console zur Verwaltung von Bot-Zugriffen ein. Diese ergänzen den bereits angekündigten AI Control Tower, der zentrale Übersicht über alle KI-Systeme bietet.

Box: KI durchforstet Unternehmensdaten

Parallel präsentierte Box auf seiner BoxWorks 2025-Konferenz eine Suite neuer KI-Agenten für intelligente Inhaltsverwaltung. Box Extract kann eigenständig spezifische Informationen aus unstrukturierten Inhalten wie Dokumenten, Bildern und Präsentationen extrahieren – eine Lösung für das langanhaltende Problem riesiger, unorganisierter Dateisammlungen.

Box Automate orchestriert komplexe Arbeitsabläufe zwischen verschiedenen KI-Agenten und menschlichen Teams. Mit einem Low-Code-Builder können Nutzer maßgeschneiderte Agenten für Aufgaben wie Recherche, Q&A oder Content-Erstellung entwickeln.

Für die Sicherheit sorgt Box Shield Pro mit einem KI-Klassifizierungs-Agenten, der sensible Inhalte automatisch markiert, und einem KI-Bedrohungsanalyse-Agenten für schnellere Reaktionen auf Sicherheitsalerts.

Wenn KI-Agenten zusammenarbeiten

Der eigentliche Durchbruch liegt in der Vernetzung: Spezialisierte KI-Agenten verschiedener Anbieter können nun zusammenarbeiten. Ein praktisches Beispiel zeigt die Integration zwischen Box und ServiceNow: Bei einer Ausschreibungsanfrage kann ein ServiceNow-Agent den gesamten Workflow steuern, während ein Box-Agent relevante Unternehmensdokumente analysiert und Antwortsentwürfe erstellt.

Diese Agent-zu-Agent-Kommunikation reduziert manuelle Arbeit drastisch und beschleunigt Verkaufsprozesse erheblich.

Vom Copilot zur digitalen Belegschaft

Die neuen Entwicklungen markieren eine klare Weiterentwicklung gegenüber der ersten KI-Generation wie Microsoft 365 Copilot oder Google Gemini. Während diese Tools hauptsächlich einzelne Nutzeraufgaben unterstützen, automatisieren die neuen "agentischen" Plattformen komplette Geschäftsprozesse von Anfang bis Ende.

Die Zahlen sprechen für sich: Laut McKinsey stieg die Unternehmens-Nutzung generativer KI 2024 von rund 50 auf 72 Prozent. Der globale Markt für KI-Produktivitätstools war 2024 bereits knapp 9,3 Milliarden Euro schwer und könnte bis 2030 auf etwa 22 Milliarden Euro anwachsen.

Herausforderungen bleiben bestehen

Der rasante Fortschritt bringt auch Risiken mit sich: Datenschutzbedenken, komplexe Integration in bestehende Systeme und die Notwendigkeit, KI-Ausgaben auf Richtigkeit zu prüfen. Plattformen wie ServiceNows AI Control Tower werden daher zu kritischer Infrastruktur für die Verwaltung und Sicherung dieser KI-Ökosysteme.

Die Branche bewegt sich auf eine Zukunft "unsichtbarer KI-Copilots" zu, die im Hintergrund Arbeitsabläufe verwalten, Bedürfnisse antizipieren und verschiedene Systeme verknüpfen. Was heute als revolutionär gilt, könnte morgen Standard sein – KI als autonome digitale Belegschaft, die menschliches Potenzial im gesamten Unternehmen verstärkt.