Liebe Leserinnen und Leser,

320 Milliarden Dollar – so groß ist die Lücke zwischen Realität und Hoffnung manchmal an der Börse. Während bei Puma heute Übernahmegerüchte die Aktie um 15 Prozent nach oben katapultieren, kämpft Novo Nordisk trotz vielversprechender Studiendaten weiter mit Kursverlusten. Und 1&1? Die Mobilfunkfirma entgeht knapp einer Millionenstrafe – nicht wegen besonderer Leistung, sondern wegen eines Formfehlers. Drei Unternehmen, drei Geschichten, die zeigen: An manchen Tagen zählt nicht, was ist, sondern was sein könnte.

Puma: Wenn Hoffnung den Kurs verdoppelt

Ein Bloomberg-Bericht genügt, und plötzlich ist alles anders: Die Puma-Aktie schoss am Donnerstag um bis zu 17 Prozent nach oben, nachdem die Nachrichtenagentur berichtete, der chinesische Sportartikelriese Anta Sports erwäge eine Übernahme der Herzogenauracher. Auch der Konkurrent Li Ning und der japanische Hersteller Asics sollen Interesse zeigen. Die beteiligten Unternehmen? Wollten sich nicht äußern.

Für Puma-Aktionäre ist das ein Strohhalm, nach dem sie greifen. Die Aktie hat im laufenden Jahr fast 66 Prozent an Wert verloren und war in der Vorwoche auf den tiefsten Stand seit 2015 abgestürzt. Vom Rekordhoch von über 115 Euro vor vier Jahren sind nur noch gut 17 Euro übrig – ein Verlust von 85 Prozent. Die Marktkapitalisierung liegt bei mageren 2,5 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Anta bringt es auf 27 Milliarden.

Das Pikante: Es ist nicht das erste Mal, dass Übernahmegerüchte die Puma-Aktie beflügeln. Im August sorgte die Nachricht, die französische Milliardärsfamilie Pinault erwäge den Verkauf ihrer 30-Prozent-Beteiligung, für einen Kurssprung von 16 Prozent. Im September trieben Spekulationen über Interesse von Finanzinvestor CVC und Authentic Brands Group den Kurs um 17 Prozent. Beide Male verpuffte der Effekt schnell, weil keine Fakten folgten.

Diesmal könnte es anders sein – oder auch nicht. Größte Hürde bleibt die Bewertungserwartung der Pinaults. Und die Tatsache, dass viele Spekulanten über Leerverkäufe auf weitere Kursverluste gesetzt haben, macht die Aktie anfällig für einen sogenannten Short-Squeeze: Steigt der Kurs plötzlich stark, müssen diese Investoren Aktien kaufen, um ihre Positionen glattzustellen – was den Kurs weiter nach oben treibt. Ein Sturm im Wasserglas? Vielleicht. Aber an der Börse ist die Erwartung manchmal wichtiger als die Realität.

Novo Nordisk: Starke Daten, schwache Nerven

Während Puma auf Gerüchte steigt, fällt Novo Nordisk trotz handfester Studienergebnisse. Der dänische Pharmakonzern hat bei der US-Zulassungsbehörde FDA einen Antrag auf Zulassung einer deutlich höheren Dosis seiner Adipositas-Therapie Wegovy eingereicht – 7,2 Milligramm statt der bisher zugelassenen 2,4 Milligramm. Die Phase-III-Studie „STEP UP" liefert beeindruckende Zahlen: Patienten verloren im Schnitt 20,7 Prozent ihres Ausgangsgewichts, gut ein Drittel sogar 25 Prozent oder mehr. Mit der niedrigeren Dosis waren es nur 17,5 Prozent.

Novo nutzt für den Antrag ein beschleunigtes Prüfverfahren der FDA, das eine Entscheidung innerhalb von ein bis zwei Monaten ermöglichen könnte – deutlich schneller als üblich. Parallel läuft ein Zulassungsverfahren bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA, wo eine Entscheidung im ersten Quartal 2026 erwartet wird.

Doch die Börse reagiert verhalten. Die Novo Nordisk-Aktie verlor am Donnerstag weitere 1,13 Prozent und hat im bisherigen Jahresverlauf bereits rund 50 Prozent eingebüßt. Der Grund: Höhere Dosen bedeuten auch höhere Nebenwirkungsraten. In der STEP UP-Studie meldeten Teilnehmer unter 7,2 Milligramm häufiger gastrointestinale Beschwerden und sensorische Probleme. Für Patienten mit Begleiterkrankungen könnte das zur kritischen Nutzen-Risiko-Abwägung führen.

Für Novo ist die höhere Dosis strategisch wichtig: Mit einem breit abgestuften Portfolio – von Standarddosen bis zu Hochdosis und künftig auch oralen Formulierungen – will sich das Unternehmen als führender Anbieter modularer Adipositas-Therapien positionieren. Ob das die gebeutelte Aktie wieder auf Kurs bringt, bleibt abzuwarten.

1&1: Glück im Unglück dank Gerichtsurteil

Manchmal ist es besser, Glück zu haben als gut zu sein. Das gilt jedenfalls für 1&1. Die zum United-Internet-Konzern gehörende Mobilfunkfirma hatte 2019 eigene Frequenzen ersteigert und sich verpflichtet, bis Ende 2022 mindestens 1.000 Antennenstandorte in Betrieb zu nehmen. Tatsächlich wurden es nur fünf – eine Verfehlung, die die Bundesnetzagentur im Frühjahr 2023 mit einem Bußgeldverfahren beantwortete.

Nun die Wendung: Die Behörde stellt das Verfahren ein. Grund ist ein Urteil des Kölner Verwaltungsgerichts, das kürzlich rechtskräftig wurde. Die Richter befanden, dass die Auflagen rechtswidrig erarbeitet worden waren – das damals von CSU-Politiker Andreas Scheuer geführte Bundesverkehrsministerium hätte keinen Einfluss auf die eigentlich unabhängige Bundesnetzagentur nehmen dürfen.

Für 1&1 hätte das Verfahren teuer werden können: Pro nicht gebautem Standort drohten bis zu 50.000 Euro Bußgeld – rein rechnerisch also knapp 50 Millionen Euro. Die Aktie reagierte am Donnerstag dennoch verhalten und notierte zeitweise 0,43 Prozent im Minus. Denn das Grundproblem bleibt: 1&1 hinkt beim Netzausbau weiter hinterher, auch wenn die Auflagen inzwischen weitgehend erfüllt sind.

Siemens Energy: Berenberg sieht Spielraum nach oben

Während Puma auf Spekulationen steigt, profitiert Siemens Energy von konkreten Analysteneinschätzungen. Die Privatbank Berenberg hob das Kursziel von 122 auf 130 Euro an und bestätigte die Einstufung „Buy". Analyst Richard Dawson begründete den Optimismus mit der „enormen Nachfrage", die die Margen des Münchener Konzerns weiter antreibe. Er hob seine Ergebnisschätzungen bis ins Geschäftsjahr 2028 um bis zu 43 Prozent an.

Die Siemens Energy-Aktie notierte am Donnerstag zeitweise 1,83 Prozent höher bei 114,25 Euro. Die aktuelle Kursnotierung liegt damit bereits deutlich über dem durchschnittlichen Analystenziel von 108,57 Euro. Das höchste Kursziel unter den gelisteten Bewertungen liegt bei 140,36 Euro – und übertrifft damit sogar die neue Schätzung von Berenberg.

Die Anpassung erfolgte im Nachgang des jüngsten Kapitalmarkttags des Konzerns. Berenberg sieht Siemens Energy als einen der Hauptprofiteure der globalen Energiewende – ein Narrativ, das die Aktie seit Monaten beflügelt.

Was heute sonst noch wichtig war

Die Bundesnetzagentur stoppte auch Bußgeldverfahren gegen Telekom, Vodafone und O2 wegen geringfügiger Verfehlungen beim Netzausbau – aus demselben juristischen Grund wie bei 1&1. Mercedes-Benz-Chef Ola Källenius warnte vor hartem Wettbewerb in China, wo 100 Automobilfirmen um einen Markt buhlen, der vielleicht 30 bis 40 Hersteller tragen kann. Und der VW-Betriebsrat feierte den 80. Jahrestag der Mitbestimmung im Wolfsburger Werk – ein historischer Meilenstein, der in turbulenten Zeiten besondere Symbolkraft hat.

Morgen bleibt die Wall Street wegen Thanksgiving geschlossen, am Freitag wird nur verkürzt gehandelt. Das dürfte für ruhige Märkte sorgen – es sei denn, neue Spekulationen sorgen für Bewegung.

Einen erholsamen Abend wünscht Ihnen

Andreas Sommer