Powell macht den Markt verrückt – aber anders als erwartet

Liebe Leserinnen und Leser,
manchmal sind es die kleinen Worte, die große Wirkung entfalten. Als Fed-Chef Jerome Powell gestern in Jackson Hole ans Rednerpult trat, wartete die Finanzwelt auf Signale zur Zinswende. Was sie bekam, war eine Meisterklasse in strategischer Ambiguität – und prompt drehten die Märkte durch. Allerdings in die entgegengesetzte Richtung als viele Beobachter zunächst vermeldeten.
Doch der Reihe nach: Während sich die Wall Street über Powells vorsichtig optimistische Töne freute und der S&P 500 um satte 1,5 Prozent zulegte, kämpft Europa weiterhin mit hausgemachten Problemen. Die deutsche Wirtschaft schrumpft stärker als befürchtet, in Großbritannien explodiert die Inflation förmlich, und ein mittelständischer Verpackungshersteller aus Düsseldorf zeigt, wie aktivistische Investoren plötzlich Kurse bewegen können.
Jackson Hole: Die Kunst des Nichtsagens
Im malerischen Wyoming-Tal versammelte sich diese Woche die Crème de la Crème der Notenbanker. Das jährliche Symposium gilt als informelles Davos der Geldpolitik – hier werden die Weichen für die kommenden Monate gestellt, meist zwischen Wanderungen und Abendessen mit Bergpanorama.
Jerome Powell nutzte seine mit Spannung erwartete Rede für einen bemerkenswerten Balanceakt. Einerseits signalisierte er Offenheit für weitere geldpolitische Lockerungen, andererseits warnte er vor übereilten Schritten. "Die Zeit für eine Anpassung der Politik ist gekommen", sagte Powell – ein Satz, der sofort um die Welt ging. Doch was bedeutet das konkret?
Die Märkte interpretierten seine Worte als grünes Licht für baldige Zinssenkungen. Tech-Aktien wie Nvidia und Microsoft, die in den Tagen zuvor unter KI-Blasen-Ängsten gelitten hatten (dazu später mehr), erholten sich kräftig. Der Nasdaq legte fast 2 Prozent zu. Interessant dabei: Powell erwähnte explizit die sich abschwächende Arbeitsmarktdynamik – ein Signal, dass die Fed ihre Prioritäten verschiebt. Bisher galt die Inflationsbekämpfung als oberstes Ziel, nun rückt die Beschäftigungslage stärker in den Fokus.
Für europäische Anleger bedeutet das: Der Dollar könnte mittelfristig schwächer werden, was unseren Exporten hilft, aber importierte Inflation begünstigt. Ein zweischneidiges Schwert, besonders angesichts der bereits angespannten Lage diesseits des Atlantiks.
Deutschland: Die Rezession, die niemand wahrhaben will
Während Powell in Wyoming philosophierte, schlug das Statistische Bundesamt in Wiesbaden Alarm. Das deutsche BIP schrumpfte im zweiten Quartal um 0,3 Prozent – stärker als die zunächst gemeldeten 0,1 Prozent. Die Revision nach unten hat es in sich: Sie zeigt, dass die Industrieproduktion noch schwächer läuft als befürchtet.
Die Gründe lesen sich wie ein Best-of der deutschen Strukturprobleme: alternde Belegschaft, ausufernde Bürokratie, geopolitische Unsicherheiten und eine Industrie, die den Anschluss an die Zukunft zu verpassen droht. Besonders bitter: Während Spaniens Wirtschaft um 0,7 Prozent wuchs und selbst Frankreich ein Plus von 0,3 Prozent verbuchte, ist Deutschland zum Schlusslicht der Eurozone geworden.
"Wir erleben gerade eine schleichende Deindustrialisierung", warnte ein mir bekannter Mittelständler aus dem Maschinenbau diese Woche. Seine Firma verlagert gerade Teile der Produktion nach Polen – nicht aus Kostengründen, sondern weil dort die Genehmigungsverfahren in Wochen statt Jahren gemessen werden.
Die Bundesregierung reagiert mit dem üblichen Instrumentarium: Förderprogramme hier, Subventionen dort. Doch die eigentlichen Probleme – Überregulierung, Fachkräftemangel, marode Infrastruktur – bleiben ungelöst. Die Quittung könnte im Herbst kommen, wenn die Prognosen für 2025 veröffentlicht werden.
Großbritannien: Wenn Inflation zum Albtraum wird
Von wegen "Zinsenwende" – die Bank of England dürfte nach den jüngsten Zahlen eher über Zinserhöhungen nachdenken. Mit 3,8 Prozent erreichte die britische Inflation im Juli den höchsten Stand seit anderthalb Jahren. Das ist fast doppelt so hoch wie das Zwei-Prozent-Ziel der Notenbank.
Andrew Bailey, Chef der Bank of England und ebenfalls Gast in Jackson Hole, dürfte sich dieser Tage die Haare raufen. Nachdem seine Institution im vergangenen Jahr fünfmal die Zinsen senkte – auf mittlerweile 4 Prozent –, kehrt das Inflationsgespenst mit Macht zurück. Die Gründe sind hausgemacht: höhere Sozialversicherungsbeiträge, kräftige Lohnsteigerungen und die anhaltenden Brexit-Nachwehen in Form von Zöllen und Handelshemmnissen.
Für kontinentaleuropäische Beobachter ist das britische Dilemma ein Lehrstück. Es zeigt, wie schnell vermeintlich besiegte Inflationsprobleme zurückkehren können. Die EZB, die selbst vor schwierigen Entscheidungen steht, wird genau hinschauen. Immerhin liegt die Eurozone-Inflation mit 2,6 Prozent noch in einem halbwegs kontrollierbaren Bereich – vorerst.
Tech-Aktien: Die KI-Blase platzt (noch nicht)
"Die KI-Branche ist kollektiv überbewertet" – als OpenAI-Gründer Sam Altman diese Woche diese Worte in einem Interview fallen ließ, ging ein Ruck durch die Tech-Welt. Der Mann, der mit ChatGPT die KI-Revolution lostrat, verglich den aktuellen Hype sogar mit der Dotcom-Blase der Jahrtausendwende.
Die Reaktion kam prompt: Nvidia sackte am Mittwoch um 3,6 Prozent ab, Microsoft verlor 3 Prozent, und bei Palantir – einem Unternehmen, das besonders stark auf KI-Narrative setzt – brachen gleich 14 Prozent weg. Doch schon am Donnerstag und Freitag erholten sich die meisten Werte wieder. Powell sei Dank.
Was lernen wir daraus? Der KI-Markt ist hochnervös. Jede kritische Stimme, selbst aus den eigenen Reihen, kann zu heftigen Kursausschlägen führen. Gleichzeitig ist der langfristige Trend intakt. KI wird unsere Wirtschaft fundamental verändern – die Frage ist nur, welche Unternehmen am Ende die Gewinner sein werden.
Interessant für europäische Anleger: Während die USA den KI-Hype dominieren, entstehen in Europa durchaus spannende Alternativen. Das französische Mistral AI oder das deutsche Aleph Alpha zeigen, dass wir nicht nur Zuschauer sein müssen. Allerdings fehlt es an Kapital und regulatorischer Unterstützung – wieder einmal.
Gerresheimer: Wenn Aktivisten anklopfen
Zum Abschluss noch eine Geschichte aus der deutschen Unternehmenslandschaft, die zeigt, wie schnell sich Sentiment drehen kann. Gerresheimer, ein Spezialverpackungshersteller aus Düsseldorf, erlebte diese Woche eine Achterbahnfahrt.
Nachdem das Unternehmen Mitte Juli Übernahmegespräche mit Private-Equity-Investoren platzen ließ, stürzte die Aktie auf ein Mehrjahrestief. Doch dann kam die Wende: Active Ownership Capital (AOC), ein aktivistischer Investor mit Sitz in London, meldete einen Anteil von über 7 Prozent. Die Nachricht elektrisierte den Markt – die Aktie sprang um 4 Prozent.
AOC ist bekannt dafür, schlummernde Potenziale in mittelständischen Unternehmen zu heben. Bei Scout24 oder Brenntag haben sie vorgemacht, wie das geht: Kostensenkungen hier, Strategiewechsel dort, notfalls auch mal ein Führungswechsel. Für Gerresheimer könnte das die Rettung sein – oder der Anfang einer schmerzhaften Umstrukturierung.
Der Blick nach vorn
Was bringt die kommende Woche? Die Märkte werden weiter jedes Wort der Notenbanker auf die Goldwaage legen. Am Dienstag kommen neue US-Verbrauchervertrauensdaten, am Donnerstag folgen die deutschen Inflationszahlen für August. Beides könnte die Zinsdebatte neu befeuern.
Besonders spannend wird der 4. September: Dann entscheidet die EZB über ihren weiteren Kurs. Nach Powells Jackson-Hole-Auftritt steht Christine Lagarde unter Zugzwang. Senkt sie die Zinsen, riskiert sie eine Abwertung des Euro. Bleibt sie hart, würgt sie die ohnehin schwache Konjunktur weiter ab.
In dieser Gemengelage hilft nur eines: Ruhe bewahren und diversifiziert bleiben. Die Zeiten, in denen man einfach einen Index kaufen und vergessen konnte, sind vorbei. Stockpicking ist wieder gefragt – und ein gutes Gespür für makroökonomische Wendepunkte.
Genießen Sie das Wochenende und tanken Sie Kraft für die kommenden Wochen. Sie werden turbulent.
Herzliche Grüße aus Frankfurt
Eduard Altmann
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