Verwundbar, Kommentar zu Gasversorgung und Konjunktur von Detlef

Fechtner

Frankfurt (ots) - Die Nachricht über Beschädigungen der Ostsee-Pipelines hat

Umweltpolitiker und Naturschützer beunruhigt - zumal angesichts der Bilder von

ungewöhnlichen Blasenbildungen im Meer. Unter dem Aspekt der Energieversorgung,

also aus wirtschaftlicher Perspektive, könnte man derweil eigentlich meinen,

dass die Lecks keine besondere Aufmerksamkeit verdient haben. Schließlich

bezieht der Westen gegenwärtig ja sowieso kein russisches Gas über diese

Leitungen. Wie gesagt: eigentlich. Könnte man meinen.

Aber natürlich ist eine solche Sichtweise einäugig. Denn selbstverständlich

haben die Lecks Weiterungen für die Versorgung. Erstens nämlich zerstören sie

jede Aussicht da­rauf, dass nach einem Ende des Uk­raine-Kriegs rasch wieder

russisches Gas nach Europa fließen könnte. Und zweitens dokumentieren sie

augenscheinlich die generelle Fragilität der Versorgungsinfrastruktur.

Solange keine belastbaren Hinweise vorliegen, verbieten sich Spekulationen

darüber, wer für die Lecks verantwortlich ist. Gleichwohl handelt es sich mit

hoher Wahrscheinlichkeit nicht um Zufall oder Unfall, sondern Sabotage, von wem

auch immer. Das führt vor Augen, wie real in Zeiten des Kriegs die Gefahr einer

jähen Unterbrechung von Gaslieferungen und wie groß damit die latente Bedrohung

der Wirtschaftskraft ist.

Am Dienstag meldeten sich denn auch rasch diejenigen zu Wort, die Deutschland

und Europa nicht nur einige Quartale schrumpfende Wirtschaftsleistung

prognostizieren, sondern eine sehr schwere Rezession, wenn nicht gar Depression.

Die Konjunkturoptimisten verweisen demgegenüber auf gefüllte Gasspeicher und die

Tatsache, dass Unternehmen und ihre finanzierenden Banken sich bislang noch in

einer Position der Stärke befinden - also in robuster Verfassung auf die

absehbar kritische Situation im Winter zusteuern.

Das ist zwar richtig. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass die wirtschaftliche

Abwärtsbewegung doch schmerzhafter ausfallen wird, als es bislang noch die

einschlägigen Prognosen vor­aussagen, wächst stetig - auch durch immer wieder

neue Risikofaktoren wie nun die mutmaßlichen Sabotageakte.

Deutschlands Wirtschaft steht in den nächsten Mo­naten ein un­gewöhnlich harter

Stresstest bevor. Pandemie, Ukraine-Krieg und Klimawandel - gekoppelt mit den

wirtschaftlichen Herausforderungen durch Lie­fer­pro­ble­me, Fachkräftemangel,

ho­her Inflation und Zinswende - bedeuten schon genug Risiken. Zusätzlich ist

das Maß an Verunsicherung so hoch wie selten zuvor - und Unge­wissheit bremst

bekannter­maßen Investitionen und Konjunktur.

Die Finanzmärkte taten sich am Dienstag erkennbar schwer, die Nachrichtenlage zu

bewerten. Nachdem der Gaspreis zu­nächst nur überschaubar anzog und sich der Dax

lange Zeit im positiven Terrain hielt, schossen die Gasnotierungen am späten

Nachmittag in die Höhe und lagen mehr als 20 Prozent über Vortag, während der

Deutsche Aktienindex ins Minus rutschte. Das zeigt erneut, wie schwierig es

derzeit am Aktienmarkt ist, die Risiken zu taxieren - zumal viele von ihnen, wie

etwa die Sabotageakte, ohne Präzedenz sind. Wie im Vorfeld der Finanzkrise taugt

der Finanzmarkt auch aktuell nicht als verlässlicher Krisen-Seismograf.

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