OTS: Börsen-Zeitung / Drahtseilakt, Kommentar von Heidi Rohde zu Lufthansa
15.06.2021 | 19:31
Drahtseilakt, Kommentar von Heidi Rohde zu Lufthansa
Frankfurt (ots) - Die Lufthansa nutzt die Gunst der Stunde, um die Fesseln des
staatlichen Rettungsregimes zu lockern. Für die bereits kurz nach der
Hauptversammlung avisierte Kapitalerhöhung ist mit der Eindämmung der Pandemie
und der absehbaren deutlichen Erholung der Flugnachfrage im Sommer der Boden
bereitet. Zudem flankiert der Konzern die geplante Mittelaufnahme mit
mittelfristigen Ertragszielen, die an das bisherige Rekordjahr 2017 anknüpfen.
Dass diese im Wesentlichen mit umfangreichen Einsparungen, insbesondere auch
beim Personal, erzielt werden sollen, sollte die Investoren eher ermutigen als
skeptisch stimmen. Denn zum einen lassen sich die Ziele allein durch eine
Erholung der Flugnachfrage kaum erreichen. Zum anderen sind die Beschlüsse ein
Signal, dass der Bund als Anteilseigner seine Position im Aufsichtsrat bisher
nicht dazu einsetzt, vom Vorstand als notwendig erachtete Restrukturierungen aus
politischen Gründen zu blockieren.
Europas größte Fluggesellschaft benötigt noch strukturelle Sparmaßnahmen, um in
einem veränderten Marktumfeld nach der Krise wettbewerbsfähig zu sein. Denn
Preise und Frequenz im bisher so ertragsstarken Segment der Geschäftsreisenden
werden sich wohl dauerhaft auf einem niedrigeren Niveau einpendeln. Und auch auf
den touristischen Nah- und Fernstrecken, auf denen sich die Nachfrage derzeit
schnell erholt, ist künftig mit deutlichen Überkapazitäten und infolgedessen
Preisdruck zu rechnen - allein schon deshalb, weil auch Netz-Carrier wie die
Lufthansa für Wachstum ihr Heil in diesem Segment suchen.
Die Banken gehen nun gut gerüstet ans Werk, um eine enorme Anzahl neuer
Lufthansa-Aktien beim Publikum unterzubringen. Dennoch bleibt die Emission ein
Drahtseilakt. Auch wenn die geschäftliche Lage sich aufhellt und sich außerdem
bei mehreren Fremdkapitaltransaktionen gezeigt hat, dass der Markt prinzipiell
für Lufthansa-Titel aufnahmefähig ist: Ganz abstreifen kann der Konzern das
staatliche Joch noch nicht. Wenn auch die teure stille Beteiligung weitgehend
abgelöst wird und der Staat seinen Eigenkapitalanteil möglicherweise verwässert,
dürfte eine substanzielle Beteiligung doch auf absehbare Zeit nötig sein, um
sicherzustellen, dass bei einer Kapitalaufnahme in Höhe der Hälfte der
Marktkapitalisierung nicht Investoren einsteigen, die ihre ganz eigenen
Interessen im Sinn haben. Dies zumal die Thiele-Erben bereits deutlich zu
erkennen gegeben haben, dass auf sie als Ankeraktionär nicht gezählt werden
kann.
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