Liebe Leserinnen und Leser,

62 Prozent Umsatzwachstum – für die meisten Unternehmen wäre das ein Grund zum Feiern. Für Nvidia war es gestern Abend lediglich die Eintrittskarte, um eine nervöse Wall Street zu beruhigen. Der KI-Chipriese lieferte nach US-Börsenschluss Zahlen ab, die jede Erwartung übertrafen – und dennoch zeigt sich an anderer Stelle, dass selbst spektakuläre Erfolge nicht automatisch Applaus garantieren. Während Nvidia mit seiner Blackwell-Architektur die Zweifler zum Schweigen bringt, kämpft der deutsche Rüstungszulieferer Renk mit enttäuschten Anlegern, obwohl das Unternehmen seine Umsätze bis 2030 mehr als verdoppeln will. Und IBM? Der Tech-Veteran bekommt von Analysten Bestnoten für seine Quantencomputing-Strategie – doch die Börse reagiert verhalten. Willkommen in einer Welt, in der Erfolg allein nicht mehr ausreicht.

Der 57-Milliarden-Dollar-Beweis: Nvidia räumt KI-Zweifel vom Tisch

Als Nvidia-Chef Jensen Huang gestern Abend vor Analysten trat, stand mehr auf dem Spiel als nur ein Quartalsbericht. Es ging um die Frage, ob der KI-Boom Substanz hat oder nur heiße Luft. Die Antwort fiel eindeutig aus: 57 Milliarden Dollar Umsatz im dritten Quartal – ein Plus von 62 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Nettogewinn kletterte auf 31,9 Milliarden Dollar, was einem Gewinn je Aktie von 1,30 Dollar entspricht. Beide Werte lagen deutlich über den ohnehin ambitionierten Erwartungen der Analysten.

Doch die eigentliche Sensation steckt im Detail: Die neue Blackwell-Architektur, Nvidias jüngste Generation von KI-Chips, ist bereits ausverkauft. "Die Nachfrage ist außerhalb jeder Skala", erklärte Huang und fügte hinzu, dass das Unternehmen bis Ende 2026 bereits Aufträge im Wert von 500 Milliarden Dollar in den Büchern habe. Besonders bemerkenswert: Der GB300-Chip machte bereits zwei Drittel der gesamten Blackwell-Umsätze aus – und das in einem Markt, in dem die Produktion kaum mit der Nachfrage Schritt halten kann.

Die Aktie schoss nachbörslich um fünf Prozent nach oben und zog damit auch andere Chip-Werte mit. In Deutschland profitierten am Vormittag Infineon mit einem Plus von 1,6 Prozent, während Siemens Energy als DAX-Spitzenreiter um vier Prozent zulegte – getrieben von der Fantasie steigenden Energiebedarfs für KI-Rechenzentren. Analysten überschlugen sich mit Lob: Jefferies sprach von einem "stabilisierten KI-Trade", während Bernstein Research sein Kursziel auf 275 Dollar anhob. Huang selbst konterte die Blasen-Vorwürfe direkt: "Wir sehen etwas völlig anderes – drei parallele Plattformwechsel gleichzeitig." Er meinte damit den Übergang von CPU- zu GPU-Computing, den Durchbruch generativer KI und die kommende Welle autonomer KI-Agenten.

Quantensprung mit Cisco: IBM will das Unmögliche möglich machen

Während Nvidia die Gegenwart der KI dominiert, arbeitet IBM an deren Zukunft – und die könnte quantenmechanisch sein. Gemeinsam mit Cisco kündigte der Tech-Veteran gestern Pläne für ein Netzwerk aus großen, fehlertoleranten Quantencomputern an, das bereits Anfang der 2030er Jahre Realität werden soll. Das Besondere: Die beiden Konzerne wollen nicht nur einzelne Quantencomputer bauen, sondern diese miteinander vernetzen – ein technologisches Kunststück, das bislang als nahezu unmöglich galt.

Der Plan sieht vor, dass IBM seine geplanten Quantum-Starling-Systeme, die für 2029 angekündigt sind, über spezielle Quantennetzwerk-Einheiten miteinander verbindet. Cisco steuert die Netzwerkarchitektur bei, die es ermöglichen soll, Quanteninformationen zwischen den Systemen zu übertragen – mit einer Präzision im Sub-Nanosekunden-Bereich. Innerhalb von fünf Jahren soll ein erster Proof-of-Concept stehen, bei dem Qubits aus verschiedenen Kryostat-Umgebungen miteinander verschränkt werden.

RBC Capital zeigte sich beeindruckt und bekräftigte sein Kursziel von 300 Dollar für die IBM-Aktie. Die Analysten hoben besonders hervor, dass IBM einen "praktischen Ansatz" verfolge, der zwischen realistischen Anwendungen und Hype unterscheide. Tatsächlich könnte ein solches Netzwerk die Rechenleistung exponentiell steigern – theoretisch könnten Berechnungen mit Billionen von Quantengattern möglich werden. Doch die Börse reagierte verhalten: Die IBM-Aktie notiert aktuell bei 288 Dollar und damit noch immer unter ihrem 52-Wochen-Hoch von 324 Dollar. Offenbar brauchen Anleger mehr als visionäre Ankündigungen – sie wollen Beweise.

Renk enttäuscht trotz Verdopplung: Wenn Wachstum nicht schnell genug kommt

Der Kontrast könnte kaum größer sein: Während Nvidia mit seiner Geschwindigkeit beeindruckt, stolpert der deutsche Panzergetriebe-Hersteller Renk über seine Langsamkeit. Auf dem Kapitalmarkttag in Augsburg kündigte CEO Alexander Sagel gestern an, den Umsatz bis 2030 auf bis zu 3,2 Milliarden Euro mehr als zu verdoppeln – ausgehend von erwarteten 1,3 Milliarden in diesem Jahr. Der Anteil des Rüstungsgeschäfts soll dabei auf 90 Prozent steigen. Klingt ambitioniert? Die Börse sah das anders.

Die Aktie stürzte zeitweise um über acht Prozent ab und gehörte damit zu den größten MDAX-Verlierern. Der Grund: Sagel dämpfte die Erwartungen auf schnelle Gewinne. "Vor 2028 wird es keinen deutlichen Einfluss auf den Umsatz geben, einfach wegen der industriellen Logik", erklärte der Manager. Die Auftragsvergabe dauere, und auch die Hersteller von Panzern und Kriegsschiffen müssten ihre Produktion erst hochfahren. Erst 2028 soll der Umsatz die Zwei-Milliarden-Marke überspringen, erst 2030 dann möglicherweise die drei Milliarden.

Auch beim operativen Gewinn enttäuschte Renk: Für 2027 peilt das Unternehmen nun mehr als 300 Millionen Euro an – Analysten hatten aber bereits 365 Millionen auf dem Zettel. Jefferies-Analystin Chloe Lemarie nannte die Umsatzprognose zwar "solide", kritisierte aber die "maue" Gewinnerhöhung. Renk habe die Ziele für 2027 und 2028 nur "hochfrisiert", was Anleger enttäuschen dürfte. Dabei sitzt das Unternehmen auf einem Auftragsbestand von 6,4 Milliarden Euro und kalkuliert bis 2032 mit potenziellen Buchungen von 11,5 Milliarden. Doch in Zeiten, in denen Medienberichte über neue US-Friedenspläne für die Ukraine die Runde machen, wollen Investoren Tempo sehen – nicht Geduld üben.

Interessant: Während Renk unter Druck geriet, erholten sich andere deutsche Rüstungswerte. Rheinmetall legte um 4,5 Prozent zu, Hensoldt um 1,5 Prozent. JPMorgan bezeichnete den Ausverkauf vom Vortag als "massive Überreaktion" und sieht gerade jetzt eine Einstiegschance. Die Argumentation: Selbst wenn die USA einen Friedensplan durchsetzen sollten, käme das einem russischen Sieg gleich – was die europäischen Rüstungsausgaben nur weiter dynamisieren würde.

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Pharma-Hoffnung und Preiskampf: Bayer und Novo Nordisk im Zwiespalt

Während die Tech-Welt auf Nvidia blickt, kämpft die Pharmaindustrie ihre eigenen Schlachten. Bayer erhielt gestern von der FDA die beschleunigte Zulassung für Hyrnuo, ein Lungenkrebsmedikament mit dem Wirkstoff Sevabertinib. Es richtet sich an Patienten mit fortgeschrittenem nicht-kleinzelligem Lungenkrebs, bei denen HER2-Mutationen nachgewiesen wurden – eine Gruppe von schätzungsweise bis zu 84.000 Menschen weltweit pro Jahr. Die Aktie reagierte verhalten und verlor 0,6 Prozent. Offenbar reichen selbst vielversprechende Medikamentenzulassungen nicht mehr aus, um den angeschlagenen Konzern zu stützen.

Novo Nordisk hingegen setzt auf eine andere Strategie: Preissenkungen. Der dänische Pharmariese senkte die Selbstzahler-Preise für seine Abnehmmittel Wegovy und Ozempic in den USA drastisch – von 499 auf 349 Dollar pro Monat. Für die ersten zwei Monate zahlen Neukunden sogar nur 199 Dollar. Das Ziel: Im Konkurrenzkampf mit Eli Lilly Boden gutmachen. Doch die Strategie hat ihren Preis – die Aktie verlor seit Jahresbeginn bereits 50 Prozent an Wert. Anleger fürchten, dass der Preiskampf die Margen auffrisst, während gleichzeitig die Wachstumsprognosen mehrfach nach unten korrigiert wurden.

Was diese Woche noch wichtig wird

Die Nvidia-Zahlen haben die unmittelbare Nervosität an den Märkten gelindert – doch die grundsätzlichen Fragen bleiben. Wie nachhaltig ist das KI-Wachstum wirklich? Können europäische Unternehmen von der Infrastruktur-Welle profitieren? Und wie lange halten Anleger an Titeln fest, die zwar wachsen, aber nicht schnell genug?

Morgen rückt der US-Arbeitsmarktbericht für September in den Fokus – er könnte Hinweise darauf geben, ob die Fed im Dezember erneut die Zinsen senkt. Zudem steht der Kapitalmarkttag von Siemens Energy an, wo das Unternehmen seine erhöhten Ziele für 2028 bestätigen dürfte. Und nicht zuletzt bleibt die Frage, wie sich die Rüstungsbranche entwickelt, sollten sich die Friedensgespräche für die Ukraine tatsächlich konkretisieren.

Eines zeigt sich jedenfalls deutlich: In einer Welt, in der selbst 62 Prozent Wachstum hinterfragt werden und Umsatzverdopplungen als zu langsam gelten, zählt nicht mehr nur der Erfolg – sondern vor allem das Tempo, mit dem er kommt.

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Ihr Andreas Sommer