Der Linzer Spezialstahlproduzent hat schon längst seine Fühler in verschiedenen Regionen der Welt ausgestreckt, unter anderem nach Catersville, Georgia (bei Atlanta) oder nach Corpus Christi, Texas. Doch die Erfüllung des amerikanischen Traums ist für voestalpine zuletzt wieder ein kleines Stückchen in die Ferne gerückt. Am Mittwochabend veröffentlichte man eine Gewinnwarnung, da einerseits Probleme beim überambitionierten Hochfahren der Automobilaktivitäten in Cartersville aufgetreten waren und andererseits neue Rückstellungen für das laufende Verfahren des deutschen Bundeskartellamts gegen Stahlproduzenten wegen des Verdachts kartellrechtswidriger Absprachen im Bereich Grobblech gebildet werden mussten. In Catersville müssen nun Aufträge mit einem Gesamtvolumen von €300 Mio. teilweise intern nach Europa und teilweise extern an Dritte verlagert werden, was naturgemäß zu erheblichen Mehrkosten führt. Außerdem führte der zurzeit überhitzte Arbeitsmarkt in den USA dazu, dass Fachkräfte aus Europa nach Amerika entsandt werden mussten.

Voestalpine wird nicht müde zu betonen, dass es sich beim Unternehmen um keinen gewöhnlichen Stahlproduzenten handelt, sondern um ein Hightech-Unternehmen, das qualitativ höchstwertige Produkt- und Systemlösungen aus Stahl und anderen Metallen anbietet. Doch Stahlproduzent hin oder her, das Geschäftsjahr 2018/19 wird wohl kaum einen prominenten Platz in der Unternehmenshistorie einnehmen, sollte in den verbleibenden Monaten nichts Unerwartetes mehr geschehen. Die Gewinnwarnung am Mittwoch war schon die Zweite im aktuellen Geschäftsjahr. Bereits am 24. Oktober musste man den Ausblick senken, nachdem es im HBI (Hot Briquetted Iron – Eisenschwamm) Werk in Texas (Achtung wieder USA!) aufgrund einer Überflutung und einem Austritt von Gas zu einem längeren Stillstand kam, die ersten Auswirkungen der US-Zölle auf Stahl spürbar wurden, sowie die Abschwächung der Automobilindustrie ihre ersten Opfer forderte. Damals wurde der Ausblick auf den operativen Gewinn von €1,18 Mrd. auf knapp unter €1 Mrd. gesenkt und nun in weiterer Folge auf rund €750 Mio.. Somit wurde die Guidance für das EBIT innerhalb der letzten 3 Monate um ganze €430 Mio. bzw. 36% verringert! Betrachtet man den Zeitraum der letzten 5 Jahre mussten Investoren der voestalpine Aktie eine Performance inklusive Dividenden von -14% hinnehmen. Das KGV 2019e liegt aktuell bei 7,4 und damit unter dem Mittelwert der vergangenen 8 Jahre von 9,2.

Auch wenn man sich bei voestalpine vor dem Terminus „Stahlproduzent“ fürchtet wie der Teufel vor dem Weihwasser, im Grunde handelt es sich nach wie vor um einen Hersteller von Stahlprodukten! Folglich vergleichen wir das Unternehmen auch mit den größten und wichtigsten Stahlproduzenten Europas. Zu den größten Konkurrenten zählen ArcelorMittal (Luxemburg), ThyssenKrupp (Deutschland), Salzgitter (Deutschland), SSAB (Schweden), sowie Acerinox (Spanien). Wenn man die letzten 5 Jahre betrachtet kann man diesen Zeitraum für alle soeben genannten Unternehmen als durchaus schwierig bezeichnen. Der Luxemburger Stahlgigant ArcelorMittal (Platz 152 der Fortune 500) wies hierbei mit -34% eine besonders schwache Performance auf. Bester Performer in den letzten Jahren war Acerninox, das mit einem Gesamtertrag von 14% als einziges Unternehmen positive Erträge für seine Investoren generieren konnte. Die weiteren Performancezahlen: ThyssenKrupp (-16%), Salzgitter (-12%), SSAB (-9%). Beim KGV 2019e weist Arcelor Mittal mit 5,0 den niedrigsten Wert auf, gefolgt von Salzgitter (7,4), SSAB (8,6), ThyssenKrupp (9,4) und Acerniox (11,0).

Wie man bereits an den Einzelunternehmen deutlich erkennen konnte, hatte die Stahlindustrie in den letzten Jahren keine leichte Zeit. Als eindeutig zyklischer Sektor verlor die Stahlindustrie insbesondere im schwachen Q4/2018 einiges an Boden. Der Stahlpreis hat vor allem in der zweiten Jahreshälfte 2018 einen deutlichen Verfall erlebt und sank von über $900/t auf derzeit $718/t. Ein Zurückgehen der Nachfrage aufgrund eines nachlassenden Wirtschaftswachstums und niedrigere Stahlpreise im Zuge niedrigerer Inputkosten sowie eines erhöhten Angebots aufgrund des Abbaus von Reserven könnte 2019 weiter Druck auf die Stahlindustrie ausüben. Der Stoxx Europe 600 Basic Resources setzt sich aus den 19 größten Unternehmen im Bereich grundlegende Ressourcen zusammen (inkl. Voestalpine, ArcelorMittal) mit einer gesamten Marktkapitalisierung (Streubesitz) von rund €306 Mrd., mit einer überaus starken Gewichtung von britischen Einzeltitel (rund 70% der Marktkapitalisierung).Der gesamte Sektor konnte innerhalb der vergangenen 5 Jahre einen Gesamtertrag von rund 22% erwirtschaften, was den Schluss zulässt, dass der Stahlbereich einer der am schwächsten innerhalb der grundlegenden Ressourcen war. Damit sich nun doch noch der große amerikanische Traum von voestalpine erfüllt, müssen sie sich an ein Dogma unserer Freunde über dem Großen Teich halten: „Never give up!“