Housing First: Österreich halbiert die Obdachlosigkeit

Das revolutionäre Wohnprogramm zeigt erste Erfolge. Nach nur einem Jahr bundesweiter Umsetzung wurden bereits 1.800 wohnungslose Menschen in eigene Wohnungen vermittelt - ein Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik.
Statt Menschen monatelang in Notquartieren unterzubringen, bekommen sie sofort einen eigenen Mietvertrag. Das Prinzip ist einfach: Zuerst die Wohnung, dann die Betreuung. Der Ansatz funktioniert - und könnte Österreichs Weg zur obdachlosigkeitsfreien Gesellschaft bis 2030 ebnen.
20 Millionen Euro für 2.500 Wohnungen
Das Sozialministerium investiert bis Ende 2026 insgesamt 20 Millionen Euro in das Programm. 1.200 leistbare Wohnungen sollen bereitgestellt werden, um 2.500 Menschen von der Straße zu holen.
Die Housing First Österreich, ein Zweigverein der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, koordiniert die Vermittlung. Das Programm übernimmt anfallende Kosten wie Kautionen oder Finanzierungsbeiträge - oft unüberwindbare Hürden für Betroffene.
Die Zahlen sprechen für sich:
* Vorgängerprojekt (2021-2024): 1.800 Menschen in knapp 950 Wohnungen
* Aktuelles Programm: Verdoppeltes Budget, gesetzliche Verankerung
* Zielgruppe: Rund 20.000 von Obdachlosigkeit betroffene Menschen in Österreich
Gemeinnützige Bauvereinigungen als Schlüssel
Der Erfolg hängt maßgeblich von den gemeinnützigen Bauvereinigungen (GBV) ab. Ihr gesetzlicher Auftrag - breite Bevölkerungsschichten mit preiswertem Wohnraum zu versorgen - macht sie zu natürlichen Partnern.
"Menschen und leistbaren Wohnraum zusammenzubringen ist die Grundidee des gemeinnützigen Wohnbaus", betonte ein GBV-Sprecher. Die Bauvereinigungen bringen jahrzehntelange Erfahrung in der Kooperation mit sozialen Trägern mit.
Diese Synergie ermöglicht schnelle, bedarfsgerechte Vermittlung dort, wo Wohnungen am dringendsten gebraucht werden.
Wien geht eigene Wege
Die Hauptstadt ergänzt das Bundesprogramm mit lokalen Initiativen. Die Wiener Grünen präsentierten einen Sechs-Punkte-Plan mit ambitionierten Zielen:
- 2.500 neue Gemeindewohnungen pro Jahr
- Wirksame Leerstandsabgabe zur Mobilisierung brachliegender Wohnungen
- Verstärkte Kooperation mit sozialen Trägern
Solche städtischen Maßnahmen sind essentiell, um den Pool verfügbarer Wohnungen zu vergrößern und den angespannten Wohnungsmarkt zu entlasten.
Paradigmenwechsel mit internationaler Ausstrahlung
Housing First gilt weltweit als wirksamste Strategie gegen Obdachlosigkeit. Österreich geht dabei einen besonderen Weg: Die enge Einbindung des gemeinnützigen Wohnbausektors unterscheidet das Land von anderen Modellen.
Was macht den Unterschied?
* Direkte Ursachenbekämpfung statt Symptomverwaltung
* Langfristige Finanzierungszusage schafft Planungssicherheit
* Bewährte Strukturen werden genutzt und ausgebaut
Die langfristige Finanzierung gibt Sozialorganisationen die nötige Sicherheit, ihr Beratungsnetz zu verdichten. Für den Immobilienmarkt bedeutet dies eine klare politische Botschaft: Leistbares Wohnen ist Grundrecht.
Nächste Herausforderungen
In den kommenden zwölf Monaten müssen noch 1.300 Menschen in Wohnungen vermittelt werden. Die größte Hürde bleibt die Beschaffung ausreichend leistbarer Wohnungen - besonders in Ballungszentren.
Ende 2026 wird das Sozialministerium eine umfassende Evaluierung vorlegen. Die Ergebnisse entscheiden über Fortführung und mögliche Ausweitung nach 2026.
Sollten die Erfolge anhalten, könnte das österreichische Modell andere europäische Länder inspirieren. Sozialminister Johannes Rauch betont die Notwendigkeit einer "breiten Allianz zwischen Politik, Sozialorganisationen und Wohnwirtschaft" für das gemeinsame Ziel: eine obdachlosigkeitsfreie Gesellschaft bis 2030.