Das Institut Atkin & Messy hat 2012 auf Wunsch der OECD eine internationale Definition für „Finanzbildung“ erarbeitet: „Finanzbildung ist eine Kombination aus finanziellem Wissen, Bewusstsein, Fähigkeiten, Einstellungen und Verhaltensweisen, die nötig sind, um solide finanzielle Entscheidungen zu treffen und damit finanzielles Wohlergehen zu erreichen.“

In Österreich gibt es seit Ende September 2021 eine konzertierte Aktion zur Optimierung der Finanzbildung: Die Oesterreichische Nationalbank hat eine „nationale Finanzbildungsstrategie“ mit Zeithorizont 2026 gestartet. Das Finanzministerium unterstützt diese und gibt ihr politischen Drive. Auch in der österreichischen Wirtschaft gibt es zwei einschlägige Initiativen: Die Wiener Börse als Vertreterin der österreichischen Industrie ortet zunehmendes Interesse der Österreicher an Aktien und will mit Finanzbildungsaktionen die gesamte österreichische Bevölkerung erreichen. Parallel dazu intensiviert die Fachgruppe der Finanzdienstleister der steirischen Wirtschaftskammer ihre Finanzbildungsaktion, die sie seit sechs Jahren besonders für Schüler, Lehrlinge und Jugendvereine kostenlos durchführt. Organisation und den Lehrstoff besorgen die Ausschussmitglieder der Fachgruppe.

„Es gibt keine starren Frontalvorträge sondern flexible Workshops, die auf verschiedene Altersstrukturen, Vorbildungsniveaus und aktuelle Anlässe eingehen“, sagt Markus Kohlmeier, Fachgruppenobmann der steirischen Finanzdienstleister. Wieso ist nur seine Landesgruppe in der Kammerorganisation in Sachen Finanzwissen aktiv? „Das Thema ist bundesweit in den Fachorganisationen aufgeschlagen und wird mit unterschiedlicher Intensität betrieben. Wir in der Steiermark waren sicher Vorreiter in diesem Bereich.“

Ziele von Finanzbildung.

„Egal ob beim Girokonto, bei Wertpapieren oder bei Krediten: Nur wer die Grundzüge des Finanzwesens versteht, kann fundierte Finanz-Entscheidungen treffen und das Abrutschen in die Schuldenfalle verhindern“. Das erklärt die Homepage der rund 800 steirischen Finanzdienstleister (https://www.finanzbildung-stmk.at). Sie beschreibt eine Aktion, die selbständige Finanzdienstleister mit Fachleuten aus verwandten Bereichen wie Finanzämtern oder dem Alpenländischem Kreditorenverband vorantreiben. Letzterer ist ein staatlich bevorrechteter Gläubigerschutzverband, der Unternehmer und Private bei Forderungsverlusten oder faulen Krediten berät und unterstützt.

Der Schwerpunkt der „Finanzbildung Steiermark“ liegt vor allem darin, jungen Menschen gute Ratschläge zu ihrer finanziellen Lebensführung, zum überlegten Umgang mit eigenem und fremdem Geld zu geben und dieses Know How auf ihrem weiteren Lebensweg beizubehalten und praktisch anzuwenden. Bei vielen jungen Menschen gilt gemeinhin, dass alles, was mit Geld zu tun hat, uncool und langweilig ist. Eigentliche Ziel von Finanzbildung ist jedoch urcool: eigenes Geld ehrlich zu erwerben und mit Bedacht zu verwenden, so dass man es lange Weile im eigenen Geldbörsel oder auf dem eigenen Konto hat.

Integration in den Schulunterricht.

Weiteres Ziel der aktuellen Finanzbildungs-Kampagnen ist, den allgemeinen Schulunterricht besser als bisher einzubinden; nicht nur in hochgestochenen universitären finanzökonomischen Vorlesungen, sondern von den ersten Volksschulklassen an bis zum Schulabschluss. Die Wiener Börse hat unter „Börse4me“ die Zahl der von ihr zur Verfügung gestellten Schulpakete 2021 verdoppelt. „Die sechs Module richten sich an die Schultypen AHS und BMHS und können nach Bedarf im Unterricht zielgerecht eingesetzt werden; im Herbst 2021 ist ein neues Modul mit ESG-Fokus hinzugekommen. Der Ausbau der Module mit Ergänzungen z.B. für die Sekundarstufe I ist für 2022 geplant und soll zeitlich an die aktuelle Lehrplanreform anschließen“, berichtet die Wiener Börse.

Im Rahmen der Wiener Börse Akademie können Privatanleger unter 30 unterschiedlichen Seminarthemen wählen; die Webinarreihe „Börse4you“ steht kostenlos zur Verfügung. Um ihr eigenes Produkt ins rechte Licht zu rücken, bewirbt die Wiener Börse besonders das Anlageprodukt Aktie unter folgender Devise: „In dieser Nullzinsphase die langfristigen Renditen auf dem Aktienmarkt zwischen 7 bis 9 Prozent zu übersehen führt nicht nur zu Vermögensverlusten!“ Was die Wiener Börse nicht weiß, ist der aktuelle Stand von Financial Literacy in Österreich; das aber würde den hohen Nachholbedarf aufzeigen.

Die Kardinalziele der Wiener Börse mit ihrer Finanzbildungsaktion sind:

• frühzeitig Grundlagen zu entwickeln, um solide finanzielle Entscheidungen treffen zu können und eine Überschuldung zu vermeiden;

• eine verantwortungsvollen Finanzplanung für langfristiges finanzielles Wohlergehen zu fördern;

• Sensibilisierung für die Bedeutung von Finanzbildung herbeizuführen und den Zugang zu qualitativ hochwertiger Finanzbildung für alle zu schaffen und

• die Effektivität von Finanzbildungsaktionen durch Dialoge, Koordinierung und Evaluierung zu steigern.

Gretchenfrage: Wenn aktuelle Daten über die Finanzbildung in Österreich sowie Vergleiche zum Ausland fehlen, wie will man den Erfolg der einschlägigen Maßnahmen messen? Die Wiener Börse möchte sich dafür einsetzen, dass Österreich im Rahmen der internationalen PISA-Tests neben Lesen, Mathematik und Naturwissenschaft ein neues Finanzmodul in Anspruch nimmt. „Die einschlägigen Resultate werden dann für die Evaluierung unserer Strategien herangezogen werden, kündigt die Wiener Börse an. Die Oesterreichische Nationalbank schließt hier an: „Wir sehen eine bessere Ausbildung angehender Lehrkräfte in Financial Literacy als entscheidenden Faktor für eine besserte Finanzbildung in Österreich!“

Wer belehrt die Lehrer?

Tatsache ist, dass neben den angehenden auch die etablierte Lehrkräfte an die heute unentbehrliche Aufgabe der Finanzbildung ihrer Schüler heranzuführen sind, damit auch der jetzige Nachwuchs die Anforderungen der modernen Finanzwirtschaft erkennt und praktisch umsetzen kann. Viele Eltern berichten nämlich, dass die Lehrer ihrer Kinder oft selbst Laien in Gelddingen und daher kaum in der Lage seien, aktuelles Finanzwissen an ihre Schüler weiterzugeben. In der Oesterreichischen Nationalbank gibt es eine Abteilung „Finanzbildung und Informationsarbeit“. Maximilian Estl sagt: „Seit 2018 engagieren wir uns sehr in der Lehrerausbildung und kooperieren mit den größten Universitäten im Lande. Ich leite selbst Seminare unter dem Titel Finanzbildung unter didaktischem Aspekt an der Wirtschaftsuniversität Wien, Salzburg und Innsbruck. Dort werden angehende Lehrkräfte für Geographie und Wirtschaftskunde im Bereich Finanzbildung verstärkt von uns ausgebildet.“

Motive für Finanzbildung.

Eine Kapazität zum Finanzwissen ist die Leiterin des Instituts für Wirtschaftspädagogik an der WU Wien, Univ.-Prof. Bettina Fuhrmann. In der „Pädagogische Rundschau“ 1/2021 hat sie eine Grundbetrachtung zum Thema „Finanzbildung – ‘Life Skill’ zur Erschließung der Welt?“ veröffentlicht. Sie wird demnächst aus eigenen Untersuchungen aktuelle Daten zum Wirtschaftswissen einschließlich Finanzwissen von Maturanten beisteuern.

Die Motive für gute Finanzbildung sind nicht neu: Die Wiener Börse spricht von 282 Milliarden Euro, die fast unverzinst auf Sparbüchern oder gar zinslos unter österreichischen Polstern schlummern. Die steirischen Finanzdienstleister beziffern das „arbeitslose“ Geld, das die Österreicher gegenwärtig horten, mit 315 Milliarden Euro. Die Hüterin unseres Geldes, die Oesterreichische Nationalbank, beziffert das gesamte private Vermögen der Österreicher mit 782 Milliarden Euro. Ein Gutteil dieser enormen Summe ist aus Angst vor Verlust nicht ertragreich veranlagt, trägt also nicht dazu bei, neue Arbeitsplätze zu schaffen, die heimische Forschung und Entwicklung anzukurbeln oder die Klimawende durchzusetzen. Das überlassen ängstliche Österreicher anderen, die mit besserer Finanzbildung und zum eigenen Nutzen ertragreichere Geschäfte machen als sie.

Das neue Jahr wird nach Ansicht international tätiger Finanzfachleute besondere Motive für eine gediegene Finanzbildung bringen. Der in den USA beheimatete Asset Manager J.P. Morgan nennt drei große Themen, die das neue Jahr dominieren werden; deren intimes Zusammenspiel wird das globale Schicksal von Geld und Wirtschaftsdynamik prägen:

1. die Höhe der Inflation (Preissteigerung), die durch Angebot und Nachfrage die Kaufkraft aller Menschen der Erde beeinflusst;

2. die Geld- und Fiskalpolitik der großen Zentralbanken (FED, EZB), die durch Ausweitung oder Zurückhaltung bei ihren Anleihenkäufen jene Geldmenge bestimmt, die der weltweiten Wirtschaft zur Verfügung steht und die die Zinsen hebt oder senkt;

3. die Entwicklung der Konsumnachfrage, die sowohl vom Spar- und Ausgabeverhalten der Menschen als auch von der ausreichenden Verfügbarkeit von Rohstoffen, Waren und Energie (Erhaltung erprobter Lieferketten) sowie Verfügbarkeit von Arbeitskräften (Knappheit bei Facharbeitern) abhängt; im hochindustrialisierten Westen der Erde gehen der Wirtschaft allmählich die Arbeitskräfte aus.

Wer über eigenes oder fremdes Geld und dessen Schicksal entscheidet, sollte die obigen Themen tagtäglich eingehend beobachten, ihre Effekte in Hinblick auf die launische Covid-Pandemie analysieren und zudem bereit sein, rasche Entscheidungen auch abseits lang eingefahrener Gewohnheiten zu treffen. Das überfordert selbst eingefleischte Finanzgenies, um so mehr private finanzielle Einzelkämpfer mit geringerer Expertise. Es ist daher dringend nötig, sowohl das eigene Finanzwissen auf aktuellen Stand zu bringen, als sich zudem von erfahrenen Expertenteams beraten zu lassen, die das weltweite Zusammenspiel der drei Kardinalthemen ständig beobachten und deren Folgewirkungen abschätzen.

Finanzielle Prioritäten der Österreicher.

Es fällt auf, dass viele Menschen nach wie vor Probleme haben, bei professionellen Finanzberatern Rat und Hilfe zu suchen. Eine Umfrage Ende 2021 ergab, dass 57 Prozent der Österreicher fachliche Finanzberatung ablehnen; nur 10 Prozent wollen heuer den Rat von Finanzberatern nutzen, ein Drittel steht Finanzberatern unentschlossen gegenüber.

Dementsprechend sind die finanziellen Prioritäten der Österreicher auch für 2022 wenig professionell. Zwar wollen mehr als ein Drittel ihre Ausgaben senken und ihren Konsum einschränken, doch das ersparte Geld weitestgehend auf Sparkonten legen, die kaum bis gar keinen Ertrag bringen.

Immerhin möchten 27 Prozent der Österreicher ihre Schulden forciert abbezahlen und 20 Prozent wollen ein Haushaltsbuch anlegen, um Durchblick bei ihren Finanzen zu erhalten. Lediglich 15 von 100 Österreichern wollen ihr Geld in ertragreichere Wertpapiere investieren. Insgesamt betrachtet ist das österreichische Interesse an echter Werterhaltung des Vermögens noch stark ausbaufähig.

Das ist um so wichtiger, als sich der Rahmen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftspolitik seit 2020 grundlegend geändert hat. Laut dem Investmentspezialisten Jakob Tanzmeister hat die andauernde Corona-Epidemie, so bedenklich ihre weltweiten gesundheitlichen Folgewirkungen bisher auch gewesen sind, drei neue Erkenntnisse gebracht, die bisher weitgehend unerkannt sind und die einige alte Thesen der Weltwirtschaftslehre in ein völlig neues Licht rücken, das sogar Zuversicht ausstrahlt:

1. Die Volkswirtschaften der Erde sind dank Pandemie viel anpassungsfähiger als früher geworden; sie haben gelernt, auf plötzlich auftretende Phänomene rasch und erfolgreich zu reagieren. Tanzmeister: „Viele Unternehmen mussten neue Wege finden, trotz Kontakt- und Reisebeschränkungen, trotz einander kurzzeitig folgender Lockdowns, um eine Vielzahl ihrer Produkte rechtzeitig bis zu den Konsumenten zu bringen und damit gutes Geld zu verdienen. Ein Beispiel ist die Autoindustrie.

2. Selbst bei kompletten Lockdowns ist die Konsumnachfrage nirgends völlig weggebrochen. Manche Konsumbedürfnisse wurden zwar aufgeschoben, aber bald durch zeitversetzte dynamischere wirtschaftliche Aktivität nachgeholt. Unter der Annahme, dass die geld- und fiskalpolitischen Lockerungen zur Überwindung der Krise weiter aufrecht bleiben, könnte das die globale Wirtschaft zusätzlich beleben.

3. Das bisher geglückte Experiment der großen Zentralbanken, durch milliardenschwere Aufkäufe von Staatspapieren eine weltweite Geldschwemme auszulösen – damit allerdings auch die Inflation zu beschleunigen –, könnte sich gegen alle Zweifel als probate Gegenstrategie zur Bewältigung künftiger Finanzkrisen erweisen.

Die Schlussfolgerung für Anleger daraus wäre ähnlich dem, was die Wiener Börse für heuer erwartet: Durch eine Geldanlage in Dividendenaktien können in den nächsten fünf bis sechs Jahren durchschnittlich 8 Prozent jährlich brutto verdient werden; das wären bei einer durchschnittlichen Geldentwertung von 3 Prozent im Jahr immer noch netto rund 5 Prozent.

 

Eine Untersuchung der Versicherung Allianz SE über das Finanzwissen in Österreich, Deutschland, der Schweiz, Frankreich, Italien, Spanien und den USA hat Ende 2020 ein unbefriedigendes Ergebnis gebracht: Die Antworten auf Fragen nach den Kenntnissen beim Rechnen, über Zinsen, Buchhaltung und Inflation waren nur bei 28,5% der Befragten vollkommen richtig. Die Finanzkompetenz bei Männern lag mit 36,4% weit höher als jene bei Frauen, die es nur auf 20,7% brachten. Abgesehen vom erstaunlich schlechten Gesamtergebnis war das geschlechtsspezifische Gefälle besorgniserregend.

 

 

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