Handelskrieg 2.0: Wenn Supermächte mit Seltenen Erden pokern

Handelskrieg 2.0: Wenn Supermächte mit Seltenen Erden pokern
Liebe Leserinnen und Leser,
stellen Sie sich vor, Sie sitzen am Pokertisch und Ihr Gegenüber droht plötzlich, alle Chips vom Tisch zu fegen – genau das erleben wir gerade zwischen Washington und Peking. Was als kontrollierte Eskalation nach dem APEC-Gipfel gedacht war, entwickelt sich zum gefährlichsten Wirtschaftskonflikt seit Jahren. Donald Trump kündigt 100-Prozent-Strafzölle an, China kontert mit Exportkontrollen für Seltene Erden. Und mittendrin? Europa, das verzweifelt versucht, seine Lieferketten zu retten.
Doch während die Supermächte ihre Muskeln spielen lassen, bahnt sich in Gaza ein historischer Moment an: Nach zwei Jahren Krieg könnten morgen die letzten Geiseln freikommen. Und in Washington? Da streicht die Regierung mitten im Shutdown erst Hunderte CDC-Stellen – nur um Stunden später einen peinlichen Rückzieher zu machen.
Der neue Kalte Krieg der Rohstoffe
"Die neue Eskalation ist möglicherweise Ausdruck von Fehleinschätzungen beider Seiten", analysiert Gabriel Wildau von der Beratungsfirma Teneo trocken. Was für eine Untertreibung! Tatsächlich erleben wir gerade, wie zwei Wirtschaftsgiganten in eine Spirale stolpern, aus der beide nur als Verlierer hervorgehen können.
Der Auslöser? Pekings Ankündigung vom 9. Oktober, Exportgenehmigungen für zwölf Seltene Erden zu verlangen – darunter Holmium, Erbium und Ytterbium. Klingt nach Periodensystem-Lyrik, ist aber knallharte Machtpolitik. Diese Elemente stecken in allem, was unsere moderne Welt antreibt: Smartphones, Elektroautos, Windräder, Kampfjets. Und China kontrolliert über 90 Prozent der globalen Verarbeitung.
Trump reagierte am Freitag mit der Brechstange: 100 Prozent Zusatzzölle ab 1. November, dazu Exportkontrollen für "jegliche wichtige Software". Im Oval Office ruderte er Stunden später halbherzig zurück – das Treffen mit Xi Jinping beim APEC-Gipfel Ende Oktober sei vielleicht doch nicht abgesagt. Man müsse "abwarten, was passiert".
Was für deutsche und europäische Unternehmen besonders bitter ist: Sie sitzen zwischen den Fronten. Die EU-Handelskammer in China berichtet bereits von Produktionsstopps wegen verzögerter Genehmigungen. Bei Zöllen von effektiv 130 Prozent (die bestehenden plus Trumps neue) würde der transatlantische Handel praktisch zum Erliegen kommen. Gleichzeitig würden Exportkontrollen für Software europäische Tech-Unternehmen von wichtigen Zulieferern abschneiden.
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Während Seltene Erden die strategische Rohstoffbasis der Weltwirtschaft darstellen, spielt sich an anderer Stelle ein ähnlicher Wettlauf um technologische Souveränität ab: im Halbleitersektor. Wer verstehen möchte, wie die Chip-Industrie zum neuen Schauplatz geopolitischer Machtspiele wird – und welche europäischen Unternehmen als heimliche Profiteure gelten –, findet in der aktuellen Analyse zur „neuen Nvidia“ spannende Einblicke. Sie zeigt, wie sich aus dem Chip-Krieg zwischen den USA und China neue Marktchancen für Investoren ergeben könnten.
Gaza: Das Ende eines Albtraums?
Zur gleichen Zeit in Tel Aviv: 400.000 Menschen auf den Straßen, "Danke Trump"-Rufe, aber auch ohrenbetäubende Pfiffe, als Israels Premier Netanjahu erwähnt wird. Steve Witkoff, Trumps Sondergesandter, musste seine Rede unterbrechen: "Leute, lasst mich meine Gedanken zu Ende bringen!"
Ab morgen Mittag sollen alle 47 verbliebenen Geiseln freikommen – 20 Lebende, 27 Tote. Im Gegenzug lässt Israel knapp 2.000 palästinensische Häftlinge frei, darunter 250 wegen Terroranschlägen zu lebenslangen Strafen Verurteilte. Trump plant bereits seine Siegesparade: Erst eine Rede vor der Knesset, dann ein Gipfel im ägyptischen Scharm el-Scheich. Sogar Kanzler Friedrich Merz könnte kommen.
Doch was die Kameras nicht zeigen: Über 200.000 Palästinenser kehren in eine Trümmerwüste zurück. Der Arzt Essideen Schebab schreibt auf X von seinem "psychischen Zusammenbruch": Seine gesamte Nachbarschaft – plattgewalzt, nur gelber Staub. Und er wirft der Hamas vor, sich in Tunnel verkrochen zu haben, während Zivilisten der "vollen Grausamkeit" ausgeliefert waren.
Die wirklich schwierigen Fragen beginnen erst: Wer verwaltet Gaza? Akzeptiert die Hamas ihre Entwaffnung? Bleibt Israels Armee im Küstenstreifen? Von Trumps "ewigem Frieden" sind wir noch Lichtjahre entfernt.
Amerikas Regierungschaos: Erst feuern, dann zurückrudern
Tag elf des US-Regierungsstillstands, und es wird immer absurder. CDC-Chef Russell Vought verkündet stolz auf X: "Der Personalabbau hat begonnen!" 1.300 Mitarbeiter bekommen ihre Kündigung – darunter das Team, das den wichtigsten Gesundheitsbericht der USA herausgibt.
Dann das Chaos: Binnen Stunden werden Hunderte Kündigungen zurückgenommen. 90 Abteilungen mit 700 Mitarbeitern dürfen bleiben. Die Begründung? Schweigen. Die Gewerkschaft AFGE klagt bereits.
Unterdessen verspricht Trump, seine Soldaten trotz Shutdown zu bezahlen – durch "Umschichtungen". Woher das Geld kommt? Unklar. Hauptsache, die Truppe murrt nicht, während Bundesbehörden auf Sparflamme laufen und viele Angestellte ohne Gehalt dastehen.
Das ist kein normaler Haushaltsstreit mehr. Es ist ein Machtkampf, bei dem Trump zeigt, was er von Gewaltenteilung hält: wenig. Sein Budget-Chef Vought, Mitautor des radikalen "Project 2025", nutzt die Krise für dauerhafte Stellenstreichungen – eigentlich Sache des Kongresses.
Was die Woche bringt
Der November beginnt mit einem Knall: Trumps Zoll-Deadline läuft ab, die Gaza-Geiseln sollen freikommen, und Frankreichs neuer Premier Lecornu muss bis morgen ein Budget vorlegen – mit einer Regierung, die er noch gar nicht hat. Die konservativen Republikaner wollen Macrons Rentenreform behalten, die Sozialisten drohen mit Misstrauensvotum, wenn sie nicht ausgesetzt wird.
Auch an den Märkten dürfte es turbulent werden. Die Wall Street hat am Freitag bereits nervös auf Trumps Zolldrohungen reagiert, Tech-Aktien unter Druck. Sollte China tatsächlich die Seltene-Erden-Exporte drosseln, dürften Automobil- und Elektronikwerte weltweit leiden.
Für deutsche Anleger besonders relevant: Die Bundesnetzagentur meldet Rekordimporte bei LNG. Im dritten Quartal kamen 35 Terawattstunden über unsere Terminals – so viel wie noch nie. Der Anteil am Gesamtgasimport stieg auf über 13 Prozent. Ein Zeichen, dass die Abkopplung von Russland funktioniert. Aber zu welchem Preis? Wir zahlen Weltmarktpreise und konkurrieren mit Asien um jeden Tanker.
In Wochen wie diesen zeigt sich: Die Weltwirtschaft ist ein fragiles Gebilde aus gegenseitigen Abhängigkeiten. Ein Tweet aus Washington kann Lieferketten sprengen, eine Exportkontrolle aus Peking ganze Industrien lahmlegen. Und während die Großen pokern, suchen die Kleinen nach Deckung.
Was mich optimistisch stimmt: Die schnelle Kehrtwende bei den CDC-Entlassungen zeigt, dass selbst in Trumps Amerika noch Korrektive funktionieren. Und dass in Gaza nach zwei Jahren die Waffen schweigen könnten, beweist: Selbst die härtesten Konflikte sind nicht unlösbar. Man muss nur wollen. Und manchmal braucht es einen Dealmaker, der beide Seiten unter Druck setzt.
Kommen Sie gut durch diese wilde Zeit – und vergessen Sie nicht: Nach jedem Handelskrieg folgte bisher immer ein neuer Aufschwung. Die Frage ist nur, wer dann noch am Tisch sitzt.
Herzlich,
Eduard Altmann
P.S.: Falls Sie sich fragen, warum ich nichts über das neue "Kinderdepot" von finanzen.net geschrieben habe – manchmal ist Schweigen auch eine Empfehlung. 10 Euro Staatsbonus hin oder her, die wahre Rendite liegt woanders. Aber das ist eine Geschichte für nächste Woche.