Europameisterin Victoria Hudson blickt mit gemischten Gefühlen auf die neue Gentest-Pflicht für Leichtathletinnen. Die österreichische Speerwerferin musste wie alle Kolleginnen ihren biologischen Geschlechtsnachweis per SRY-Gentest erbringen, um bei der WM in Tokio antreten zu dürfen. Doch hinter der technischen Routine verbirgt sich ein tiefgreifender ethischer Konflikt.

"Ich muss meine DNA teilen mit keine Ahnung wem"

Für Hudson war der Ablauf selbst simpel: "Einfach nur ein Flascherl Blut abgenommen bekommen und das war es eigentlich." Doch die 25-Jährige zeigt sich nachdenklich: "Wenn man näher drüber nachdenkt, ist es schon ein Eingriff. Ich muss dann meine DNA teilen mit keine Ahnung wem."

Die Vertrauensfrage beschäftigt die Athletin sichtlich. Zwar betont sie ihr Vertrauen in das Labor, aber die Vorstellung, dass ihre genetischen Daten herumgeschickt werden, bleibt unangenehm. "Ich weiß nicht, wie viele Menschen da dieses Dokument sehen. Man muss einfach vertrauen."

Österreichs Sonderlösung als Vorbild

Während international viele Verbände mit der Umsetzung kämpften, fand Österreich eine elegante Lösung. Leistungssport Austria nutzte die bestehende Partnerschaft mit Permedio, einem Spezialisten für Genetik und Epigenetik. Das Ergebnis: eine "rasche und unkomplizierte Lösung", die sogar World Athletics neugierig machte.

ÖLV-Sportdirektorin Beate Taylor bestätigt: "Sogar World Athletics wollte von uns wissen, wie es uns gelungen ist, die Atteste so schnell bereitzustellen." Für Hudson brachte die bekannte Kooperation immerhin ein Stück Beruhigung in das sensible Verfahren.

Der Preis der Chancengleichheit

Doch lohnt sich der Aufwand überhaupt? Hudson bleibt skeptisch: "Man macht solche Maßnahmen für so eine geringe Anzahl an Sportlerinnen." Bei den Speerwerferinnen sieht sie keine Grenzfälle, räumt aber ein: "Wenn da jetzt einer dabei ist, dann erwischt man halt den einen."

Die Maßnahme des Weltverbands kommt nicht aus dem Nichts. Bereits bisher waren Transgenderfrauen ausgeschlossen, wenn sie die männliche Pubertät durchlaufen hatten. Die umstrittene Testosteron-Regelung – von der zweifachen Olympiasiegerin Caster Semenya abgelehnt – wurde als nicht streng genug eingestuft.

Die tägliche Preisgabe der Privatsphäre

Eigentlich sollte Hudson sich auf ihre WM-Vorbereitung konzentrieren. Stattdessen beschäftigen sie administrative Pflichten und intime Kontrollen. "Ich muss vor einer Frau, die mir auf meine Vagina schaut, in einen Becher pinkeln, seit Jahren."

Das Anti-Doping Administration & Management System (ADAMS) sorgte bereits für schlaflose Nächte. Ein "Missed Test" in der Saisonpause verfolgte die Athletin bis in ihre Träume: "Ich bin aufgewacht, weil ich geglaubt habe, dass da gerade jemand geläutet hat."

Hudson fasst zusammen: "Es sind schon Sachen, mit denen man halt irgendwie klarkommen muss. Es kann belastend sein, aber gehört halt leider dazu." Eine schonungslose Offenbarung über den Preis, den Spitzensportlerinnen heute zahlen müssen.