Die "Fledermaus" am Theater an der Wien schockt das Publikum. Regisseur Stefan Herheim verwandelte die Operette zum 200. Strauss-Geburtstag in ein düsteres Drama über Nazi-Terror und Monarchie-Untergang. Die Premiere am Samstag sorgte für frenetischen Applaus und lautstarke Buhrufe.

Statt der berühmten Ouvertüre eröffneten Beethovens "Fidelio"-Klänge den Abend. Das Publikum fand sich in einer Gefängniszelle wieder - ein radikaler Bruch mit der gewohnten Champagner-Atmosphäre.

Nazis statt Champagner-Laune

Herheim verlegte den ersten Akt ins Jahr 1938. Die jüdische Familie Eisenstein wird von Nazi-Schergen verfolgt - ein schockierender Kontrast zur üblichen Operetten-Heiterkeit. Kaiser Franz Joseph trat anstelle des komischen Gefängniswärters Frosch auf und beklagte den Untergang der Monarchie.

Die Inszenierung durchzog ein musikalisches Zitatspiel von Verdi bis Puccini. Sogar Melodien aus dem Musical "Elisabeth" fanden ihren Weg in die Aufführung. Für manche wurde der Abend zum anspruchsvollen Opern-Quiz, andere verließen ratlos das Theater.

Musikalische Glanzleistung rettet nicht alles

Die Wiener Symphoniker unter Petr Popelka spielten präzise und mitreißend. Der Arnold Schoenberg Chor überzeugte mit hoher Präzision. Hulkar Sabirova als Rosalinde und Alina Wunderlin als Adele glänzten mit prächtigen Koloraturen, Thomas Blondelle gab einen darstellerisch starken Gabriel von Eisenstein.

Doch die exzellenten musikalischen Leistungen konnten die tiefen Gräben nicht überbrücken, die Herheims Konzept aufriss. Was bezweckte der Regisseur? Eine Auseinandersetzung mit Karl Kraus' "Versuchsstation für Weltuntergang" oder eine Hommage an Stefan Zweigs "Welt von gestern"?

Kulturpolitisches Statement im Jubiläumsjahr

Die Kontroverse zeigt das Spannungsfeld des Strauss-Jubiläumsjahrs 2025. Während Wien seinen "Walzerkönig" als globale Ikone feiert, nutzen Kulturschaffende die Gelegenheit zur kritischen Hinterfragung.

Herheims "Fledermaus" wurde zur kulturpolitischen Aussage über den Umgang mit nationalem Erbe. Die Premiere stellt die unbequeme Frage: Wie feiert man, ohne die dunkleren Kapitel der Geschichte zu vergessen?

Regietheater-Debatte erreicht Höhepunkt

Die radikale Dekonstruktion der "Königin aller Operetten" gilt als bewusste Provokation. Traditionalisten fordern originalgetreue Wiedergaben, progressive Regisseure wie Herheim wollen die Stücke für heutige Zuschauer relevant machen.

Die kommenden Premieren des Festjahres werden nun an diesem Maßstab gemessen. Wählen sie den sicheren Weg der Tradition oder wagen sie sich ebenfalls auf riskantes Terrain? Die kontroverse Inszenierung bleibt in den kommenden Wochen im Spielplan - die Debatte hat gerade erst begonnen.