EZB hält Kurs, Fed bremst – und der Dollar triumphiert

Guten Tag aus Frankfurt,

während sich gestern Abend die Wall Street noch fragte, was Jerome Powell wohl verkünden würde, zeichnete sich in den Handelssälen bereits ab: Die Ära des billigen Geldes verabschiedet sich langsamer als gedacht – und das hat Folgen, die weit über die Zinsmärkte hinausreichen.

Die Fed hat geliefert, aber mit Vorbehalt. Die Notenbank senkte zwar erwartungsgemäß um 25 Basispunkte, doch Powells Botschaft zwischen den Zeilen war unmissverständlich: Das Tempo drosselt sich. Der Dollar reagierte prompt mit Stärke, während sich in Europa eine andere Geschichte abspielt. Aber der Reihe nach.

Der Dollar-Hammer: Wenn Währungen Macht demonstrieren

"Wir sehen die Geldpolitik noch immer als leicht restriktiv an", erklärte Powell gestern – diplomatisch formuliert für: Wir haben noch Spielraum nach unten, aber nicht mehr viel. Was er nicht sagte, aber die Märkte sofort verstanden: Die Dezember-Senkung steht auf wackligen Beinen.

Der Währungsmarkt reagierte wie elektrisiert. Der Euro-Dollar-Kurs, der sich zuletzt mühsam Richtung 1,09 gekämpft hatte, sackte wieder ab. Für europäische Exporteure eigentlich eine gute Nachricht – wäre da nicht die andere Seite der Medaille: Importierte Inflation droht zurückzukehren, just wenn die EZB glaubte, das Thema endlich im Griff zu haben.

Die Rechnung ist simpel, aber schmerzhaft: Ein starker Dollar verteuert Öl, Gas und Rohstoffe – alles in Dollar gehandelt. Für energieabhängige Volkswirtschaften wie Deutschland könnte das zum Problem werden, zumal die Verbraucherpreise hierzulande mit 5,2% Jahresinflation im dritten Quartal ohnehin schon über dem Euro-Ziel liegen.

Das stille Drama der Smart Meter

Während Notenbanker über Basispunkte debattieren, vollzieht sich in deutschen Kellern eine Revolution im Schneckentempo. Bis Juni wurden gerade einmal 760.000 intelligente Stromzähler installiert – bei einem Gesamtmarkt von über 50 Millionen Messstellen.

"Der Rollout liegt auf Kurs", versichert ZVEI-Präsident Gunther Kegel. Die Realität in den Haushalten sieht anders aus: Nur 3% aller Messlokationen verfügen über Smart Meter. Das Ziel der flächendeckenden Versorgung bis 2032 rückt in weite Ferne.

Das Problem ist nicht die Technik, sondern die Wirtschaftlichkeit. Messstellenbetreiber scheuen die Investitionen, Verbraucher die Kosten. Dabei wären die Zähler der Schlüssel zur Energiewende: Wer seinen Verbrauch kennt und steuern kann, spart nicht nur Geld, sondern stabilisiert auch die schwankungsanfälligen Netze der Zukunft.

Die Ironie: Während Deutschland über jeden Meter diskutiert, preschen andere Länder vor. In Skandinavien sind Smart Meter längst Standard, in Italien seit Jahren Pflicht. Die deutsche Gründlichkeit wird hier zum Hemmschuh.

Berlin trifft Ankara: Die neue Realpolitik

Bundeskanzler Friedrich Merz' Ankara-Besuch heute markiert mehr als nur diplomatische Routine. Mit seiner Ehefrau Charlotte an der Seite – eine in der deutschen Außenpolitik seltene Geste – signalisiert der CDU-Mann: Die Zeiten der moralischen Überlegenheit sind vorbei.

Die Zahlen sprechen für Pragmatismus: 22.560 abgelehnte Asylbewerber warten auf Rückführung in die Türkei. Am Montag wurde ein Milliardendeal über 20 Eurofighter besiegelt. Erdoğan ist vom Problemfall zum strategischen Partner mutiert.

Besonders brisant: Kurz vor Merz' Ankunft wurde ein neuer Haftbefehl gegen den Oppositionspolitiker Ekrem İmamoğlu erlassen. Der Kanzler schweigt dazu – die "Positivagenda" hat Vorrang. Realpolitik eben, wie sie auch die Ampel-Regierung praktizierte, nur ohne die rhetorischen Verrenkungen.

Die Rüstungskooperation floriert, die Wirtschaftsbeziehungen intensivieren sich. Deutsche Unternehmen wittern Chancen in einem Land, das trotz aller politischen Verwerfungen wirtschaftlich wächst. Der Preis: Man schaut bei Menschenrechtsverletzungen dezent weg.

Marktblick: Zwischen Hoffen und Bangen

Die Börsen zeigen sich heute Morgen unentschlossen. Der DAX pendelt um die 20.000-Punkte-Marke, als warte er auf ein Signal. Die Quartalsberichtssaison läuft, doch die großen Überraschungen bleiben aus.

Interessanter ist der Blick auf die Anleihemärkte: Die Rendite 10-jähriger Bundesanleihen klettert wieder Richtung 2,5%. Die Zinswende ist da, aber sie kommt langsamer und flacher als erhofft. Für Sparer eine Enttäuschung, für verschuldete Unternehmen eine Atempause.

In den Niederlanden deutet sich derweil eine politische Sensation an: Geert Wilders' Partei und die linksliberale D66 liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Ein Sieg der Rechtspopulisten hätte Signalwirkung für ganz Europa – auch wenn Wilders von einer Regierungsbildung ausgeschlossen bleibt.

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Apropos Marktverwerfungen: In Frankfurt spricht man dieser Tage auch über die Renaissance der Industrie-Technologie, die eng mit Europas Chip-Offensive verbunden ist. Während die Politik über Zinsen und Energiepreise streitet, entstehen im Hintergrund Milliardenmärkte rund um Halbleiter, KI und Rechenzentren. Wer verstehen will, welche europäischen Tech-Unternehmen jetzt zu den stillen Profiteuren gehören, findet eine lesenswerte Analyse hier: Die neue Nvidia – Europas Antwort auf den Chipboom

Was die Woche noch bringt

Morgen steht die EZB-Sitzung an. Eine weitere Zinssenkung gilt als sicher, spannend wird Lagardes Ausblick. Kann sich Europa leisten, schneller zu lockern als die USA? Oder riskiert man damit einen Währungsverfall, der alle Fortschritte bei der Inflationsbekämpfung zunichtemacht?

Am Freitag dann US-Arbeitsmarktdaten – der nächste Test für Powells Strategie. Bleiben die Jobs robust, war's das wohl erstmal mit Zinssenkungen. Die Märkte preisen für Dezember nur noch eine 50:50-Chance ein.

Die Wochen bis Jahresende versprechen volatil zu werden. Zwischen den Stühlen der Notenbanken, im Spannungsfeld von Geopolitik und Geldpolitik, suchen Anleger nach Orientierung. Der starke Dollar könnte dabei zum entscheidenden Faktor werden – als Fluch für die einen, als Segen für die anderen.

Was uns die aktuelle Gemengelage lehrt: Die Zeiten eindeutiger Trends sind vorbei. Wir leben in einer Welt der Nuancen, der vorsichtigen Schritte und der ständigen Neubewertung. Powell hat es gestern auf den Punkt gebracht: "Wir werden von Meeting zu Meeting entscheiden." Flexibilität ist die neue Planungssicherheit.

Bleiben Sie beweglich – an den Märkten und im Denken.

Ihr Eduard Altmann

P.S.: Die Bundesregierung feiert den Smart-Meter-Rollout als Erfolg. Bei 3% Abdeckung nach Jahren der Vorbereitung fragt man sich: Wie sähe dann ein Misserfolg aus? Manchmal ist die Lücke zwischen politischer Kommunikation und Realität größer als jeder Spread an den Devisenmärkten.