Europas Wirtschaftsverbände schlagen Alarm: Hohe Energiepreise und ausufernde Bürokratie gefährden die Wettbewerbsfähigkeit des Kontinents. Diese Woche drängten deutsche Wirtschaftsspitzen bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf eine umfassende "Wettbewerbsagenda".

Die Warnung ist eindeutig: Ohne radikalen Kurswechsel droht Europa eine schleichende Deindustrialisierung. BDA, BDI, DIHK und ZDH warnen gemeinsam vor einer Abwärtsspirale aus hohen Kosten, Personalmangel und lähmender Überregulierung.

Von der Leyen reagierte mit einem Fünf-Punkte-Plan: Bürokratieabbau, bezahlbare Energie, vertiefter Binnenmarkt, neue Handelsabkommen und Mittelstandsentlastung. Doch reichen Versprechen noch aus?

Clean Industrial Deal soll Energiekrise beenden

Die EU-Kommission setzt auf ihren "Clean Industrial Deal" als Lösung. Das Ziel: Den grünen Wandel als Wachstumsmotor nutzen und gleichzeitig Energiekosten senken.

Der bereits im Februar vorgelegte Aktionsplan verspricht Einsparungen von 260 Milliarden Euro jährlich bis 2040. Die Strategie umfasst:

  • Beschleunigte Genehmigungen für erneuerbare Energien
  • Schnellerer Ausbau grenzüberschreitender Stromnetze
  • Förderung grüner Stromlieferverträge (PPAs)
  • Staatlich subventionierte Industriestrompreise für energieintensive Betriebe

Trotz gesunkener Preise seit den Rekordjahren 2021/2022 bleiben die Energiekosten strukturell zu hoch. Die Industrie braucht schnelle Entlastung.

Bürokratie-Falle lähmt den Mittelstand

Während die Energielösungen auf sich warten lassen, ersticken Unternehmen in regulatorischen Pflichten. Der ambitionierte European Green Deal bringt eine "Bürokratie-Flut" mit sich.

Besonders belastend sind komplexe Berichtspflichten durch:
* CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM)
* Lieferkettenrichtlinie (CSDDD)
* Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD)

Kleine und mittlere Unternehmen trifft es besonders hart. Der administrative Aufwand bindet Ressourcen, die für die grüne Transformation fehlen. Die Kommission startete zwar erste Vereinfachungen mit einer "Omnibus-Verordnung" - doch Wirtschaftsverbände fordern einen grundlegenden Rückbau.

Draghi und Letta zeigen den Weg

Zwei wegweisende Berichte liefern die strategische Grundlage für die Reformen. Mario Draghis Wettbewerbsbericht identifiziert drei Kernprobleme: die Innovationslücke zu USA und China, hohe Energiepreise und regulatorische Hürden.

Enrico Lettas Binnenmarkt-Bericht aus dem Frühjahr fordert eine radikale Vereinfachung des EU-Rechtsrahmens. Seine Diagnose: Die Fragmentierung des Binnenmarktes bremst das Wachstum aus.

Beide Experten warnen vor den gleichen Gefahren - Europas Wachstumsmodell steht vor dem Kollaps.

Deindustrialisierung bedroht Europas Zukunft

Die Sorgen sind berechtigt. Im globalen Wettbewerb verliert Europa an Boden - gegen die USA mit ihrem "Inflation Reduction Act" und gegen staatlich subventionierte chinesische Konkurrenten.

Die Folgen einer Abwanderung wären dramatisch: Arbeitsplätze verschwinden, Steuereinnahmen brechen weg, strategische Souveränität geht verloren. Kritische Bereiche wie Halbleiter oder seltene Erden könnten komplett in ausländische Hand geraten.

Der "Clean Industrial Deal" wird zum entscheidenden Test: Kann die EU Klimaschutz und industrielle Stärke vereinen?

Reform-Versprechen unter Zeitdruck

Von der Leyen steht unter enormem Druck. Weitere "Omnibuspakete" zur Gesetzesvereinfachung sollen den jährlichen Erfüllungsaufwand um Milliarden Euro senken. Neue Gesetze müssen einen strengeren "Wettbewerbs-Check" durchlaufen.

Die kommenden Monate werden zeigen, ob Brüssel liefern kann: Schnellere Genehmigungen, resilientere Energieinfrastruktur, weniger Bürokratie. Europas industrielle Zukunft steht auf dem Spiel.