Die Europäische Kommission verschärft den Schutz der heimischen Stahlindustrie drastisch. Schutzzölle steigen von 25 auf 50 Prozent, zollfreie Einfuhrmengen werden nahezu halbiert. Die Maßnahmen sollen europäische Produzenten vor Billigimporten und globalen Überkapazitäten schützen.

Industriekommissar Stéphane Séjourné kündigte an, die zollfreien Kontingente auf rund 18 Millionen Tonnen pro Jahr zu begrenzen. Die Entscheidung wird heute offiziell vorgestellt und ist eine direkte Antwort auf unfairen Handel und umgeleitete Handelsströme aus den USA.

Radikaler Kurswechsel nach Jahren des Drucks

Die neuen Zölle greifen bei allen Stahlimporten, die über die reduzierten Kontingente hinausgehen. Damit reagiert Brüssel auf die schwächelnde Wirkung bisheriger Schutzmaßnahmen aus 2018. Damals hatte die EU erstmals Zölle als Antwort auf US-Handelspolitik eingeführt.

Die Kommission verschärft zugleich die Verwaltung der Zollkontingente. Seit März gelten bereits strengere Regeln für ungenutzte Kontingentmengen. Die geplante Halbierung der Gesamteinfuhrmenge markiert den bisher radikalsten Schritt gegen Marktüberflutung.

600 Millionen Tonnen globale Überkapazität

Europas Stahlproduzenten kämpfen gegen massive strukturelle Probleme. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl schätzt globale Überkapazitäten auf 600 Millionen Tonnen jährlich. China, Indien und die Türkei fluten den Markt mit Billigstahl.

Zusätzlich belasten hohe Energiekosten und die teure Umstellung auf klimaneutrale Produktion die Wettbewerbsfähigkeit. Schwache Nachfrage aus der Automobilindustrie verschärft die Krise. Konzerne wie ThyssenKrupp und ArcelorMittal stehen massiv unter Druck.

Industrie begrüßt, Kritiker warnen vor Eskalation

Die deutsche Stahlindustrie zeigt sich erfreut. Gunnar Groebler, Chef der Wirtschaftsvereinigung Stahl, sieht ein "ausgewogenes Modell". Die Importe sollen auf das Niveau von 2015/2016 zurückgehen. Für Autokäufer bedeutet das etwa 50 Euro Mehrkosten pro Fahrzeug.

Die IG Metall spricht von einer "guten Botschaft für Zehntausende Beschäftigte". Kritiker befürchten jedoch Vergeltungsmaßnahmen, besonders aus China. Die 27 EU-Mitgliedstaaten müssen die Pläne noch bestätigen.

Grüne Wende als Zukunftsaufgabe

Die Schutzmaßnahmen sollen der Branche Luft für die grüne Transformation verschaffen. Langfristig will die EU globale Überkapazitäten an der Wurzel bekämpfen - bisher mit wenig Erfolg in internationalen Verhandlungen.

Parallel laufen Gespräche mit den USA über gemeinsame Zölle gegen Drittstaaten weiter. Die Industrie steht vor einem Balanceakt: Schutz vor unfairem Wettbewerb bei gleichzeitiger milliardenschwerer Umstellung auf klimaneutrale Produktion. Davon hängt die Zukunft des Industriestandorts Europa ab.