EU ringt um Balance zwischen Klimaschutz und Industrie

Die Europäische Union steht unter Druck: Industrie und mehrere Mitgliedsstaaten fordern einen "Industrial Deal" als Ergänzung zum Green Deal. Der Grund: hohe Energiekosten, überbordende Bürokratie und schwindende Wettbewerbsfähigkeit bedrohen Europas Industriestandort.
Diese Woche erreichten die Diskussionen einen neuen Höhepunkt. Führende Industrievertreter mahnten in Brüssel erneut einen Kurswechsel an, um die Deindustrialisierung Europas abzuwenden.
Die EU-Kommission reagierte bereits mit dem "Clean Industrial Deal" - einem Konzept, das Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit versöhnen soll. Doch vielen Kritikern reicht das nicht.
Green Deal unter Beschuss: Zu teuer, zu komplex?
Der European Green Deal soll Europa bis 2050 klimaneutral machen. Das ehrgeizige Projekt bringt aber massive Belastungen mit sich: extrem hohe Energiepreise im internationalen Vergleich, komplexe Regelwerke und strenge Berichtspflichten.
"Komplexe Regulierungen und exzessive Berichtspflichten dürfen die Innovations- und Investitionskraft unserer Unternehmen nicht lähmen", erklären deutsche Spitzenverbände der Wirtschaft.
Besonders energieintensive Branchen schlagen Alarm. Chemie-, Stahl- und Zementindustrie warnen vor "Carbon Leakage" - der Abwanderung von Produktion in Länder mit niedrigeren Umweltstandards.
Was die Wirtschaft fordert: Mehr als nur grün
Der geforderte "Industrial Deal" soll den Green Deal nicht ersetzen, sondern um eine wachstumsorientierte Industriestrategie ergänzen. Die Kernforderungen:
- Drastische Senkung der Energiekosten durch schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien
- Bürokratieabbau und beschleunigte Genehmigungen
- Schutz vor unfairem Wettbewerb aus USA und China
Die EU-Kommission griff bereits einige Punkte auf. Der "Clean Industrial Deal" soll Investitionen in saubere Technologien fördern. Doch Kritiker bemängeln: Die Finanzierung bleibt vage, strukturelle Nachteile werden nicht behoben.
Brüssel im Spagat: Klimaziele vs. Industriepolitik
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versucht den Balanceakt: "Der Green Deal kann nur funktionieren, wenn er Hand in Hand mit einer starken Industriepolitik geht."
Die Kommission startete einen Dialogprozess mit der Industrie. Eine "Omnibus-Verordnung" soll bestehende Nachhaltigkeitsgesetze vereinfachen.
Umweltverbände und Teile des EU-Parlaments beobachten diese Schritte kritisch - sie befürchten eine Verwässerung des Green Deals.
Globaler Druck: USA und China setzen Europa unter Zugzwang
Die Debatte findet vor verschärftem globalem Wettbewerb statt. Der US-amerikanische "Inflation Reduction Act" fördert massiv heimische grüne Technologien - Investitionen fließen aus Europa ab.
China dominiert bereits viele Märkte für saubere Technologien und Rohstoffe. Europas Industrie sieht sich benachteiligt.
Der CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) soll für fairere Bedingungen sorgen. Doch Handelspartner kritisieren ihn als Protektionismus - die innereuropäischen Kostenprobleme löst er nicht.
Entscheidende Monate stehen bevor
Die neu konstituierte EU-Kommission muss eine überzeugende Strategie vorlegen: Wie lassen sich die Klimaziele für 2040 und 2050 erreichen, ohne die industrielle Basis zu gefährden?
Der "Clean Industrial Deal" wird konkretisiert - möglicherweise mit spezifischen Plänen für Schlüsselsektoren wie Automobil- oder Chemieindustrie. Die Diskussionen über das EU-Budget werden im Zentrum der Auseinandersetzungen stehen.
Der Erfolg hängt davon ab, ob Politik, Industrie und Zivilgesellschaft einen Konsens finden, der ökologische Notwendigkeit und ökonomische Realität versöhnt.