Die Europäische Union treibt den Bau eines hochtechnologischen "Drohnenwalls" an ihrer Ostgrenze voran. Auf dem informellen Gipfel in Kopenhagen signalisierten die Staats- und Regierungschefs breite Unterstützung für das milliardenschwere Verteidigungsprojekt. Für Österreich entfacht dies eine intensive Debatte über die Zukunft der Neutralität.

Kopenhagen-Gipfel reagiert auf Drohnenbedrohung

Der informelle EU-Gipfel am 1. Oktober stand ganz im Zeichen jüngster Sicherheitsvorfälle. Wiederholte Drohnensichtungen legten tagelang Flughäfen in Dänemark lahm. Russische Drohnen drangen massiv in den polnischen Luftraum ein. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einem "Muster anhaltender Auseinandersetzungen an unseren Grenzen".

Das geplante System ist keine physische Mauer, sondern ein vernetzter Schutzschild aus fortschrittlicher Sensortechnologie, Radar und Abfangmechanismen. Er soll sich von Norwegen über die baltischen Staaten und Polen bis nach Rumänien erstrecken. Das System wird unbemannte Flugobjekte frühzeitig erkennen, verfolgen und neutralisieren können.

Besonders die an Russland grenzenden Staaten drängen auf rasche Umsetzung. Sie wollen sich vor Provokationen und potenziellen Angriffen schützen.

Mehrschichtige Technologie gegen kleine Drohnen

Die technologische Herausforderung ist immens. Konventionelle Radarsysteme erfassen Flugzeuge und Raketen gut, kleine niedrig fliegende Drohnen stellen jedoch eine erhebliche Schwierigkeit dar. Der Schutzschild soll daher mehrschichtig aufgebaut sein:

  • Radiofrequenzdetektoren zur Kommunikationsüberwachung
  • Akustiksensoren für Motorengeräusche
  • Kamerasysteme zur visuellen Erfassung
  • Vernetztes Radarsystem für großflächige Überwachung

Die Kosten werden auf mehrere Milliarden Euro geschätzt. Im Gespräch sind Mittel aus dem Europäischen Verteidigungsfonds sowie eine mögliche Ausnahme von Verteidigungsausgaben von den EU-Schuldenregeln.

Ukraine als Technologie-Partner

Eine entscheidende Rolle spielt die Ukraine. Das Land sammelte im Krieg gegen Russland wertvolle Erfahrungen in der kostengünstigen Drohnenabwehr. Die EU plant, diese Expertise zu nutzen und ukrainische Abwehrsysteme zu beschaffen.

Ukrainische Rüstungs-Start-ups entwickeln agile Lösungen gegen Drohnenschwärme. Dies soll verhindern, dass teure Abfangraketen für billige Kamikaze-Drohnen verschwendet werden – ein Problem aktueller Systeme.

Österreich zwischen Solidarität und Neutralität

Für Österreich wird der "Drohnenwall" zur sicherheitspolitischen Zerreißprobe. Die Bundesregierung verurteilte die Luftraumverletzungen als "völlig inakzeptabel". Doch die Teilnahme an dem militärischen Schutzprojekt wirft Fragen zur Neutralität auf.

Das Bundesverfassungsgesetz von 1955 verpflichtet Österreich zur Bündnisfreiheit. Gleichzeitig beinhaltet der EU-Vertrag in Artikel 42(7) eine Beistandsklausel. Sie verpflichtet alle Mitgliedstaaten zu "aller in ihrer Macht stehender Hilfe" bei bewaffneten Angriffen.

Während die Klausel den "besonderen Charakter" neutraler Staaten anerkennt, sehen viele EU-Partner darin einen klaren Solidaritätsauftrag. Mit strikter Neutralität wird dies immer schwerer vereinbar.

Glaubwürdigkeit der Neutralität in Frage gestellt

Experten aus über 20 europäischen Ländern äußerten in einer aktuellen Studie des Austria Instituts erhebliche Zweifel an der österreichischen Neutralität. Zwei Drittel der Befragten sehen die EU-Mitgliedschaft als Beeinträchtigung der Neutralitäts-Glaubwürdigkeit.

Die passive Haltung Österreichs in Sicherheitsfragen könnte langfristig zu Reputationsverlust und politischer Isolation führen. Bereits jetzt nimmt Österreich an der "European Sky Shield Initiative" teil – einem weiteren Verteidigungsprojekt.

Fahrplan steht in den Startlöchern

Die EU-Kommission legt in den kommenden Wochen einen konkreten Umsetzungsplan vor. Beim nächsten EU-Gipfel in Brüssel fallen die verbindlichen Entscheidungen über Finanzierung und Zeitplan.

EU-Verteidigungskommissar Andrius Kubilius hofft, wesentliche Teile des Erkennungssystems binnen eines Jahres aufzubauen. Für Österreich bedeutet dies: Die Zeit des Abwartens ist vorbei. Die Bundesregierung muss Farbe bekennen, ob und wie sie sich beteiligt.

Die Entscheidung wird die österreichische Sicherheitspolitik für Jahre prägen. Die Debatte darüber, wie viel Solidarität die Neutralität verträgt, hat gerade erst begonnen.