EU: Draghi warnt vor wirtschaftlichem Niedergang

Die Europäische Union kämpft gegen die Zeit. Während USA und China davonziehen, schlägt Ex-EZB-Chef Mario Draghi Alarm: Europa brauche einen "radikalen Wandel" – oder drohe abgehängt zu werden.
Die Diagnose ist schonungslos: Fragmentierte Märkte, lähmende Bürokratie und fehlende Investitionen bremsen den Kontinent aus. 800 Milliarden Euro jährlich müsste Europa zusätzlich investieren, um wieder konkurrenzfähig zu werden.
Binnenmarkt: Europas unvollendetes Megaprojekt
Ex-Ministerpräsident Enrico Letta legte bereits den Finger in die Wunde. Sein Bericht zeigt: Der EU-Binnenmarkt gleicht einem Flickenteppich. Energie, Telekom, Finanzen – überall herrscht nationale Abschottung statt europäischer Integration.
Das Ergebnis? Private Investoren schauen lieber nach Amerika oder Asien. Während Europa noch über Kapitalmarktunion diskutiert, fließen die Milliarden anderswohin.
Lettas Forderung ist klar: Bürokratie abbauen, Märkte öffnen, Unternehmen entfesseln. Besonders kleine und mittlere Betriebe ersticken in Vorschriften und Berichtspflichten.
Draghis Schocktherapie: 800 Milliarden oder Abstieg
Mario Draghi legt nach. Sein September-Bericht liest sich wie ein Hilferuf: Europas bisheriges Wachstumsmodell sei tot. Billiges Gas aus Russland? Vorbei. Offener Welthandel? Bedroht. Allein auf Exporte setzen? Naiv.
Draghis Dreipunkt-Plan:
- Innovation: Die Lücke zu USA und China schließen
- Dekarbonisierung: Grün werden, ohne schwach zu werden
- Verteidigung: Eigene Rüstungsindustrie aufbauen
Der Preis: Jährlich 800 Milliarden Euro zusätzliche Investitionen. Das entspricht etwa fünf Prozent der EU-Wirtschaftsleistung. Zum Vergleich: Der Marshall-Plan kostete umgerechnet zwei Prozent.
Europas Achillesfersen: Teuer, langsam, überaltert
Die Probleme sind hausgemacht. Energiepreise explodieren seit dem Ukraine-Krieg. Deutsche Industriestrompreise liegen dreimal höher als in den USA.
Gleichzeitig fehlen die Menschen: Fachkräftemangel überall, demografischer Wandel unaufhaltsam. Und während Silicon Valley Einhörner züchtet, kämpfen europäische Start-ups mit 27 verschiedenen Rechtssystemen.
Die Produktivität stagniert seit Jahren. Während Amerika und China digitale Sprünge machen, verwaltet Europa seine Vergangenheit.
Politik der guten Vorsätze vs. harte Realität
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verspricht einen "Pakt für saubere Industrie" und weniger Bürokratie. Schöne Worte – aber wer zahlt?
Das Finanzierungsdilemma: Frankreich ist mit 114 Prozent Staatsverschuldung überschuldet, Deutschland sträubt sich gegen Gemeinschaftsschulden. Italien, Spanien, die Niederlande – alle haben ihre eigenen Sorgen.
Gemeinsame EU-Anleihen? Politisch heikel. Nationale Alleingänge? Zu klein für globale Konkurrenz. Europa sitzt in der Falle eigener Uneinigkeit.
Entscheidung in den nächsten Monaten
Die Zeit drängt. Von der Leyens neue Kommission muss liefern – oder die Warnungen werden zur selbsterfüllenden Prophezeiung.
Erste Schritte sind geplant: Kapitalmarktunion voranbringen, Beihilferegeln lockern, Genehmigungen beschleunigen. Ein "Kompass für Wettbewerbsfähigkeit" soll den Weg weisen.
Doch reicht das? China investiert Billionen in Zukunftstechnologien, Amerika lockt mit Subventionen und niedrigen Steuern. Europa diskutiert noch, während andere handeln.
Der "Niedergang Europas" ist keine düstere Prognose mehr – sondern eine Warnung mit Verfallsdatum. Handelt die EU jetzt nicht, könnte aus dem Wohlstandskontinent schon bald ein Museumsstück werden.