Kürzlich fand die Europäische Zentralbank (EZB), die ihre Dossiers bekanntlich immer sehr zurückhaltend formuliert, überraschend starke Worte: Keine der von ihr beaufsichtigten europäischen Banken erfülle auch nur annähernd alle Erwartungen bezüglich der aktuellen Klima- und Umweltpolitik (es geht dabei um 112 Banken mit einer Bilanzsumme von zusammen 24 Billionen Euro!). Sie hätten zwar schöne Pläne zur Verbesserung ihrer einschlägigen Praktiken entwickelt, aber ihre Fortschritte dabei seien viel zu langsam. Die EZB droht deswegen mit ernsten Folgen: Die Aufsichtsbehörden hätten die Banken bereits über ihre wichtigsten Mängel bezüglich Klima- und Umweltrisiken informiert. 2022 würde die EZB die einschlägigen Bank-Praktiken überprüfen, um die Bewältigung von deren Klimarisiken abzusichern. In den kommenden drei bis fünf Jahren würde sich das Risikoprofil der meisten europäischen Banken vehement verändern, erklärt die EZB, „wobei die Risiken der Kredit-, Betriebs- und Geschäftsmodelle am stärksten betroffen sein werden.“

Wie grün sind grüne Finanzprodukte?

Welches genaue Ziel hat die EZB? Man kann sicher sein, dass sämtliche Finanzprodukte, die mit Zusätzen wie Öko-, nachhaltig, grün oder sustainable (auf Deutsch „nachhaltig“) beworben werden, darunter fallen werden. Erika Singer, Programmleiterin für Sustainable Finance beim WWF, sagte der „Wiener Zeitung“, es sei noch immer schwer festzustellen, wie nachhaltig ein grünes Finanzprodukt wirklich ist. Bisher gebe es keine europäischen Mindeststandards für nachhaltige Geldanlagen. Eine einschlägige EU-Taxonomie-(= Namensgebungs-)verordnung, die verbindliche Definitionen für grüne Finanzprodukte festlegt, ist schon fixiert; ihre Umsetzung in Österreich erwartet die Finanzmarktaufsicht (FMA) für Mitte 2022.

Zur Zeit ist der private Durchschnittsanleger bei der Wahl nachhaltiger Finanzprodukte noch weitgehend auf sein Gefühl, freundschaftliche Tipps sowie individuelle Namensgebungen durch Anbieter solcher Produkte angewiesen. Diese werden wohl die „grüne Welle“ eher zur Optimierung ihrer Verkäufe als zur detaillierten Aufklärung potenzieller Kunden nutzen.

Das laienhafte Tasten mit dem Blindenstock im Nebel widersprüchlicher Definitionen, was ein grünes Finanzprodukt ist, haben das ifo-Institut Dresden, das Leibniz Institute for Financial Research (SAFE) und das ESMT Berlin zu einer Analyse mit dem Titel „Vom Wunschdenken zur marginalen Wirkung, eine Fibel zur grünen Finanzierung“ veranlasst.

Eine kritische Studie rüttelt auf.

Die Autoren des erwähnten „White Paper Nr. 87“ vom Oktober 2021, Jan Pieter Krahnen, Jörg Rocholl und Marcel Thum, fassen die Ergebnisse ihrer Studie etwas holprig folgendermaßen zusammen: „Wir betrachten die kritischen Punkte, die gegen eine naive Interpretation grüner Finanzprodukte und deren Strategien sprechen. Unsere Einsichten bilden den Hintergrund, vor dem wir Finanzinstrumente und Strategien näher betrachten, die es möglich machen, grüne Finanzierungen werbewirksam zu gestalten. Dabei konzentrieren wir uns auf die Rolle einer Taxonomie (= Namensgebung) und auf die Wünsche der Investoren. Wir beschreiben auch die Wechselbeziehung zwischen Regierung und grüner Finanzpraxis; das ist ein Aspekt, der in politischen Debatten oft vernachlässigt wird, aber dennoch wichtig ist.“

Die Autoren kommen zur Ansicht, dass grüne Finanzanlagen oft Mogelpackungen sind, dass nicht das drinnen steckt, was außen angeboten wird. Marcel Thum: „Scheinbar grüne Finanzprodukte haben nicht unbedingt jene positiven Eigenschaften, die sich naive Anleger von ihnen erhoffen. Es gibt in privaten Unternehmen und im Staatshaushalt praktisch keine ursächliche Verknüpfung zwischen grünen Finanzierungsinstrumenten und der Verwendung der aufgebrachten Gelder für grüne Zwecke!“ Thum rät Investoren, sich entweder persönlich oder über ihre Fondsvertreter dafür einzusetzen, dass ihr Geld bei den begünstigten Unternehmen zur konkreten Änderung in deren Produktion in Richtung Nachhaltigkeit verwendet wird. Er bezweifelt auch die Aussage, dass grüne Investments dieselben Renditen abwerfen wie nicht-grüne. Alle Anleger in grüne Investments müssten bereit sein, Renditeeinbußen hinzunehmen, „denn eine grünere Unternehmenspolitik geht in der Regel zu Lasten der Erträge! Unternehmen, die grüne Aktien ausgeben, wirtschaften dadurch nicht nachhaltiger.“

Die Studie äußert weitere Kritikpunkte: Werden Aktientitel von Firmen angeboten, die ökologisch verantwortlicher wirtschaften möchten, führt das nicht zur tatsächlichen Veränderung ihrer gesamtwirtschaftlichen Produktion. „Wer in grüne Finanzanlagen investiert, macht dadurch zwar sein eigenes Portfolio grüner, aber es ändert nichts an den Emissionen der Gesamtwirtschaft!“, sagt SAFE-Direktor Jan Pieter Krahnen. Tatsächlich seien trotz des jahrelangen Booms grüner Investitionen bisher keine messbaren Effekte in Richtung Klimaverbesserung festzustellen. ESMT-Präsident Jörg Rocholl: „Durch grüne Staatsanleihen werden dem Staatshaushalt keine zusätzlichen Mittel zur nachhaltigen Transformation zur Verfügung gestellt; es werden lediglich konventionelle durch grüne Anleihen ersetzt.“ Der Privatanleger in grüne Staatsanleihen könne also keinen direkten Einfluss auf den Klimaschutz nehmen.

Politische Empfehlungen.

Der Finanzpolitik empfiehlt die obige Studie:

1. Weil es schwer sei, zwischen der Herkunft von Investitionsgeldern und ihrer Verwendung zu unterscheiden, sollten in größeren Unternehmen und öffentlichen Budgets keine ESG-orientierten Finanzierungen vorgesehen werden. (ESG ist die Abkürzung von Environmental, Social, Governance, auf Deutsch Umwelt, Soziales und Unternehmensführung.)

2. Reale Änderungen in der Wirtschaft mit dem Ziel, die Klimaveränderung zu bremsen, seien nur dann vernünftig, wenn den grünen Investoren eine aktiv gestalterische Mitwirkung bei der Mittelverwendung gegeben werde.

3. Ehe mehr private Initiativen zur grünen Finanzierung gestartet werden, sollten sich die Initiatoren gründlich überlegen, ob diese die offiziellen ESG-Ziele tatsächlich erfüllen.

4. Eine EU-weit verbindliche Definition der vielfältigen Bezeichnungen nachhaltiger Finanzinstrumente sollte abgewartet werden, ehe neue grüne Investments auf den Markt gebracht werden.

Reaktionen aus der Finanzwirtschaft.

„Im Bereich Nachhaltigkeit hat die Finanzbranche noch viel zu lernen!“, sagt Josef Obergantschnig, Geschäftsführer der Financial Strategies GmbH, Präsident des Wirtschaftsethikklubs ETHICO, Vortragender des Grazer Joanneums und CIO der Security Kapitalanlage AG. „Das beginnt mit der Frage, was ‘nachhaltig’ ist. Reden wir da über Werte, Ethik, Umwelt oder Nachhaltigkeit im wirtschaftlichen Sinn?“ Dennoch unterschreibt er die Aussagen der deutschen Ökonomenstudie nur zum Teil. „Ich bin überzeugt, dass wir durch gezielte Investments selbst einen Beitrag dazu leisten können!“ Laut neuen Schätzungen entsprechen gegenwärtig nur 1 bis 5 Prozent aller grünen Investments der EU-Taxonomie. Dabei handle es sich um ein enges Korsett, das nur von Themenfonds mit entsprechender Tiefe umgesetzt werden könne. Für die meisten Investoren spiele die ökonomische Komponente eine zentrale Rolle. „Für Fondsmanager bedeutet das, dass das investierbare Universum groß genug sein muss, um ein sinnvolles grünes Portfolio aufsetzen zu können. Bei taxonomie-konformen Portfolios bin ich da sehr skeptisch.“ Obergantschnig bestätigt den anhaltenden Boom hin zu nachhaltigen Investments. Die Vorsorgekassen seien schon vom Beginn des Nachhaltigkeitsthemas an stark engagiert gewesen. Hohe Bedeutung werde dieses Thema schon bald für Finanzberater haben, denn: „Mit August 2022 müssen diese im Kundengespräch auch die Nachhaltigkeitspräferenz ihrer Kunden abfragen. Ich gehe davon aus, dass sich dadurch der anhaltende Trend weiter beschleunigen wird.“

Die Allianz-Versicherung hat kürzlich eine Klimaschutz-Studie veröffentlicht. Diese zeigt, dass sich nur 39 Prozent der Österreicher von den Auswirkungen der Klimaveränderung persönlich betroffen fühlen. Mehr als 50 Prozent der Österreicher seien davon fest überzeugt, dass in unserem Land eifrig „Greenwashing“ betrieben werde; das heißt, dass viele sogenannte grüne oder nachhaltige Produkte ausgelobt würden, die keinen Schutz vor Verschlechterungen des Klimas bewirken.

Der jüngste Allianz-Vermögensreport unternimmt leider keinen Versuch, das Geldvermögen der Österreicher in grüne und nicht-grüne Anlagen aufzuteilen. Denn „die 26. Klimakonferenz in Glasgow (COP 26) hat gezeigt, dass die Regulierer, die Berichterstattung und die Finanzindustrie erst am Beginn ihrer Reisen in einen nachhaltigen Kapitalmarkt stehen. Momentan lassen sich nur im Bereich von Investmentfonds ‘grüne Anlagen’ identifizieren, allerdings nur anhand der ESG-Label der Ratingagenturen, wo es immer noch einigen Wildwuchs oder ‘Greenwashing’ gibt“, liest man im Allianz-Vermögensreport.

Finanzströme professionell lenken.

Wenn es künftig neue Anstrengungen geben sollte, „grüne Investments“ in die richtige Richtung zu lenken, wird es um die dafür aufzutreibenden Vermögenswerte gehen. Diesbezüglich herrscht große Zuversicht. Der „Marktbericht Nachhaltige Geldanlagen 2021“ für Deutschland, die Schweiz und Österreich des Forums Nachhaltige Geldanlagen (FNG) liefert dazu konkrete Werte: In Deutschland waren Ende letzten Jahres 6,4 Prozent des gesamten Anlagevermögens oder ein Volumen von 335,3 Milliarden Euro nachhaltig veranlagt. In Österreich waren es zum selben Zeitpunkt 19,8 Prozent oder 38 Milliarden Euro. Die Schweiz liegt mit einem Anteil von mehr als 50 Prozent nachhaltig veranlagtem Vermögen bzw. 1520 Milliarden Euro auf dem Spitzenplatz.

Finanzberater Josef Obergantschnig sagt voraus: „Wir werden in Zukunft nicht mehr nur über die Performance oder das Risiko eines (grünen) Investments diskutieren, sondern auch über die spezifischen ESG-Ratings bzw. auf welchem Klimapfad sich das eigene Portfolio befindet und welchen klimarelevanten Beitrag man mit seinem Investment konkret leistet. Wir stehen am Beginn einer langen Reise, und so wie die Transformation der Wirtschaft nicht von heute auf morgen funktionieren wird, ist das auch auf dem Finanzmarkt zu erwarten. Um diesen Übergang zu schaffen, benötigen wir einheitliche Regeln und Standards, eine breite Zustimmung in der Bevölkerung sowie wesentlich zuverlässigere Daten als bisher.“

Grüne Vermögensanlagen in Österreich.

Aktuelle Daten dazu hat die österreichische Finanzmarktaufsicht kürzlich veröffentlicht: Von rund 218 Milliarden Euro, die von österreichischen Fonds Mitte 2021 verwaltet wurden, seien 53 Milliarden oder fast ein Viertel unter diversen Nachhaltigkeits-Kriterien veranlagt. Es geht dabei um heimische Fonds von Kapitalanlagegesellschaften (KAG) bzw. um Anlagen, die von konzessionierten Managern alternativer Investmentfonds (AIFM) nach den Kriterien der nachhaltigskeits-bezogenen Offenlegungspflichten der EU verwaltet werden.

Die FMA beschäftigt sich in ihrer Analyse auch mit den Risiken nachhaltiger Veranlagungen. Ein Thema, an das sich bisher kaum jemand herangewagt hat. Die FMA räumt dabei mit der frommen Annahme auf, grüne Investments seien sicherer als nicht-grüne Veranlagungen: „Klima-Stresstests haben gezeigt, dass für den österreichischen Fondsmarkt je nach Annahme in den kommenden fünf Jahren aus Nachhaltigkeitsrisiken Wertverluste von etwa minus 3 bis minus 9 Prozent drohen können.“ Umgerechnet würde das einen Verlust zwischen 6,6 und 19,7 Milliarden bedeuten. Zu den Risikofaktoren nachhaltiger Finanzanlagen zählt die FMA z.B. eine hohe CO2-Steuer, Änderungen von Bauordnungen oder Flächenwidmungen, die Abwertung bestehender Energiealtanlagen aufgrund unvorhergesehener Technologieänderungen, die bestehende Altanlagen entwerten würden, sogenannte „stranded assets“. Weitere Risiken für nachhaltige Investments erkennt die FMA in etwaigen Polit-, Technologie- oder Konsumschocks.

Nichtsdestoweniger kann man wohl davon auszugehen, dass der Run auf grüne, nachhaltige oder Öko-Veranlagungen in den kommenden Jahren nicht abreißen wird. Dennoch gilt das bewährte Sprichwort: „Vorsicht ist besser als Nachsicht!“ 

Den FNG Marktbericht 2021 inklusive ­Grafiken finden Sie hier

 

Aus dem Börse Express-PDF vom 26. November - hier zum kostenlosen Download

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