Die Wiener Staatsoper präsentiert heute ihren neuen "Eisernen Vorhang" für die Saison 2025/2026. Der ghanaische Starbildhauer El Anatsui verwandelt die 176 Quadratmeter große Brandschutzwand in eine monumentale Kunstinstallation.

Das Werk trägt den Titel "XOHANAMI" - in der Ewe-Sprache bedeutet das "Empfangt unser Lied". Bis Juni 2026 werden Opernbesucher diese außergewöhnliche Begegnung zwischen westafrikanischer Kunst und europäischer Hochkultur erleben.

Skulpturen aus Marktabfällen werden zu Kunst

Anatsui schuf Dutzende menschenähnliche Figuren aus wiederverwerteten Materialien. Alte Markttabletts und Holzabfälle von westafrikanischen Märkten bilden das Rohmaterial seiner Installation.

Der 81-jährige Künstler bezeichnet diese Märkte als "pulsierende Bühnen des täglichen Lebens". Seine Transformation alltäglicher Gegenstände in monumentale Kunst bringt westafrikanische Rhythmen direkt ins traditionsreiche Opernhaus.

Warum gerade diese Materialien? Anatsui macht die unsichtbaren Geschichten globaler Verflechtungen sichtbar - ein starker Kontrast zum luxuriösen Ambiente der Staatsoper.

Weltstar mit Goldener Löwe-Auszeichnung

El Anatsui gilt als einer der einflussreichsten zeitgenössischen Bildhauer weltweit. Seine riesigen Wandskulpturen aus Flaschenverschlüssen, die an traditionelle Kente-Stoffe erinnern, machten ihn berühmt.

Seine wichtigsten Erfolge:
* Goldener Löwe der Biennale Venedig 2015
* Time Magazine's "100 einflussreichste Menschen" 2023
* Internationale Ausstellungen in den bedeutendsten Museen

Seine Berufung für den "Eisernen Vorhang" unterstreicht die globale Bedeutung dieses Projekts. Die hochkarätige Jury um Daniel Birnbaum, Bice Curiger und Hans-Ulrich Obrist traf eine visionäre Wahl.

Geschichtsbewusste Kunst über NS-Vorhang

Das Projekt "Eiserner Vorhang" läuft seit 1998 und hat besonderen historischen Bezug. Anatsuis Werk verdeckt den denkmalgeschützten Originalvorhang von Rudolf Eisenmenger aus der NS-Zeit.

Staatsoperndirektor Bogdan Roščić betont die Bedeutung für die Gedenkjahre 2025: "80 Jahre Kriegsende und 70 Jahre Staatsvertrag - diese Installation trägt zur kritischen Auseinandersetzung mit unserer Geschichte bei."

Die technische Umsetzung erfolgt schonend: Das Großbild wird auf PVC-Netz gedruckt und magnetisch befestigt. Der historische Originalvorhang bleibt unberührt.

Dialog zwischen Welten

"XOHANAMI" ist mehr als Dekoration - es ist politisches Statement. Anatsuis Kunst aus globalem Konsummüll fordert die europäische Hochkultur heraus. Seine Materialien erzählen Geschichten von Handel, Ausbeutung und Transformation.

Nach Pipilotti Rists farbenfrohen Arbeiten setzt die Staatsoper nun auf postkoloniale Reflexion. Der Künstler schuf zusätzlich limitierte Holzschnitt-Editionen basierend auf seinen Installationsfiguren.

Hunderttausende Besucher werden bis Juni 2026 diese außergewöhnliche Begegnung erleben. Die Wiener Staatsoper beweist erneut: Sie ist nicht nur Ort musikalischer Exzellenz, sondern lebendiger Schauplatz zeitgenössischer Kunstdiskurse.