Die Einführung des neuen EU-Biometrie-Systems EES stürzt Europas Flughäfen ins Chaos. Kurz vor einer kritischen Verschärfung warnen Flughafenbetreiber vor Sicherheitsrisiken und dreistündigen Wartezeiten.

Brüssel – Ausgerechnet zur Hauptreisezeit droht an Europas Grenzen der digitale Kollaps. Das neue biometrische EU-Einreisesystem EES (Entry-Exit System), das seit Oktober 2025 physische Passstempel ersetzt, verursacht massive Betriebsstörungen. Die Flughafenvereinigung ACI Europe warnt heute vor einem "operativen Albtraum" und fordert einen sofortigen Stopp der geplanten Verschärfung am 9. Januar 2026.

Operativer Albtraum: Dreistündige Wartezeiten drohen

Die Bilanz nach zwei Monaten Probebetrieb ist verheerend. An wichtigen Drehkreuzen in Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien haben sich die Bearbeitungszeiten laut ACI Europe um bis zu 70 Prozent verlängert. In Stoßzeiten warten Reisende bereits jetzt bis zu drei Stunden.

"Es entsteht erhebliches Unbehagen für die Reisenden, und der Flughafenbetrieb wird beeinträchtigt", sagt Olivier Jankovec, Generaldirektor von ACI Europe. Die Situation an manchen Grenzübergängen grenze an "Chaos". Die Organisation, die über 600 Flughäfen vertritt, fordert die EU-Kommission und die Schengen-Staaten auf, den Zeitplan dringend zu überdenken.

Das Kernproblem: Die Technik versagt regelmäßig. Selbstbedienungsterminals, die den Prozess beschleunigen sollen, fallen wegen "regelmäßiger Systemausfälle" und "anhaltender Konfigurationsprobleme" aus. Grenzbeamte müssen dann Fingerabdrücke und Gesichtsbilder manuell erfassen – ein mühsamer Prozess, der viel länger dauert als die traditionelle Passkontrolle.

Biometrie-Bottleneck: Warum die Technik streikt

Das EES soll die Sicherheit erhöhen, indem es die Ein- und Ausreise von Drittstaatsangehörigen digital erfasst. Bei der ersten Einreise müssen vier Fingerabdrücke und ein Gesichtsbild gespeichert werden. Die Daten bleiben drei Jahre in einer zentralen EU-Datenbank.

Doch genau diese biometrische Erfassung wird zum Nadelöhr. Die Scanner benötigen hochwertige Eingaben. Bei schlechter Beleuchtung oder ungünstiger Positionierung muss der Vorgang wiederholt werden. Die versprochene Vorregistrierungs-App, die Wartezeiten verkürzen sollte, ist in vielen Ländern noch nicht effektiv verfügbar.

Cybersicherheitsexperten warnten seit langem vor den logistischen Risiken solcher Massendatensammlungen. Die aktuellen Ausfälle deuten darauf hin, dass die Infrastruktur der EU-Agentur eu-LISA unter der Last zusammenbricht – eine gefährliche Schwachstelle für die Systemsicherheit.

9. Januar 2026: Die tickende Zeitbombe

Die eigentliche Krise steht erst bevor. Bisher gilt eine Übergangsregel: Nur etwa 10 Prozent der Reisenden müssen die volle Biometrie-Registrierung durchlaufen. Ab 9. Januar 2026 soll dieser Anteil auf 35 Prozent steigen.

"Diese Erhöhung wird unweigerlich zu viel schwerwiegenderen Staus und systemischen Störungen führen", warnt Jankovec. Die daraus resultierende Überfüllung in den Terminals berge "ernsthafte Sicherheitsrisiken" für Passagiere und Personal. ACI Europe fordert "zusätzliche Flexibilität" – also eine Aussetzung der Verschärfung, bis die Technik stabil läuft.

Brüssel beschwichtigt – Flughäfen schlagen Alarm

Während in den Terminals die Alarmglocken schrillen, gibt sich Brüssel gelassen. Ein Sprecher von EU-Innenkommissar Magnus Brunner bezeichnete die Einführung am Wochenende als "reibungslos und gut gemanagt". Es gebe "positive und ermutigende" Rückmeldungen der Mitgliedstaaten.

"Anlaufschwierigkeiten" seien bei jedem großen IT-Projekt normal, so die Kommission. Der Zeitplan für die vollständige Implementierung bis 10. April 2026 stehe. Dieser Gegensatz zwischen der "reibungslosen" offiziellen Darstellung und dem "Chaos" an den Flughäfen sorgt für eine angespannte Pattsituation zum Höhepunkt der Reisesaison.

Hintergrund: Das milliardenschwere Digitalgrenzen-Projekt

Das EES sollte eigentlich schon 2022 starten, wurde aber wegen technischer Probleme mehrfach verschoben. Es ist Teil des "Smart Borders"-Pakets der EU, zu dem auch das kommende ETIAS-Reisegenehmigungssystem für Länder wie die USA und Großbritannien gehört.

Die aktuelle Krise offenbart den grundlegenden Zielkonflikt moderner Grenzkontrollen: die Abwägung zwischen biometrischer Überwachung und operativer Effizienz. Während das EES Sicherheitslücken schließen soll, hinkt die technische Realität den politischen Ambitionen hinterher.

Für Reisende aus Drittstaaten (inklusive UK, USA und Kanada) gelten bis auf Weiteres dringende Empfehlungen:
* Planen Sie an der Grenzkontrolle mindestens eine Stunde Extrazeit ein.
* Vermeiden Sie enge Anschlussflüge, die die Passkontrolle erfordern.
* Achten Sie bei der Ankunft auf Flughafendurchsagen zum EES-Status.

Die kommenden Wochen werden zeigen, ob das EES zum Vorzeigeprojekt digitaler Grenzsicherung wird – oder zum Lehrstück über überstürzte Technologieeinführung.