Dubiose Post vom Wertpapierkonto (Stichwort SRD2)
Die prekären Wirkungen der neuen EU-Aktionärs-Richtlinie auf Aktiengesellschaften, deren Aktionäre, auf heimische Banken und den Kapitalmarkt – eine Recherche zu einer Reihe verwirrender Schockbriefen an Wertpapierdepotkunden.
Österreichische Wertpapierbesitzer wurden in den vergangenen Wochen durch überraschende Mitteilungen ihrer Hausbank aufgeschreckt. Da gab es (unbegründete) Ankündigung an Aktionäre, die ihnen gutgeschriebenen Dividenden oder Kapitalrückzahlungen würden wieder storniert. Da gab es auch Mitteilungen mit stark differierenden Abrechnungskursen bei ein und demselben Wertpapier innerhalb Tagesfrist - Botschaften, die das Vertrauen von Aktionären in ihre Bank und in den Kapitalmarkt keineswegs fördern.
Im Interesse der Aufrechterhaltung des mühsam bewahrten positiven Images des Kapitalmarktinstruments Aktie in Österreich wird im Folgenden den Ursachen und Wirkungen dieser unglücklichen Praxis seitens heimischer Geldinstitute nachgegangen.
Beispiele dafür gibt es schwarz auf weiß: Stornoankündigungen für gutgeschriebene Dividenden, Kapitalrückzahlungen ohne Angabe des Grundes oder in Tagesfrist stark voneinander abweichende Informationen über den Abrechnungskurs der zugrundeliegenden Wertpapiere. Wenn dann die durch solche Mitteilungen heimgesuchten und entsprechend verunsicherten Wertpapierbesitzer bei Ihrer Bank nachfragen, was hinter diesen unverständlichen Nachrichten stecke, hören sie immer dieselbe Begründung: „Das schreibt uns die neue EU-Aktionärs-Richtlinie so vor. Dagegen können wir nichts tun!“
Zwar entschuldigen sich Banken bei einschlägigen Beschwerdefällen für ihre falschen oder verwirrenden Nachrichten, doch sie weigern sich hartnäckig, diesen Unsinn aus ihrem Haus, mit welchem sie ihre Kunden aufgeschreckt haben, abzustellen. Sie betonen wie aus einem Mund, was Brüssel vorschreibt, dürfe man bankseitig nicht konterkarieren.
Die Geschäftsbanken beklagen sich ständig: Es wisse ja schon jeder, dass sie durch MiFID II, Basel III, WAG 2018, durch die neue EU-Aktionärs-Richtlinie und Dutzende andere bankbezügliche Vorschriften gezwungen werden, ihre Geschäftsmodelle radikal umzustellen.
Doch durch die geschilderten Schockmeldungen werden Bankkunden mehr verunsichert, als besser und früher informiert. Höherer Anlegerschutz und mehr Transparenz im Wertpapiergeschäft sehen jedenfalls anders aus als die oben zitierten Beispiele zeigen.
Verantwortung wird den AGs zugeschoben.
Meine Bank, bei der ich mich mehrfach über teils falsche, teils widersprüchliche Mitteilungen zu meinem Wertpapierkonto beschwert und ein Abstellen der Tatarennachrichten verlangt habe, schrieb kaltschnäuzig: „Leider kann es dazu kommen, dass neue Informationen einen Stornobrief und eine neuerliche Bestätigung bewirken – dies können wir auch in Hinkunft nicht unterbinden. Das jeweils älteste Schreiben gilt, darüber hinaus kann die Höhe der Dividende der Buchung, die in jedem Fall korrekt war, auch der Homepage der jeweiligen Aktiengesellschaft entnommen werden . . . Bitte um Verständnis und abschließende Kenntnisnahme, dass Ihre Beschwerde aus unserer Sicht nunmehr auskorrespondiert ist und wir zu diesem Sachverhalt nicht mehr weiter Stellung nehmen werden.“ Das bedeutet wohl „friss Vogel oder stirb!“
Manche heimische Banken schieben die Verantwortung für ihre dubiosen Mitteilungen auf die dividenden-auszahlenden Gesellschaften ab. Sie behaupten: Oft würde es dort bei der Berechnung und Überweisung von Dividenden oder Kapitalrückzahlungen Unklarheiten geben, und das müssten die Aktionäre sofort brühwarm erfahren. Doch die so belasteten Aktiengesellschaften wehren sich gegen solche Vorwürfe; und bezichtigen ihrerseits die Banken der Verbreitung von Unwahrheiten. Solche Grabenkämpfe, Banken gegen Aktiengesellschaften, sind in jüngster Vergangenheit mehrfach ausgefochten worden. Einschlägige Fälle gab es im laufenden Jahr bei Dividendenzahlungen der VIG, der Immofinanz und der AT&S. Die Investors-Relations-Verantwortlichen aller drei Gesellschaften haben gegenüber ihren verunsicherten Aktionären erklärt, dass es keinen Grund gegeben habe, dass Banken ihre Auszahlungen stornieren wollten.
Ist wieder einmal Brüssel schuld?
Aus dieser Kontroverse ist zu schließen: Wenn weder die betroffenen Aktiengesellschaften noch die Wertpapierbanken für die Versendung von prekären Mitteilungen an Wertpapierbesitzer verantwortlich sind, bleiben nur noch die Vorschriften der neuen EU-Aktionärs-Richtlinie als Hauptschuldige des Debakels übrig.
Die Richtlinie RL 2017/828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2017 (kurz SRD2) ist in Österreich im September 2020 in Kraft getreten. Ihre konkreten Auswirkungen wurden für Aktienbesitzer allerdings erst im heurigen Frühjahr spürbar.
Zwischen 2017 und 2020 ist die RL in österreichisches Recht umgesetzt worden. Sie ist nicht die erste ihrer Art. Die EU hat bereits zehn Jahre zuvor die „RL 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre“ beschlossen. Hauptadressat der alten und neuen Aktionärs-Richtlinie ist, wie man aus ihrem Zusatz erfährt, der aktive, gut orientierte und vertrauensvolle Aktionär.
Ziele der neuen EU-Aktionärs-Richtlinie:
• Aktionäre, die in der letzten Finanzkrise die kurzfristige Aktienspekulation bevorzugt hatten, sollen nun in die Richtung eines langjährigen, vertrauten und engagierten Verhältnisses zu jenen Gesellschaften geführt werden, deren Aktien sie besitzen.
• Zu diesem Zweck soll ein moderner Rechtsrahmen sowohl für aktive Aktionäre als auch für agile überlebensfähige Aktiengesellschaften zur Verfügung stehen.
•. Diese sollen sich eingehender als bisher über ihre Aktionäre informieren, sie besser identifizieren und mit ihnen einfacher und direkt kommunizieren können; zwischen beiden Partnern soll eine verlässliche Transparenz aufgebaut werden.
• Gleichzeitig sollen klare, moderne Regeln zur professionellen und gesetzeskonformen Unternehmensführung, eine solide Corporate Governance, zustande kommen.
•. Zwischen Aktiengesellschaften und Aktionären bzw. deren Wertpapierdepots ist eine Kette leistungsfähiger und verlässlicher Zwischenstufen, sogenannte Intermediäre, eingebaut. Um den Datenfluss vom einen zum anderen Ende dieser Kette schnell und verlässlich zu steuern, sind moderne digitale Systeme nötig.
Welche Rolle spielt SWIFT?
In Österreich haben die Banken diese Aufgabe an SWIFT (= Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication) ausgelagert. Dieses weltweit tätige System steuert die Daten aller Finanztransaktionen. SWIFT wird fast von allen Banken der Erde als technisches System für die Weitergabe von Finanzdaten verwendet. Es kann deshalb als Quelle der dubiosen Fehlinformationen österreichischer Banken an ihre Depotkunden ausgeschieden werden.
Die derzeit brandheiße Frage lautet: Wer wird künftig dafür sorgen, dass nur noch geprüfte, korrekte, verständliche und kapitalmarktrelevante Meldungen von Aktiengesellschaften über die Kette der Intermediäre bis zum einzelnen Aktionär fließen und dass künftig alle missverständlichen, unbegründeten Doppelmeldungen mit endlosen gegenseitigen Berichtigungen unterbunden werden?
Der Kapitalmarkt, darüber sind sich alle Beteiligten einig, bedarf in der andauernden Krise professioneller Umgangsformen und ebenso fehlerloser Regeln, die Vertrauen schaffen und nicht zerstören, wie es den oben zitierten Bankmitteilungen vorgeworfen wird.
Die Antworten der Experten auf diesen Vorhalt sind unbefriedigend; und stellen der heimischen Finanzbranche und deren Pflichten gegenüber den Investoren kein positives Zeugnis aus.
Ausreden, Unzuständigkeiten, Beschönigungen.
Die Bundessparte Bank und Versicherung in der Wirtschaftskammer Österreich bedauert: „Der BSBV sind bisher weder von Kunden- noch von Emittentenseite diesbezügliche Beschwerden bekannt geworden.” Sie verweist auf die lange Kette der Intermediäre - vom Zentralverwahrer bis zur Depot-führenden Bank und den Aktienbesitzern - die Informationen von Aktiengesellschaften an ihre Aktionäre weiterleiten. Sie beschwichtigt: „Gibt es bei diesen Informationen Änderungen, sind auch diese durch die Intermediärskette weiterzuleiten. So kann es sein, dass zu einem Unternehmensereignis mehrere Informationen ausgesendet werden. Seit Inkrafttreten der Bestimmungen im Börsegesetz bzw. in der Durchführungsverordnung (der EU-Aktionärs-Richtlinie) werden dem Aktionär mehr Informationen zu Hauptversammlungen und anderen Unternehmensereignissen übermittelt.” Die BSBV sieht in dieser Komplexität einen Vorteil für Aktionäre; in der täglichen Praxis bewirkt sie jedoch das genaue Gegenteil.
Die Wiener Börse entschlägt sich jeder Antwort zum Thema; sie sei für die Beziehung der Banken zu ihren Kunden nicht zuständig. Auch die Schlichtungsstelle der Banken bezeichnet sich als unzuständig; sie werde nur dann tätig, wenn es um finanzielle Schäden im Verkehr zwischen Banken und Kunden gehe. In den aufgezeigten Fällen handle es sich jedoch um einen ideellen Schaden den guten Ruf des Systems betreffend. Da könne sie nicht eingreifen.
Auch die Finanzmarktaufsicht (FMA) winkt ab: „Nach den vorliegenden Informationen liegt kein Verstoß gegen aufsichtsrechtliche Bestimmungen vor . . . Da der Gesetzgeber Beschwerdeführern in den von der FMA geführten Prüfungs- und Verwaltungsstrafverfahren keine Parteistellung und auch kein Recht auf Akteneinsicht einräumt und die Organe und Mitarbeiter der FMA dem gesetzlichen Amtsgeheimnis unterliegen, können wir Ihnen keine über diese Information hinausgehenden Auskünfte zum Ermittlungsverfahren bzw. dessen Ergebnis erteilen.“
Für die Bankprüfer der Oesterreichischen Nationalbank sind die prekären Bankinformationen an Aktionäre ebenfalls kein Thema. Einschlägige Rechercheersuchen blieben unbeantwortet. Auch die Oesterreichische Kontrollbank, die das Wertpapiergeschäft im Land überwacht, fühlt sich unzuständig: „Wir haben kein Privatkundengeschäft und beurteilen auch nicht die Kommunikationspolitik der Geschäftsbanken mit ihren Kunden”, heißt es in einer Stellungnahme. Die OeKB verweist verunsicherte Aktionäre zurück an die Geschäftsbanken.
Die Schlussfolgerung aus dem Vorstehenden lautet: Private Kleinaktionäre finden in der Republik Österreich so gut wie keine Instanz, die ernsthaft ihre Interessen vertritt. Eine Ausnahme ist der IVA.
Der private Interessenverband der Aktionäre, der sich heimischer Kleinaktionäre ernsthaft annimmt, zeigt sich über die teils falschen, teils verwirrenden Mitteilungen von Banken an Wertpapierkunden enttäuscht. Vorstand Florian Beckermann stellt bisher allerdings keine große Beschwerdeflut seiner Mitglieder aus diesem Grund fest. Sein Statement: „Der IVA befürwortet die Idee der SRD2 grundsätzlich. Allerdings ist die technische Umsetzung noch immer nicht ganz friktionsfrei. Der Verwaltungsaufwand zur Umsetzung der Richtlinie hat bisher zu verbreiteter Verärgerung geführt, nicht zuletzt weil die Kosten dafür dem Aktionär umgehängt werden. Wenn dann eine schlechte Verwaltungsqualität dazu kommt, ist der Ärger verständlich. Der IVA bekämpft diese (Kosten-)Entwicklung bei Banken seit Inkraftsetzung der SRD2. Weiters sind wir an den Diskussionen um ein Update der Richtlinie auf europäischer Ebene beteiligt.“
EU-Kommission bleibt in Deckung.
Der obige Vorschlag eines praxistauglichen Updates der EU-Aktionärs-Richtlinie lässt die Hoffnung keimen, dass sie bald derart ausgestaltet wird, dass sie ihren hochgesteckten Zielen gerechter wird, als es derzeit der Fall ist. Man erhält allerdings den Eindruck, dass in Brüssel wirklichkeitsferne EU-Beamte im Elfenbeinturm blasser Theorien einen Richtlinientext ausgearbeitet und zur Abstimmung gebracht haben, jedoch dessen Auswirkungen in der Praxis noch nicht auf Verwendbarkeit im Tagesgeschäft untersucht haben. Ist das Sorglosigkeit oder gezielte Absicht?
Bei der SRD2 ist es leider ganz anders als bei vielen anderen EU-Richtlinien vorgesehen: Es ist offiziell keine Prüfung auf ihre Praxistauglichkeit vorgesehen. Zudem sind die Brüsseler Experten für die Themen Finanzdienstleistungen, Banken und Kapitalmarkt auf Anfrage nicht bereit, sich zu den klar hervortretenden Schwächen ihrer Richtlinie, geschweige denn zu deren Anpassungsnotwendigkeit zu äußern. Einschlägige Anfragen an die EU-Kommission, wann und wie die SRD2 innerhalb der Informationskette von den Aktiengesellschaften bis zu den einzelnen Aktionären funktioneller und überzeugender ausgestaltet werden müsste, um ihren Zielen nachzukommen, werden von Brüssel nicht beantwortet.
Schlussfolgerungen.
Wir haben es mit einer typischen Schwäche unserer Zeit zu tun, die sich auch bei anderen Herausforderungen unserer Zeit zeigt: Lebensferne Bürokraten entwerfen in Wolkenkuckucksheim Regeln und setzen sie in Kraft, ohne deren praktische Wirkung sowie die Art ihrer Umsetzung zur Erreichung ihrer politischen Ziele zu prüfen.
Bei der EU-Aktionärs-Richtlinie kommt hinzu, dass sie eine Flut bedenklicher oder falscher Mitteilungen auslöst, die die Adressaten verunsichert und wachsendes Misstrauen weckt. Im kritiklos ausgesendeten Finanzmarkttratsch gehen die wirklich wichtigen, entscheidungsrelevanten Informationen unter, offenbar nach dem Motto „Menge schlägt Qualität“. Die Banken setzen die Umsetzung geistleerer Regeln fort und kassieren dafür steigende Kontogebühren, statt sich um brauchbare Inhalte ihrer Enunziationen zu kümmern. Wer wird diese Desinformationskette brechen und wieder echtes Vertrauen in den Kapitalmarkt bringen?
Die Richtlinie im Amtsblatt der EU
Aus dem Börse Express-PDF vom 19. November - hier zum kostenlosen Download.
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