Die Zinswende, die keine war – und was das über unsere Wirtschaft verrät

Guten Tag,

während in Washington der längste Regierungs-Shutdown der US-Geschichte mit einem 60:40-Senatsvotum seinem Ende entgegengeht, offenbart sich in den Zahlen und Nachrichten dieser Woche ein bemerkenswertes Muster: Überall dort, wo Wirtschaft auf Politik trifft, herrscht derzeit eine merkwürdige Gleichzeitigkeit von Bewegung und Stillstand. Die Märkte reagieren, die Unternehmen passen sich an – doch die großen Fragen bleiben unbeantwortet.

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Drei Entwicklungen stechen besonders hervor: Ein Münchner Gericht zwingt OpenAI in die Knie und schreibt damit europäisches KI-Recht. Das BSI warnt vor wachsender digitaler Verwundbarkeit, während Cyberkriminelle ihre Methoden verfeinern. Und in Liverpool entsteht ein 278-Wohnungen-Turm, der symptomatisch für Europas Immobilienwende steht. Was diese drei Geschichten verbindet? Sie zeigen, wie sich die Spielregeln unserer Wirtschaft gerade neu sortieren.

Wenn Liedtexte zur Systemfrage werden

Das Landgericht München hat OpenAI eine juristische Ohrfeige verpasst, die weit über neun Liedtexte hinausgeht. Herbert Grönemeyers „Männer", Reinhard Meys „Über den Wolken", Helene Fischers „Atemlos" – ChatGPT hatte sie alle gespeichert und auf Anfrage ausgespuckt. Das Gericht sah darin einen klaren Urheberrechtsverstoß und verurteilte den US-Konzern zu Unterlassung, Schadenersatz und Offenlegung.

Die eigentliche Brisanz liegt jedoch in der Begründung: Die Richter werteten die Tatsache, dass ChatGPT trainierte Texte exakt reproduzieren kann, als Beweis für deren Speicherung – eine Memorisierung, nicht bloße Neuschöpfung. Diese Lesart könnte zur Blaupause für ganz Europa werden und die Machtverhältnisse zwischen Kreativwirtschaft und Tech-Giganten verschieben.

„Wenn man etwas bauen will und Bauteile braucht, dann erwirbt man sie und nutzt nicht das Eigentum anderer", fasste die Vorsitzende Richterin Elke Schwager zusammen. Eine simple Logik mit weitreichenden Folgen: Sollte die GEMA auch in letzter Instanz obsiegen, müssten KI-Entwickler künftig Lizenzen erwerben, bevor sie Werke zum Training nutzen. Das würde nicht nur Liedtexte betreffen, sondern potenziell alle urheberrechtlich geschützten Inhalte – von Literatur über Journalismus bis hin zu Fotografie.

Die Expertin Silke von Lewinski vom Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb sieht „grundlegende Bedeutung für alle Werke". OpenAI kündigte bereits an, das Urteil anzufechten. Doch unabhängig vom Ausgang: Europa hat gerade einen Präzedenzfall geschaffen, der zeigt, dass der Kontinent gewillt ist, eigene Regeln für die KI-Ökonomie zu schreiben – auch gegen den Widerstand Silicon Valleys.

Die unsichtbare Front: Deutschlands digitale Verwundbarkeit

Während OpenAI im Münchner Gerichtssaal kämpft, zeichnet das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ein beunruhigendes Bild der deutschen Cybersicherheit. Der aktuelle Jahresbericht spricht eine klare Sprache: Die Zahl täglich neu entdeckter Schwachstellen stieg zwischen Juli 2024 und Juni 2025 um 24 Prozent. Besonders im Visier: die öffentliche Verwaltung.

Die Zahlen offenbaren ein Paradox der Digitalisierung: Je vernetzter wir werden, desto verwundbarer sind wir. Webanwendungen sind laut BSI besonders häufig schlecht geschützt, Server oft falsch konfiguriert, bekannte Sicherheitslücken werden zu spät oder gar nicht geschlossen. Das Problem ist weniger technischer als organisatorischer Natur: Während große Betreiber ihre Schutzmaßnahmen ausbauen, fehlen kleineren und mittleren Unternehmen sowie Kommunen oft Ressourcen und Bewusstsein.

Bemerkenswert ist die Verschiebung der Bedrohungslandschaft. Finanziell motivierte Cyberangriffe gingen zwar um neun Prozent zurück – Erfolge internationaler Ermittlungen wie gegen die Ransomware-Gruppen LockBit und Alphv zeigen Wirkung. Doch staatlich gesteuerte Akteure füllen die Lücke mit komplexen, langfristig angelegten Attacken. Besonders perfide: die Zunahme von „Vishing"-Vorfällen, bei denen Kriminelle sich am Telefon als IT-Support ausgeben, um Zugang zu Firmennetzwerken zu erlangen.

Das BSI plant nun einen „Cyberdome" – ein teilautomatisiertes System zur Detektion und Abwehr von Angriffen. Doch die wahre Herausforderung liegt tiefer: Wie schafft man eine Kultur der digitalen Wachsamkeit in einer Wirtschaft, die unter Kostendruck steht? Die Antwort wird darüber entscheiden, ob Deutschland im globalen Technologiewettbewerb bestehen kann – oder ob wir uns selbst durch Nachlässigkeit aus dem Spiel nehmen.

Shutdown-Ende in Sicht: Was 42 Tage Stillstand über Amerikas Wirtschaft verraten

Mit einem 60:40-Votum hat der US-Senat am Montagabend einen entscheidenden Schritt zur Beendigung des längsten Regierungs-Shutdowns der amerikanischen Geschichte gemacht. Sieben zentristisch-demokratische Senatoren und der Unabhängige Angus King schlossen sich den Republikanern an, um eine Übergangsfinanzierung bis zum 30. Januar zu verabschieden. Sollte das Repräsentantenhaus am Mittwoch zustimmen, endet eine 42-tägige Periode, die mehr als eine Million Bundesbedienstete ohne Gehalt ließ und den Flugverkehr massiv störte.

Die Einigung offenbart jedoch mehr, als sie löst. Die Demokraten gaben ihre Kernforderung auf – die Verlängerung der Gesundheitssubventionen für einkommensschwache Haushalte –, ohne im Gegenzug Garantien zu erhalten. Lediglich eine Abstimmung im Dezember über die Obamacare-Subsidien wurde zugesichert, die aber wenig Aussicht auf Erfolg hat. Präsident Trump konnte sich durchsetzen, ohne substanzielle Zugeständnisse machen zu müssen.

Was bedeutet das für die Wirtschaft? Die unmittelbaren Schäden sind erheblich: Verzögerte Steuererklärungen, unterbrochene Lebensmittelhilfen, verschobene Infrastrukturprojekte. Doch die tieferen Narben sind struktureller Natur. Der Shutdown hat gezeigt, wie fragil die politischen Institutionen geworden sind – und wie sehr die Wirtschaft unter dieser Fragilität leidet. Unternehmen, die auf Planungssicherheit angewiesen sind, müssen nun damit rechnen, dass solche Blockaden zur Normalität werden.

Für europäische Unternehmen mit US-Engagement bedeutet das: politisches Risiko ist zurück. Die Zeiten, in denen man sich auf die Stabilität amerikanischer Institutionen verlassen konnte, sind vorbei. Wer in den USA investiert, muss künftig nicht nur Marktrisiken, sondern auch Governance-Risiken einpreisen.

Liverpool baut, London zögert: Die neue Geografie des britischen Immobilienmarkts

Während in Washington die Politik stillsteht, entsteht in Liverpool ein Symbol für Bewegung: Lighthaus, ein 31-stöckiger Wohnturm mit 278 Build-to-Rent-Apartments, ist fertiggestellt. Die ersten Bewohner ziehen noch im November ein. Das kanadische Investmenthaus Starlight Investments feiert die Vollendung als „wichtigen Schritt für Liverpools expandierenden BTR-Sektor" – und tatsächlich erzählt dieses Projekt eine größere Geschichte über die Neuordnung des britischen Immobilienmarkts.

Liverpool, einst Symbol industriellen Niedergangs, erfindet sich als Wohnstandort neu. Die Stadt liegt im Zentrum des 5-Milliarden-Pfund-Regenerationsprojekts Liverpool Waters, das 9.000 neue Wohnungen schaffen soll. Der Anteil privater Miethaushalte liegt bei 29 Prozent – doch das Angebot hält nicht mit der Nachfrage Schritt. Genau hier setzt das Build-to-Rent-Modell an: professionell verwaltete Mietwohnungen mit Concierge-Service, Fitnessstudio und Dachterrasse, die eine Alternative zum klassischen Eigenheim bieten.

Die Zahlen sprechen für sich: Starlight hat über 2.000 Wohnungen in Manchester, Leeds und Liverpool im Bau, weitere 2.000 in Südengland geplant. Das Unternehmen setzt auf „long-term investment, regional regeneration, and creating high-quality rental communities". Was auf den ersten Blick wie Immobilien-Marketing klingt, ist tatsächlich ein Strukturwandel: Die britische Mittelschicht gewöhnt sich an dauerhaftes Mieten – nicht aus Überzeugung, sondern aus Notwendigkeit.

Für kontinentaleuropäische Investoren ist das britische BTR-Modell ein Testlabor. Sollte es sich bewähren, könnte es auch in Deutschland Schule machen, wo die Wohneigentumsquote ohnehin niedriger liegt als in Großbritannien. Die Frage ist nur: Wollen wir eine Gesellschaft, in der institutionelle Investoren die Vermieter der Nation werden? Liverpool liefert gerade die Antwort – ob wir sie mögen oder nicht.

Was diese Woche wirklich zählt

Drei scheinbar unverbundene Geschichten – ein Urheberrechtsprozess, ein Cybersicherheitsbericht, ein Wohnturm in Nordengland – fügen sich zu einem Bild: Die Wirtschaft ordnet sich neu, und Europa sucht seinen Platz in dieser Neuordnung.

Das Münchner Urteil gegen OpenAI zeigt, dass der Kontinent gewillt ist, eigene Regeln für die digitale Ökonomie zu setzen. Das BSI mahnt, dass wir die Grundlagen dieser Ökonomie – sichere digitale Infrastrukturen – vernachlässigt haben. Und Liverpool demonstriert, wie sich Wohnen und Investieren verändern, wenn traditionelle Modelle nicht mehr funktionieren.

In der kommenden Woche richtet sich der Blick nach Lissabon, wo auf dem Web Summit vom 10. bis 13. November die globale Tech-Elite zusammenkommt. Dort wird sich zeigen, ob Europa seine regulatorische Offensive in strategische Stärke ummünzen kann – oder ob wir nur die Regeln schreiben, während andere das Spiel bestimmen.

Bis dahin wünsche ich Ihnen einen aufmerksamen Blick auf die Zwischentöne der Wirtschaft. Denn oft sagen die leisen Verschiebungen mehr über die Zukunft als die großen Schlagzeilen.

Mit besten Grüßen aus dem Newsroom,

Eduard Altmann