Deutschland: Digitaler Durchbruch oder neuer Anlauf?

Die Bundesregierung will Deutschlands Behörden-Chaos beenden: Das neue Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung (BMDS) verkündete diese Woche eine "Modernisierungsagenda", die endlich durchgängig digitale Verwaltung ermöglichen soll. Von der 24-Stunden-Firmengründung bis zur einmaligen Datenerfassung – kann Deutschland den digitalen Rückstand aufholen?
Der Zeitpunkt ist entscheidend. Während Bürger erstmals digitale Behördengänge bevorzugen, hinkt Deutschland bei der Verwaltungsdigitalisierung anderen EU-Staaten hinterher. Das neue Ministerium unter Digitalminister Karsten Wildberger soll sechs bisher getrennte Zuständigkeiten bündeln und das "Once-Only-Prinzip" durchsetzen: Einmal angegebene Daten müssen nie wieder eingereicht werden.
Neustart nach dem OZG-Debakel
Die Ausgangslage ist ernüchternd. Das Onlinezugangsgesetz (OZG) sollte bis Ende 2022 fast 600 Behördenleistungen online verfügbar machen – und scheiterte spektakulär. Jetzt übernimmt das im Mai 2025 gegründete BMDS die Führungsrolle und sammelt digitale Kompetenzen, die zuvor auf Kanzleramt, Innen-, Wirtschafts- und Justizministerium verteilt waren.
Das Rezept für den Neustart: der "Deutschland Stack". Diese gemeinsame digitale Infrastruktur soll interoperable Bausteine für alle Verwaltungsebenen bereitstellen. Statt dass jede Gemeinde eigene Lösungen entwickelt, entstehen standardisierte Komponenten für das gesamte Land.
Der Fokus liegt auf verbindlichen Standards und besserer Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern – zwei Schwachstellen, die das OZG zum Scheitern brachten.
Digitaler Ausweis: Smartphone statt Plastikkarte
Herzstück jeder digitalen Verwaltung ist die sichere Online-Identifikation. Hier macht Deutschland Fortschritte: Die BundID verzeichnet bereits zwei Millionen Logins monatlich und ermöglicht den Zugang zu Bundes-, Landes- und kommunalen Diensten über ein zentrales Konto.
Seit kurzem läuft zudem der bundesweite Rollout des Smartphone-Personalausweises. Diese Initiative ist Teil der EU-weiten digitalen Identität (EUDI-Wallet), die bis 2027 allen EU-Bürgern grenzüberschreitende digitale Services ermöglichen soll.
Parallel modernisiert Deutschland seine Registerlandschaft: Das Projekt "Registermodernisierung" will bis 2028 alle 214 öffentlichen Register vernetzen. Das Nationale Once-Only-Technical-System (NOOTS) soll den sicheren Datenaustausch zwischen Behörden ermöglichen – und Bürgern das zigfache Einreichen derselben Unterlagen ersparen.
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Kommunen zwischen Fortschritt und Überforderung
Der "eGovernment Monitor 2025" zeigt: Erstmals bevorzugen Bürger digitale Behördengänge gegenüber dem persönlichen Termin im Rathaus. Doch die Realität ist zweigeteilt. Während große Städte voranschreiten, kämpfen kleine Gemeinden mit den OZG-Anforderungen.
Eine aktuelle Studie der Hochschule Harz belegt: Kleine Kommunen empfinden die Digitalisierungspflichten eher als Belastung denn als Hilfe. Ressourcenmangel und unklare Zuständigkeiten bremsen den Fortschritt.
Hier soll OZG 2.0 ansetzen: statt Stückwerk durchgängige digitale Prozesse, statt Einzellösungen gemeinsame Standards. Ob die Modernisierungsagenda diese lokalen Hürden überwindet, entscheidet über Erfolg oder Scheitern.
Aufholjagd mit politischem Rückenwind
Deutschlands Verwaltungsdigitalisierung hinkt der wirtschaftlichen Stärke hinterher. Föderale Komplexität, fehlende zentrale Koordination und zu wenig Investition in Grundlagentechnologien verlangsamten jahrelang den Fortschritt. Der Digital Decade Report 2025 der EU-Kommission bestätigt: Deutschland muss bei digitalen Behördendiensten zulegen.
Die BMDS-Gründung und die Modernisierungsagenda sind das politische Eingeständnis dieser Defizite. Durch gebündelte Kompetenzen und Infrastrukturprojekte wie NOOTS und EUDI-Wallet setzt die Regierung auf systemische Erneuerung statt Flickwerk.
Die nächsten 24 Monate entscheiden
Ambitionierte Ziele brauchen messbare Erfolge. Die 24-Stunden-Firmengründung und das vollständige Once-Only-Prinzip sind hohe Versprechen. Entscheidend werden die kommenden zwei Jahre: Smartphone-Ausweis, NOOTS-Anbindung weiterer Register und die Praxistests der EUDI-Wallet in Sachsen.
Am Ende zählen konkrete Verbesserungen für Bürger und Unternehmen: weniger Formulare, kürzere Bearbeitungszeiten, transparentere Kommunikation. Die größte Verwaltung Europas zu transformieren ist eine Mammutaufgabe – doch der politische Wille und die strategische Neuausrichtung bieten die beste Chance seit Jahren, Deutschlands digitalen Rückstand aufzuholen.