Deutschland: Digitale Verwaltung bleibt Flickwerk

Die deutsche Verwaltung kämpft weiterhin mit ihrer digitalen Transformation. Trotz neuer Gesetze und politischer Versprechen hinkt Deutschland seinen europäischen Nachbarn hinterher – mit gravierenden Folgen für die Wirtschaftskraft.
Bürger und Unternehmen erleben täglich die Realität: Während andere EU-Länder längst umfassende Online-Services bieten, scheitert Deutschland noch immer an grundlegenden strukturellen Problemen. Das komplexe Föderalismussystem, fehlende einheitliche Strategien und veraltete IT-Systeme bremsen jeden Fortschritt aus.
Das kürzlich in Kraft getretene Onlinezugangsgesetz 2.0 (OZG 2.0) sollte Abhilfe schaffen. Doch Experten warnen: Ohne einen fundamentalen Kulturwandel in den Behörden droht Deutschland im digitalen Zeitalter weiter zurückzufallen.
OZG 2.0: Neuer Anlauf mit alten Problemen
Das ursprüngliche Onlinezugangsgesetz verfehlte sein Ziel spektakulär. Bis Ende 2022 sollten 575 Verwaltungsleistungen online verfügbar sein – doch nur ein Bruchteil wurde tatsächlich bundesweit digitalisiert.
Die Nachfolgeversion OZG 2.0 setzt nun auf weniger, dafür wirkungsvollere Services. Außerdem erhalten Bürger künftig einen Rechtsanspruch auf digitale Bundesservices. Klingt gut – doch die Kritik bleibt berechtigt.
Denn viele vermeintlich "digitale" Angebote sind nur Online-Formulare, die analoge Prozesse anstoßen. Was nützt der beste Webauftritt, wenn dahinter weiterhin Papierberge und Faxgeräte das Tempo bestimmen?
Föderalismus als Digitalbremse
Deutschlands dezentrale Struktur wird zur digitalen Falle. Bund, Länder und Tausende Kommunen werkeln an eigenen IT-Lösungen – das Ergebnis ist ein Flickenteppich unterschiedlichster Standards und Qualitäten.
Was in München funktioniert, scheitert in Hamburg. Der eigentlich sinnvolle "Einer für Alle"-Ansatz – ein Land entwickelt, alle anderen übernehmen – versandet an mangelnder Koordination und technischer Inkompatibilität.
Die Quittung kommt prompt: Im europäischen Vergleich der E-Government-Services dümpelt Deutschland weiter im unteren Mittelfeld. Die Europäische Kommission bescheinigt der Bundesrepublik bei digitalen Bürgerdiensten Werte unter dem EU-Durchschnitt.
Das Datenchaos: Register-Modernisierung im Schneckentempo
Kernstück einer echten Digitalverwaltung wäre das "Once-Only"-Prinzip: Bürger geben ihre Daten nur einmal ein, Behörden teilen sie dann sicher untereinander. Doch genau hier liegt das Problem.
Deutschland besitzt über 350 verschiedene Register-Arten – von Einwohnermeldeämtern bis zu Fahrzeugregistrierungen. Die meisten können nicht miteinander kommunizieren. Die längst überfällige Registermodernisierung kommt nur schleppend voran.
Ohne diese digitale Grundlage bleiben selbst die besten Online-Portale Luftschlösser. Sachbearbeiter müssen weiterhin manuell Daten abgleichen, die längst irgendwo im System vorhanden sind.
Kulturwandel statt Geldschein
Die Ursachen reichen tiefer als reine Technikprobleme. Über 80 Prozent der Hindernisse sind organisatorischer Natur – ein risikoaverser Beamtenapparat, komplexe Datenschutzgesetze und IT-Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst.
Mehr Budget allein hilft nicht. Deutschland braucht einen Mentalitätswandel in den Verwaltungen. Während Estland nahezu alle Bürgerdienste problemlos online anbietet, hadert die größte EU-Volkswirtschaft noch mit digitalen Grundlagen.
Wirtschaftsverbände schlagen Alarm: Die ineffiziente Verwaltung bremst Investitionen und schadet der Standortattraktivität. Eine aktuelle eco-Umfrage zeigt – die überwältigende Mehrheit der Deutschen sieht keinerlei Fortschritte bei der Verwaltungsdigitalisierung.
Zeitdruck steigt
Die kommenden Jahre werden entscheidend. Das OZG 2.0 schafft den rechtlichen Rahmen – doch die Umsetzung hängt vom politischen Willen ab. Bis die Länder zur einheitlichen BundID verpflichtet werden, sollen nur drei Jahre vergehen.
Der Schlüssel liegt in der Registermodernisierung und der Überwindung föderaler Grabenkämpfe. Ohne echte Kooperation aller Staatsebenen bleibt Deutschlands Digitalverwaltung ein Ärgernis – und ein Wettbewerbsnachteil im internationalen Vergleich.