Vor 99 Jahren brachte die Deutsche Reichsbank die Hundert Billionen Mark Note heraus. Der höchste je in Deutschland ausgegebene Geldschein. Wenige Wochen später erreichte die Inflation im Deutschen Reich Ihren Höhepunkt. Am 2. Dezember 1923 wurde ein Dollar zu 4,21 Billionen Reichsmark gehandelt. Im Deutschen Reich herrschte zu diesem Zeitpunkt Hyperinflation. Von einer Hyperinflation sprechen Ökonomen ab einer Verteuerung von 50 Prozent im Monat. In der Endphase betrug die Inflationsrate 1923 zigtausend Prozent pro Monat.

Im täglichen Leben kam es immer häufiger zu völlig absurden Situationen. Da bestellte man im Café zwei Tassen Kaffee für je 5000 Mark und erhält am Ende eine Rechnung über 14.000 Mark. In der Zwischenzeit war der Preis gestiegen, man hätte beide Tassen gleichzeitig bestellen müssen. Neben der Reichsdruckerei waren zeitweise über 130 weitere Betriebe damit beschäftigt Geldnoten herzustellen. Insgesamt waren bis zu 1783 Pressen im Einsatz. Angestellte brachten Rucksäcke mit zum Gehaltsbüro, um das Geld zu verstauen und danach sofort auszugeben. Viele Betriebe zahlten den Arbeitern ihren Lohn bereits jeden Morgen aus. Ihre Frauen warteten am Werkstor, nahmen das Geld in Empfang und eilten in die Geschäfte. Spätestens wenn mittags der neue Dollarkurs veröffentlicht wurde, war das Geld wieder weniger Wert.

Deutschland befand sich im geldpolitischen Ausnahmezustand.

„Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen“, lautete der Gassenhauer jener Tage. Deutschland befand sich über Monate in einem geldpolitischen Ausnahmezustand. Die Menschen prassten und lebten in den Tag hinein, eine regelrechte Kaufpanik hatte die Bevölkerung erfasst. Denn Ware war ausreichend vorhanden, es fehlte nur das stabile Geld, um sie zu kaufen. Das Einzige, was wirklich zählte waren Sachwerte: Diamanten und Münzen, aber auch Antiquitäten, Kunst und natürlich Devisen. Die Dummen waren all jene, die über Geldvermögen verfügten. Die Sparer, die Inhaber von Staatsanleihen oder die Rentner, die Einkommen bezogen, ohne zu arbeiten. Große Teile der Mittelschicht wurden praktisch über Nacht enteignet. Getroffen wurden auch die Aktionäre. Zwar vervielfachten Aktien in die Inflationsphase innerhalb weniger Monate ihren Wert, gaben die Gewinne danach aber auch genauso schnell wieder ab. Wer allerdings diese Ausschläge durchhielt, konnte in der Hyperinflation mit Aktien sein Vermögen zumindest zum Teil erhalten.

Die Vampir-Note.

Angefangen hatte es vergleichbar harmlos mit der Einführung der Vampir-Note durch die Deutsche Reichsbank. Im Januar 1922 wurde erstmals ein 10.000 Mark-Schein in Umlauf gebracht. Es war die Banknote mit dem bis dahin höchsten Wert. Die Note wurde eingeführt als die Inflation im Deutschen Reich langsam vom Trab in den Galopp wechselte. Ab 20 Prozent Teuerung im Monat spricht man von galoppierender Inflation. Bei der Einführung konnte man sich damit auch tatsächlich noch einiges kaufen. Er entsprach zu jenem Zeitpunkt immerhin etwas mehr als 50 Dollar. Im Volksmund nannte man den Schein die Vampir-Note. Auf dem Schein war Albrecht Dürers „Bildnis eines jungen Mannes“ von 1507 abgebildet. An der rechten Seite des Halses wurden jedoch, ob aus Absicht ist nicht bewiesen, einige Striche hinzugefügt. Sie bewirkten, dass viele bei einer Drehung des Bildes um 90 Grad nach links an dieser Stelle nun etwas ganz anderes zu erkennen glaubten: den Kopf eines Vampirs. Eine treffende Metapher für das, was den Deutschen in den folgenden Monaten bevorstand. Die Inflation saugte langsam das Vermögen der Deutschen auf. Schon im Oktober 1922 war der 10.000 Mark Schein keine zwei Dollar mehr wert. Im November brachte die Reichsbank den 50.000 Mark Schein in Umlauf

Inflation ist eine deutsche Urangst.

Die Hyperinflation des Jahres 1923 hat sich tief ins kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt. Seitdem ist der Wertverlust des Geldes eine deutsche Urangst. Selbst 100 Jahre später hat die Hälfte der Deutschen aktuell Angst durch Inflation ihr Geld zu verlieren. Dabei sind die derzeitigen Inflationsraten nicht im Ansatz mit der damaligen Situation zu vergleichen. Viele Jahre spielte die Inflation in Deutschland kaum eine Rolle. Denn die Teuerungsraten waren niedrig. Erst im Aufschwung nach dem Corona-Tief änderte sich das. Insbesondere Energiepreise steigen spürbar, Materialknappheit und Lieferengpässe verteuern viele Produkte. Mittlerweile sind sich die Ökonomen einig, die Inflation ist gekommen, um zu bleiben. Allerdings scheint der Höhepunkt in diesem Jahr erreicht. Für das folgende Jahr sieht eine Mehrheit der Prognoseinstitute bereits fallende Inflationsraten. Denn der restriktive Kurs der Notenbanken zeigt Wirkung und letztlich greift die Börsenweisheit: „Rezession frisst Inflation“.

Ausweg war eine Währungsreform.

Eine Hyperinflation kann man allerdings durch konventionelle Mittel nicht mehr einfangen. Kurze Zeit nach Einführung der Hundert Billionen Mark Note wurde mit der Rentenmark eine neue Währung geschaffen. Es hieß, die neue Währung sei gedeckt durch den Grundbesitz der Industrie und der Landwirtschaft. Das war natürlich Fiktion, kein Unternehmer oder Bauer hätte seinen Besitz für Geld gegeben. Aber es wirkte, die Deutschen sehnten sich nach Stabilität und vertrauten der neuen Währung. Gewinner waren jetzt alle, die hoch verschuldet waren. Allen voran der Staat. Gemäß dem Grundsatz „Mark = Mark“ konnten Kredite, die bei einem stabilen Kurs aufgenommen worden waren, mit entwerteter Währung zurückgezahlt werden. Kriegsschulden des Staates in Höhe von 154 Milliarden Mark beliefen sich, als am 15. November 1923 die neue Währung Rentenmark eingeführt wurde, auf gerade einmal 15,4 Pfennige. Wer sich etwa 1921 für ein Haus oder anderweitigen Grundbesitz verschuldet hatte, der war über Nacht seine Schulden los. Durch die Währungsreform wurde die Hyperinflation beendet.

Bargeld ist bedrucktes Papier.

Ab Oktober 1924 galt die neue Reichsmark und die berühmten Goldenen Zwanziger Jahre bescherten Deutschland einen beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung. Bis die Weltwirtschaftskrise einsetzte, die durch den Zusammenbruch der Börse in New York im Jahr 1929 ausgelöst wurde und auch die Weimarer Republik erfasste. Im Bewusstsein der Deutschen sind interessanterweise beide Krisen der Zwischenkriegszeit zu einer einzigen verschmolzen. Die besondere Sensibilität beim Thema Inflation hat darin vermutlich seine Ursache. Überraschend ist vor diesem Hintergrund allerdings die Bargeldaffinität der Deutschen. Im Rückblick auf das Jahr 1923 sollte sich jeder darüber bewusst sein, dass Bargeld eben nicht geprägte Freiheit, sondern nur bunt bedrucktes Papier ist.

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Aus dem Börse Express PDF vom 09.12. hier zum Download

 

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