Die Coronakrise hat zu tektonischen Verschiebungen in der Wirtschaft gesorgt. Das Thema Digitalisierung hat eine ganz neue Dimension bekommen. Einzelhändler, Hotels und Gastronomiebetriebe können ein Lied davon singen. Aber auch andere Branchen verändern sich dramatisch, manche verschwinden sogar ganz. An der Börse spiegeln sich solche Entwicklungen wider. Aktien von Unternehmen, denen Investoren eine unterdurchschnittliche Zukunftsfähigkeit unterstellen, performen an den Kapitalmärkten auch unterdurchschnittlich.

Value-Investoren suchen genau hier nach Investment-Chancen. Sie fahnden nach Unternehmen mit hoher Substanz, die von der Börse noch nicht honoriert wird. Value-Investoren kaufen also Aktien, die nach klassischen Bewertungskriterien günstig erscheinen und hoffen darauf, dass sich die Schere zwischen aktuell günstiger Bewertung und dem Wert, der ihrer Meinung nach angemessen wäre, irgendwann schließt. Als Basis für ihre Berechnung bestimmen sie zunächst den inneren Wert einer Aktie. Dieser beruht auf langfristigen Durchschnittswerten wie etwa dem Kurs-Gewinn-Verhältnis oder der Dividendenrendite. Diesen inneren Wert vergleichen sie mit dem Wert des betreffenden Unternehmens an der Börse. Ist der Aktienkurs geringer als der innere Wert, gilt ein Unternehmen als unterbewertet und damit als potenzieller Kauf. Die Idee dahinter: Kurzfristige Negativereignisse werden von Börsianern gerne höher bewertet als langfristige, positive Bewertungsrelationen. Value-Investoren gehen also davon aus, dass dieser Bewertungsfehler immer irgendwann ausgeglichen wird, der Börsenkurs also steigt.

Dieses Vorgehen war in den vergangenen Jahrzehnten eine erfolgversprechende Strategie. Doch mittlerweile funktioniert sie immer seltener. Der Grund: Value-Investoren halten oft bedingungslos an überkommenen Bewertungsparametern fest. Sie kaufen klassische Unternehmen, die günstig erscheinen, übersehen dabei jedoch, dass sich die Welt und die Art und Weise, wie Geschäfte gemacht werden, aufgrund des technologischen Wandels grundlegend ändern. Viele der Old-Economy-Unternehmen schaffen es nicht, sich darauf einzustellen. Viele werden sogar vom Markt verschwinden, falls sie wichtige Trends verschlafen. So kaufen Konsumenten mittlerweile nicht nur Kleidung, Bücher, Reisen und Elektronikartikel übers Internet ein, sondern beispielsweise auch Automobile und Versicherungen. Das war vor einigen Jahren noch Zukunftsmusik.

Hier geht also nicht mehr um temporäre Unterbewertung, sondern um einen Strukturwandel. Manche Branchen von heute sind zu vergleichen mit Pferdedroschken vor mehr als hundert Jahren. Value-Investoren müssen ihre Strategien entsprechend anpassen. Sie müssen zwischen temporärer Schwäche und Kaufchance oder generellem Entzug der Geschäftsgrundlage unterscheiden. Das heißt nicht, dass Value-Investing gar keinen Sinn mehr macht. Die Idee an sich funktioniert nämlich grundsätzlich gut. Man muss sie nur etwas anpassen: Denn auch Unternehmen mit Substanz sind in der Lage, neue Chancen zu nutzen. Sind sie innovativ genug, können sie Marktfelder neu besetzen.

Eine Möglichkeit, Value-Investing modern zu denken, besteht darin, nicht solche Kennzahlen wie das KGV aus dem vergangenen Jahr anzuwenden, sondern die erwarteten Gewinne beispielsweise in drei oder vier Jahren. Man sieht dann sehr schnell, dass heute gut positionierte ­Qualitätsunternehmen gar nicht mehr teuer sind. So hat beispielsweise Facebook auf Basis der Bloomberg-Durchschnittsschätzungen für das Jahr 2023 ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von gerade einmal 18,5. Und Amazon, das derzeit mit einem zehnjährigen Durchschnitts-Kurs-Gewinn-Verhältnis von 65 bewertet wird, ist mit einem KGV von 35 für das Jahr 2023 eher moderat bewertet. Viele dieser von Value-Investoren eigentlich wenig geschätzten Unternehmen besetzen neue Felder und haben zudem die Fähigkeit, ihren Vorsprung gegenüber Konkurrenten zu wahren, um langfristig Umsatz und Marktanteile zu sichern. Das wiederum wird von Value-Investoren sehr geschätzt. Sie müssen also genau abwägen und ihre Bewertung neu justieren. Oder sie werden zusammen mit der Old-Economy selber vom Markt verschwinden.

Diesen und weitere Vermögensverwalter mit Meinungen und Anlagestrategien finden Sie auf www.v-check.de.

 

 

Aus dem Börse Express-PDF vom 14. Mai - hier zum kostenlosen Download

Sie möchten ein kostenloses, unverbindliches Probeabo? Einfach hier mailen.

 

Screen 14052021