Seit Monaten prägt uns das subjektive Umfeld immer mehr. Wie ein Angriff auf breiter Front stürmen Ereignisse und Informationen auf uns zu. Der Virus, Pandemie, Politik mit gut gemeint oder böse gemeint, der Planet stirbt den Hitzetod, die Zukunft mit Millionen Klimatoten wird, in durchaus guter Absicht aber doch, in unsere Gegenwart gepresst, Black-Out Perspektiven im Minutentakt, unser persönliches Internet-dominiertes Informationsumfeld erstickt in globaler 24-Stunden Transparenz, Information immer und überall, jeder kennt alles und jeden, jeder sucht Meinung, verliert aber den Boden auf der Suche nach Sicherheit, und unsere Kapitalmärkte werden von all dem hin und her getrieben auf der Suche nach der jeweils aktuellen Dominante, weil die pauschale Suche nach der Wahrheit mittlerweile als unzureichend erscheint. Und man fragt sich vielleicht gerade, woran soll man sich denn nun wirklich langfristig halten? Was trägt weiter als bis zum nächsten Nachrichtenflash? Ist ein solches Umfeld nicht generell unsicher und warum dann „riskant“ investieren? Ja klar, TINA bleibt uns noch länger und so eine Pandemieverlängerung bremst auch wieder Inflation, aber die Volatilität kehrt auch gerade zurück, und die ist ein nervöser Zwilling.

Diese Fragen kommen täglich und prägen die Märkte: Was ist jetzt richtig? Was setzt sich durch? Wo wird geblufft und wo nicht? Wo hört man die Wahrheit? Und wer hört da noch zu? Unsere Antennen glühen, unser Geist arbeitet auf Hochtouren. Wir wollen das Richtige und fürchten uns in diesen turbulenten Befindlichkeiten, das im vorhinein als falsch verkannte Richtige zu übersehen und viele machen daher … nichts. Data-Overflow.

In diesen Tagen und Wochen wird Geschwindigkeit in der Umsetzung von vielen InvestorInnen gerade auf Null reduziert. Die Mähr vom November, an dessen Ende die Bücher geschlossen werden, glaubt ja nun wirklich niemand mehr, aber gerade in der Zeit vor Jahresende sind dramatische Kursbewegungen äußerst unangenehm für viele Großanleger. Und für alle Anderen das ganze Jahr.

Man sitzt vor den Ereignissen, bekommt rundherum massiven Informationsdruck verpasst, „evidenzbasiert“ wird dabei zwangsweise zum Fremdwort reduziert, und kann sich in diesem Fall maximal auf seine, in vielen Jahren unterschiedlicher Unsicherheit entstandene und trainierte Empathie verlassen, die sagt was gut wäre und was vermieden werden sollte. Ein Seiltanz in den Märkten ist das Ergebnis. Fundamentale Trends werden täglich neu hinterfragt, Sicherheiten immer wieder überprüft und Kontakte mit Managern aller Branchen mühsam, aber selbstbewusst gepflegt. Spannend, weil enorm chancenreich, Gänsehaut weil permanent auf die Reaktion gegenüber dem lauernden „Unbekannten aber bald Bekannten“ vorbereitet, lohnenswert, um der Reaktion der globalen Investitionsströme zuvorkommen zu können, ohne das fundamentale Universum dabei zu verlassen. Hochdruck der Psyche.

Dazu kommt das permanente Fest der Medien auf unseren Rücken. Ein Csardas der Propheten. Endlich, mittlerweile ohne Risiko, weil eh niemand mehr nach Kompetenz und Beweisen fragt, eine Kaskade von Zukunftsperspektiven und Gegenwartsweisheiten, die uns erreicht und uns zumindest zum inhaltlichen Konsum zwingt. Das Fest der „false Balance“, jener öffentlichen Diskussionspraxis, die immer zwei Meinungen gegeneinander stellt, egal ob von mehrheitlichen Erkenntnissen getragen oder nicht, und somit immer die Wissenschaft unnötigen Macht und Wortspielen aussetzt. Meinungsbildung mühsam danach. Machtgier von Scharlatanen und öffentlichkeitssüchtigen Niemanden gepaart mit schüchterner Detailoffenheit der Wissenschaft, die es dadurch immer schafft, den seitens der Medien gewünschten Durchschnittslevel der EmpfängerInnen, nicht zu adressieren und damit ihre Glaubwürdigkeit im Wortschwall über den virtuellen Stammtischen zu verlieren. Die Disziplin in der täglichen Auseinandersetzung mit Information dadurch ein konstanter Kraftakt. Wie ein Tinnitus für alle von uns die sich bemühen, den Weg in diesem Kaleidoskop der Wahrscheinlichkeiten nicht zu übersehen.

Die Welt geht in den Lockdown. Möge er uns allen zur Besinnung verhelfen.

Aus dem Börse Express-PDF vom 01. Dezember - hier zum kostenlosen Download

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