Chinas Wachstumspuls und Frankreichs Kreditkarte

Liebe Leserinnen und Leser,

während sich Europa noch den Montagskaffee einschenkt, hat China bereits die Wirtschaftskarten neu gemischt. Mit einem Wachstum von 4,8% im dritten Quartal sendet das Reich der Mitte ein zwiespältiges Signal: Die Wirtschaft läuft, aber der Motor stottert. Und als hätte S&P nur darauf gewartet, dass alle ins Wochenende verschwinden, servierte die Ratingagentur Frankreich am Freitagabend eine kalte Dusche – die Kreditwürdigkeit sackt von AA- auf A+ ab.

Doch beginnen wir dort, wo heute alle Augen hinschauen: Nach Peking, wo sich gerade das Zentralkomitee der KP versammelt hat.

Chinas Drahtseilakt zwischen Wachstum und Wirklichkeit

Die chinesische Wirtschaft präsentiert sich wie ein Marathonläufer mit Seitenstechen: Das BIP-Wachstum von 4,8% im dritten Quartal mag die Pessimisten überrascht haben, die mit 4,7% rechneten. Doch der Trend zeigt klar nach unten – von 5,4% im ersten auf 5,2% im zweiten Quartal. Was hier passiert, ist mehr als eine statistische Delle.

Der wahre Paukenschlag versteckt sich in den September-Daten: Die Industrieproduktion schoss um beeindruckende 6,5% nach oben, während der Einzelhandel mit mageren 3% dümpelte – dem schwächsten Wert seit November. Diese Schere zwischen Produktion und Konsum offenbart Chinas fundamentales Problem: Die Fabriken laufen, aber die Menschen kaufen nicht.

Besonders brisant: Die Anlageinvestitionen kippten erstmals seit 2020 ins Minus. Thomas Gitzel von der VP Bank bringt es auf den Punkt: China dominiert bereits bei seltenen Erden und wird diese Karte gegen Europa ausspielen, um die Elektroauto-Zölle zu drücken. Die Notenbank hält derweil stur an ihren Zinsen fest – zum fünften Mal in Folge bleiben sie unverändert. Ein Signal, dass Peking auf dem schmalen Grat zwischen Wachstumsstimulierung und Finanzstabilität balanciert.

Für europäische Unternehmen bedeutet das: Der chinesische Markt bleibt ein Pulverfass voller Chancen und Risiken. Die Nachfrage schwächelt, aber die Produktionskapazitäten suchen neue Absatzmärkte – auch in Europa.

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Apropos China und Technologie: Während Peking versucht, seine Wirtschaft über industrielle Dominanz zu stabilisieren, bahnt sich im globalen Chip-Sektor eine neue Dynamik an, von der auch europäische Anleger profitieren könnten. Wer verstehen möchte, welche europäischen Unternehmen im Spannungsfeld zwischen USA und China künftig profitieren können, findet in dieser Analyse zum „Megatrend Chip-Krieg zwischen den USA und China“ interessante Impulse. Sie beleuchtet, welche Rolle europäische Chipentwickler künftig neben Nvidia und Co. spielen könnten.

S&P zieht Frankreich die gelbe Karte

Timing ist alles, dachte sich wohl Standard & Poor's und wartete bis Freitagabend, um Frankreichs Bonität von AA- auf A+ herunterzustufen. Die Begründung liest sich wie eine Ohrfeige für die Regierung Lecornu: Trotz des kürzlich vorgelegten Haushaltsentwurfs bleibe die Unsicherheit bestehen. Frankreich erlebt laut S&P "die schwerste politische Instabilität seit 1958".

Die Märkte hatten es kommen sehen. Der Risikoaufschlag französischer Staatsanleihen gegenüber deutschen Bundesanleihen war in den vergangenen Wochen dramatisch gestiegen. Jetzt, wo auch Fitch bereits auf A+ abgestuft hat und Moody's am Freitag nachziehen könnte, steht Frankreich auf einer Stufe mit Portugal und Spanien.

Finanzminister Roland Lescure versucht das Beste daraus zu machen und interpretiert die Abstufung als "Aufruf zur Klarheit". Doch die Realität ist härter: Investmentfonds mit strengen Ratingvorgaben könnten gezwungen sein, französische Papiere abzustoßen. Das bedeutet höhere Zinskosten für neue Schulden – Gift für ein Land, das seine Neuverschuldung von erwarteten 5,4% auf 4,7% des BIP drücken will.

Die Botschaft für Europa: Wenn selbst die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone wackelt, wird die Stabilitätsdebatte wieder lauter werden.

Die Schattenflotte: Russlands Öl-Geisterschiffe

Während alle auf Zölle und Zinsen starren, braut sich in europäischen Gewässern eine andere Gefahr zusammen. Die EU schätzt Russlands Schattenflotte mittlerweile auf 600 bis 1.400 Tanker – schwimmende Zeitbomben, die nicht nur Sanktionen umgehen, sondern auch massive Umweltrisiken bergen.

Diese meist veralteten Schiffe mit undurchsichtigen Eigentumsverhältnissen sind oft unzureichend versichert. EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas warnt: Im Falle einer Havarie müssten europäische Steuerzahler die Zeche zahlen. Noch beunruhigender ist der Verdacht, dass einige Schiffe als Plattformen für Drohnenangriffe dienen könnten – wie möglicherweise bei den mysteriösen Vorfällen in Kopenhagen.

Die EU plant, die Zahl der sanktionierten Schiffe von 444 auf 562 zu erhöhen. Doch das Katz-und-Maus-Spiel geht weiter: Moskau ist "erfinderisch beim Umgehen von Sanktionen", so Kallas. Drei EU-Marinemissionen überwachen bereits die Geisterschiffe, darunter auch die deutsche Bundeswehr im Rahmen der Operation "Aspides".

Aldi zieht die Reißleine beim Billigfleisch

In einer bemerkenswerten Kehrtwende kündigte Aldi Süd an, ab Januar 2026 kein Eigenmarken-Fleisch mehr aus der untersten Haltungsform zu verkaufen. Der Discounter mit seinen 2.000 Filialen in Süd- und Westdeutschland setzt damit ein Signal, das die gesamte Branche unter Druck setzt.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Bereits heute stammt die Hälfte des Frischfleischs bei Aldi aus den höheren Haltungsformen 3 bis 5. Die Kunden, so die Botschaft, sind bereit für bessere Standards – und bereit, dafür zu zahlen.

Bis 2030 wollen alle großen Handelsketten komplett auf die Haltungsformen 3 und 4 umstellen. Was nach Tierschutz klingt, ist auch knallhartes Geschäft: Die Nachfrage nach "Billigfleisch" aus Haltungsform 1 ist bereits auf 1,5% bei Schwein geschrumpft. Bei Geflügel gibt es sie im Kühlregal praktisch nicht mehr.

Der Haken: Beim Rindfleisch stammen noch drei Viertel aus der untersten Kategorie. Hier wird der Umbau teuer – für Erzeuger, Händler und am Ende auch für Verbraucher.

Was uns diese Woche erwartet

Der Wirtschaftskalender verspricht Spannung: Am Montag treffen sich Australiens Premier Albanese und US-Präsident Trump im Weißen Haus – es geht um seltene Erden und die milliardenschweren AUKUS-U-Boote. Die Bank Indonesia entscheidet am Mittwoch über ihre Zinsen, nachdem sie bereits dreimal in Folge gesenkt hat. Und Tesla präsentiert ebenfalls am Mittwoch seine Quartalszahlen – nach dem schwachen ersten Quartal schauen alle gespannt auf Musks Robotaxi-Wette.

Die Welt bewegt sich zwischen Wachstumssorgen und geopolitischen Spannungen, zwischen Nachhaltigkeitsversprechen und harter ökonomischer Realität. China kämpft mit seiner Konsumkrise, Frankreich mit seiner Glaubwürdigkeit, und Europa mit Russlands Schattenkrieg zur See. Selbst beim Sonntagsbraten wird es komplizierter.

Was all diese Entwicklungen eint? Sie zeigen, dass die vermeintlich stabilen Strukturen der Weltwirtschaft in Bewegung geraten sind. Ob Chinas Wachstumsmodell, Frankreichs Staatsfinanzen oder unsere Ernährungsgewohnheiten – überall werden alte Gewissheiten in Frage gestellt.

Bleiben Sie kritisch und aufmerksam. In Zeiten wie diesen entscheidet sich, wer die Gewinner und Verlierer von morgen sind.

Herzliche Grüße und eine erfolgreiche Woche

Eduard Altmann