Chat Control: Deutschland schwenkt um – Signal droht mit EU-Ausstieg

Deutschland könnte seine Opposition gegen die umstrittene „Chat Control"-Gesetzgebung aufgeben. Diese Kehrtwende vor der entscheidenden Abstimmung am 14. Oktober würde der EU die nötige Mehrheit verschaffen, um die Massenüberwachung verschlüsselter Kommunikation durchzusetzen.
Der Kurswechsel des bevölkerungsreichsten EU-Mitgliedsstaats hat die Tech-Branche und Datenschützer alarmiert. Signal kündigte bereits an, den europäischen Markt zu verlassen, bevor das Unternehmen seine Verschlüsselungsprinzipien kompromittiert. Die Zukunft der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung in Europa steht auf der Kippe.
Berlins entscheidende Kehrtwende
Jahrelang bildete Deutschland einen wichtigen Schutzwall gegen die EU-Verordnung zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern (CSAR), bekannt als „Chat Control". Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung verspricht explizit den Schutz der Vertraulichkeit privater Kommunikation.
Doch Berichte von Anfang Oktober zeigen: Das Bundesinnenministerium drängt die Koalition, einem Kompromissvorschlag der dänischen EU-Ratspräsidentschaft zuzustimmen. Diese Wendung markiert einen drastischen Abschied von Deutschlands bisheriger fester Haltung.
Noch am 10. September 2025 hatte Deutschland gemeinsam mit Luxemburg und der Slowakei das Aufbrechen der Verschlüsselung abgelehnt. Bereits zwei Tage später stufte sich das Land in der Arbeitsgruppe für Strafverfolgung als „unentschlossen" ein. Aktivisten berichten von „Schweigen" und „Hinhaltetaktik" aus Innenministerium, Justizressort und Digitalministerium.
Kernproblem: Scanning vor der Verschlüsselung
Das Herz der „Chat Control"-Debatte liegt in der vorgeschlagenen Überwachungsmethode. Die Verordnung will die Verbreitung von Missbrauchsmaterial bekämpfen, indem digitale Kommunikationsdienste Nachrichten scannen müssen – einschließlich Bilder, Videos und Links.
Der neueste Kompromiss zielt explizit auf Ende-zu-Ende-verschlüsselte Plattformen wie Signal, WhatsApp und Telegram ab. Um die Verschlüsselung zu umgehen, fordert der Vorschlag „Client-Side-Scanning" – das Durchsuchen von Inhalten auf dem Gerät des Nutzers, bevor sie verschlüsselt werden.
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Kritiker argumentieren: Das hebelt den gesamten Zweck der Verschlüsselung aus. Der eco-Verband der Internetwirtschaft nennt den Plan „grund- und menschenrechtswidrig, technisch verfehlt und sicherheitspolitisch gefährlich". Experten des Chaos Computer Clubs warnen vor unvermeidlichen „Hintertüren", die nicht nur die Privatsphäre gefährden, sondern auch katastrophale Schwachstellen für Kriminelle und feindliche Staaten schaffen.
Industrie rebelliert: Exodus-Drohungen
Die Tech-Branche reagiert mit scharfer Kritik. Meredith Whittaker, Präsidentin der Signal Foundation, stellte ein Ultimatum: „Wenn wir die Wahl hätten zwischen dem Einbau einer Überwachungsmaschine in Signal oder dem Verlassen des Marktes, würden wir den Markt verlassen."
Sie fordert deutsche Politiker auf zu erkennen, wie „entsetzlich ihre Kehrtwende wäre". Die mögliche Kapitulation sei ein „unbegreiflicher strategischer Fehltritt" in Zeiten geopolitischer Unsicherheit.
Kryptographen, Cybersicherheitsexperte und Organisationen wie die Electronic Frontier Foundation (EFF) sind sich einig: Es gibt keinen technisch machbaren Weg, eine Hintertür zu schaffen, die nur die „Guten" nutzen können.
Sicherheit gegen Überwachung: Ein Grundsatzkonflikt
„Chat Control" bringt zwei fundamentale Werte in direkten Konflikt: den unbestreitbaren Schutz von Kindern vor Missbrauch und das Grundrecht auf Privatsphäre und sichere Kommunikation.
Befürworter argumentieren, die Verordnung sei ein notwendiges Werkzeug der Strafverfolgung. Gegner wenden ein: Der Vorschlag behandelt alle 450 Millionen EU-Bürger nach dem Prinzip „schuldig bis zum Beweis der Unschuld". Fehleranfällige KI-Algorithmen könnten unschuldige Inhalte wie Familienfotos fälschlicherweise markieren – mit verheerenden Folgen für unbescholtene Menschen.
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Dass der neueste Vorschlag Regierungs- und Militärkommunikation vom Scanning ausnimmt, werten Kritiker als Eingeständnis der inhärenten Sicherheitsrisiken.
Entscheidung rückt näher
Am 14. Oktober diskutieren die EU-Innenminister den Vorschlag im Rat. Ein vorbereitendes Treffen der Ständigen Vertreter am 8. Oktober wird die Richtung weisen.
Stimmt Deutschland dem Kompromiss zu, dürfte die Verordnung den Rat passieren und in die finalen Trilogue-Verhandlungen mit EU-Parlament und Kommission gehen. Während das EU-Parlament 2023 eine deutlich datenschutzfreundlichere Position einnahm, könnte die neue Ratsposition immensen Druck ausüben.
Für Digitaldienstleister und Datenschützer in ganz Europa entscheidet sich in den kommenden Tagen nicht nur das Schicksal von „Chat Control" – sondern möglicherweise ein globaler Präzedenzfall für die Zukunft digitaler Privatsphäre.